Torsten Maschke, Freudenberg

"Wenn es um CO2 geht, dann ziehen immer noch alle an einem Strang", sagt Torsten Maschke, President Automotive Sales & Marketing Freudenberg Sealing Technologies. (Bild: Freudenberg)

Kann es bei Dichtungen wirklich noch Innovationen geben? Jawohl, kann es, sagen die Experten von Freudenberg Sealing Technologies ? den Erfindern des “Simmerrings”. Denn neue Fahrzeugkonzepte verlangen auch nach besserem Dichten und Abfedern.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Maschke, die Rolle, die Sie als Dichtungshersteller in der Autoindustrie innehaben, scheint eine nicht so wichtige Rolle zu sein. Wie ist Ihr Selbstverständnis?
Maschke: “Meistens unsichtbar, aber immer unverzichtbar#2 ? das sind unsere Produkte. Kein Fahrzeug würde ohne Dichtungen funktionieren. Das wird oft unterschätzt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wo sehen Sie im Vergleich zu den Wettbewerbern Ihren USP?
Wir sind Markt- und Technologieführer. Das bekommen wir auch durch unsere aktuelle Kundenzufriedenheitsanalyse bestätigt. Der Anteil der Kunden, die sehr zufrieden mit Freudenberg sind, ist dabei so hoch wie nie zuvor. Wir sind Problemlöser und stellen innovative Ideen zur Verfügung. Damit helfen wir den Kunden, ihre Ziele zu erreichen, etwa bei der Reduktion von CO2-Emissionen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Nennen Sie mir drei Produkte, die nur Sie haben und der Wettbewerb nicht…
Levitex ist ein neues Produkt, das wir für die Kurbelwellenabdichtung entwickelt haben. Dank eines komplett neuen Wirkprinzips läuft die Dichtung quasi reibungsfrei. Eine dynamische Abdichtung der Kurbelwelle, die zu 90 Prozent Reibungsreduzierung führt. Diese Reibungsreduzierung wiederum kann zwischen 0,5 und 1 Gramm CO2-Einsparung bedeuten. Das ist völlig unabhängig von den entsprechenden Fahrzeuggegebenheiten. Ein zweites Produkt ist ein in Leichtbauweise ausgelegter Kolbenspeicher ? damit haben wir momentan ein Alleinstellungsmerkmal bei Getriebeanwendungen. Und ein drittes Produkt, das wir in Serie eingeführt haben, sind die Curve Gaskets für Deckelanwendungen. Diese patentierte Lösung ermöglicht es den Kunden, ihre Komponenten leichter zu bauen und reduziert die Reaktionskräfte um 30 Prozent bei extremer Verpressung. Ein wichtiger Bestandteil für alle Neuentwicklungen und deren USP ist unsere extrem hohe Materialkompetenz für über 2.000 “individuelle Mischungen”.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie sieht Ihre Strategie für die nächsten fünf Jahre aus – sehen sie Chancen für neue Bereiche?
Grundsätzlich wollen wir auch in unserer nächsten Strategieperiode weit über dem Markt wachsen. Eine Voraussetzung dafür ist die Notwendigkeit, mit innovativen Produkten unseren Kunden einen Mehrwert anzubieten. Dazu wendet Freudenberg einen strukturierten Innovationsprozess an, der gerade mit dem TOP-Innovationspreis des FAZ-Instituts ausgezeichnet wurde. Eine andere Voraussetzung, um das angestrebte Umsatzwachstum zu erzielen, ist der Ausbau unseres Leistungsangebotes in neuen Regionen und hier vor allem in China. Zusätzlich ergeben sich auf Grund der geänderten Anforderungen an die Systeme und Module unserer Kunden immer wieder neue Chancen. Wir beobachten diese Entwicklungen sehr genau, um mit ganz neuen Produkten unser Portfolio zu erweitern. So ergaben sich z.B. neue Produkte in Turboladern, Einspritzsystemen, der Hybridtechnologie, Start-Stopp oder in den Doppelkupplungsgetrieben. Hier werden heute Freudenberg Produkte eingesetzt, für die es vor einigen Jahren keine Notwendigkeit gab.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ist die Elektrifizierung für Freudenberg Sealing Technologies eine Bedrohung?
Zum einen ja, da wir unser Produktportfolio natürlich entsprechend anpassen müssen. Aber in Summe nein, das es auch signifikante Chancen bietet. Elektrifizierung und der Weg zum emissionsfreien Fahren über Hybridtechnologien zur Elektromobilität ist Teil unserer Strategie, die wir mit einer Vielzahl von Produkten verfolgen. Wir haben etwa in der Batterietechnologie Entlüftungs- bzw. Druckentlüftungsventile, für den Fall eines zu hohen Drucks in der Batterie. Darüber hinaus statten wir den Opel Ampera und den Chevrolet Volt jeweils mit über 600 Rahmendichtungen aus.

