Dirk Hoheisl, Bosch

Ein vernetztes Auto ist ein besseres Auto“, sagt Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel im Interview. (Bild: Bosch)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Dr. Hoheisel. In einer Studie wird die Zahl von weltweit 250 Millionen vernetzten Autos im Jahr 2020 genannt. Wie wird der Beitrag von Bosch dazu aussehen?
Ein vernetztes Auto ist ein besseres Auto. Davon sind wir überzeugt. E-Mobilität wird erst durch Vernetzung richtig komfortabel, und auch das automatisierte Fahren spielt erst durch umfassende Vernetzung alle Trümpfe aus. Und Bosch ist Komplettanbieter – von der Hardware über die Software bis zu den Services. Bereits heute verbinden unsere Kommunikationsmodule Autos mit dem Internet. Flottenbetreiber nutzen die Daten, um Servicetermine, Fahrtenbücher und Leasingverträge zu optimieren. Unsere Tochter Bosch Software Innovations liefert eine modulare Softwareplattform, die sich flexibel einsetzen lässt. Sie dient seit 2011 als Grundlage für eine vernetzte und benutzerfreundliche Ladeinfrastruktur für E-Mobilität in Singapur, sowie seit 2013 für ein Flottenmanagement in Deutschland. Ein erweiterter eCall-Notruf wird vom Bosch Communications Center betrieben, und weitere Services werden folgen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie viel ist beim automatisierten/autonomen Fahren derzeit noch Museklschau um die Technologieführerschaft und was ist schon reales Geschäft?
Was Bosch anbelangt, ist fast alles reales Geschäft. Lassen Sie mich das am Beispiel des automatisierten Fahrens verdeutlichen. Natürlich ist ein Auto, das sich ohne Eingriffe und Überwachung des Fahrers vollkommen alleine durch den