AUTOMOBIL PRODUKTION:…Rahmendichtungen für…
…für ein Kühlsystem der Batterie. Nicht in die Batterie selbst. Bei der Elektromobilität sind auch alle Sekundärsysteme für uns von Bedeutung. In ein normales Fahrzeug liefern wir 40 bis 50 Dichtungen. Bei einem E-Fahrzeug können es auch 600 Dichtungen sein. Der Produktwert pro Fahrzeug muss bei der Elektromobilität also nicht geringer ausfallen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Beliefern Sie auch Firmen wie Tesla und BMW?
Wir beliefern die i-Reihen von BMW. Mit Tesla sind wir in der Entwicklung, aber die Volumen haben es bislang noch nicht zugelassen, dass wir über eine große Industrialisierung nachgedacht haben.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sprechen Sie mit Tesla auch über das Thema Kühlen?
Wir sprechen mit Systemlieferanten auch darüber. Tesla ist aber viel mehr an Reibungsreduzierungen für bestimmte Aggregate interessiert. Nicht direkt für die Batterietechnologie, aber für andere Aggregate. Die Elektromobilität bietet auch uns als Dichtungslieferant eine ganze Menge Chancen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Fokussieren Sie spezielle Kunden, mehr Premium- oder eher Volumenhersteller oder ist das für Sie kein großer Unterschied?
Wir bieten unsere Produkte für Volumenhersteller genauso wie für Premium-Hersteller an. Der Unterschied ist jedoch, dass die Premiumhersteller tendenziell eher an Innovationen interessiert sind und damit Produktneuheiten vorrangig mit den Premiumherstellern entwickelt werden.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Fühlen Sie sich im Kunststoffbereich gut aufgestellt?
Wir hatten dies als Defizit in unserem Produktportfolio ausgemacht und durch das Joint Venture mit dem 2K-Spezialisten Schneegans sind wir nun auch in diesem Feld gut aufgestellt. Der Trend in Richtung Leichtbau und dies kombiniert mit unserer Dichtungskompetenz wird uns hier neue Chancen eröffnen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie möchten, wie fast alle Zulieferer, noch früher in die Entwicklung eingebunden werden. Wie weit vorher?
Wir wollen unsere Kunden ermuntern, uns frühzeitig in die Entwicklung einzubinden. Wenn möglich bevor uns eine Anfrage erreicht. Denn nur dann können wir unser volles Spektrum an Value Management einfließen lassen, um dem Kunden das beste Produkt in Hinblick auf Design, Produktionsprozess und Material anzubieten. Je eher wir eingebunden sind, umso eher können wir den Kunden helfen, Kosten zu sparen oder zusätzliche Funktionalitäten zu erzielen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sprechen Sie da in erster Linie mit den Entwicklern oder mit den Einkäufern?
Unsere Zielgruppe ist zunächst die Entwicklung. Das eine geht aber nicht ohne das andere. Entwicklung und Einkauf sind meistens sehr stark vernetzt und wir müssen beide einbinden. Ein innovatives Produkt wird es abschließend nur zur Serie schaffen, wenn beide dahinter stehen.
Spüren Sie schon Auswirkungen der Sparprogramme bei den Premium-Herstellern?
Auf der Einkaufseite gab es die Sparprogramme schon immer. Fahrzeughersteller suchen nach den jährlichen Savings. Denn das ist die Kennzahl einer Einkaufsorganisation. Wir versuchen mit der Entfeinerung der Produkte, Änderungen oder Zusatznutzen gegenzusteuern, damit der Kunde ganzheitlich Kosten spart und nicht nur am Preis selbst.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das hört sich so an, als ob nicht nur der Einkauf spart, sondern auch die Entwicklung.
Es gibt unterschiedliche Tendenzen. Manche Kunden haben Entwicklungsprogramme zurückgefahren. Aber wenn es um CO2 geht, dann ziehen immer noch alle am gleichen Strang und versuchen das Ziel 95 Gramm auch zu erreichen.
Also können Sie für Ihre Hightech-Produkte nach wie vor noch die Preise realisieren, die Sie auch gerne hätten?
Das ist eine schwierige Frage. Es ist immer auch eine strategische Entscheidung, wo Sie investieren, um neue und innovative Produkte anbieten zu können. Denn am Ende muss daraus ein Volumenmodell werden, damit sich die Investition rechnet.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ihre Produkte werden hochautomatisiert hergestellt. Generieren Sie Effizienzsteigerung nicht schon allein dadurch, die Maschine schneller laufen zu lassen?
Das geht leider nicht so einfach. Aber damit beschäftigen wir uns permanent: Produktivität zu generieren, neue Materialien zu finden, die einfacher zu verarbeiten sind, um damit Zykluszeiten zu reduzieren. Oder Entfeinerungen im Design, die auch dazu führen, dass Zykluszeiten reduziert werden können. Wir haben aber auch andere Beispiele. Unsere mit dem Deutschen Innovationspreis ausgezeichnete SUL-Anlage beispielsweise, die dazu führt, dass man Stanzabfälle reduziert, Ziehöle im Produktionsprozess vermeidet. Das sind Prozessinnovationen, von denen auch der Kunde profitiert.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie sichern Sie sich bezüglich Rückrufen ab? Bei einer Dichtung kann man ja keinen Chip einbauen, um zu wissen, welche Charge fehlerhaft war.
Grundsätzlich über unseren hohen Qualitätsanspruch. Darüber hinaus ist die Nachverfolgbarkeit unserer Produkte und der Produktion durch Aufzeichnungen im Unternehmen abgesichert. Wir wissen genau, welche Charge an welchen Kunden gegangen ist. Das ist aber Standard in der Automobilbranche, den unsere Kunden von uns auch erwarten, um im Falle des Falles die fehlerhafte Charge eingrenzen zu können.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ihre größte Herausforderung in den nächsten fünf Jahren?
Die weiteren Trends frühzeitig zu erkennen, so dass wir mit innovativen Produkten entsprechend vorbereitet sind.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und die größte Herausforderung für die Automobilindustrie in den nächsten fünf Jahren?
Das werden mit Sicherheit die CO2-Ziele sein. Viele der technologischen Themen sind bereits umgesetzt. Jetzt geht es um jedes Gramm, das man aus den einzelnen Bauteilen noch herausholen kann. Eine andere Herausforderung ist die Lokalisierung in den einzelnen Märkten. Wie weit kann ich die Produktion von Aggregaten, Motoren, Achsen, Getrieben vor Ort vorantreiben?

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sehen Sie denn ASEAN schon als Markt in den nächsten fünf Jahren kommen?
Für die Fahrzeughersteller ist es sicherlich ein Thema, mit dem sie sich beschäftigen. Für uns steht der Ausbau China im Fokus. Unternehmen, die ihre Chancen im chinesischen Automobilmarkt nutzen wollen, müssen bereit sein, in diesem Land auch zu produzieren. Außerdem müssen sie sich vor Ort voll integrieren, um erfolgreich zu sein. Das tun wir seit mehreren Jahrzehnten. Wir bauen unsere drei Standorte für die Dichtungsproduktion kontinuierlich aus. Mit weiteren Lokalisierungen auch von neuen Produktgruppen, die für die nächsten zwei Jahre auf der Agenda stehen. So werden wir unser Wachstum in China weiter absichern.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Produktgruppen stehen denn auf der Agenda in China?
Das sind Spezialdichtungsprodukte, Rahmendichtungen, auch Hochleistungskunststoffe, die wir etablieren werden. Ansonsten treiben wir auch die Lokalisierung unserer gängigen Produkte, den dynamischen Dichtungen weiter voran, die wir in Europa produzieren.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Verkaufen Sie in China noch ein bisschen mehr Low-Tech als in Europa?
Nein, wir haben auch High-Tech-Produkte, die wir in China schon produzieren. Etwa einen Getriebekolben ? aber für einen westlichen Kunden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ihre Aussichten für Automotive allgemein innerhalb der Freudenberg-Gruppe?
Es gibt wenige Branchen, die sich global so positiv weiterentwickeln, sofern natürlich die Rahmenbedingungen stimmen. Wir erwarten bis 2020 ein zweistelliges Wachstum in der globalen Produktion. Mehrheitlich natürlich in China. Aber Wachstum generieren wir teilweise auch aus Europa heraus. Europa wird sich moderat entwickeln. Wir sind noch immer unter Vorkrisen-Niveau. Daran wird sich mittelfristig auch nichts ändern. In Nordamerika sieht es besser aus. Da gibt es momentan gute Zuwächse und es wird teilweise auch schon das Vorkrisen-Niveau erreicht.

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Das Interview führte Bettina Mayer

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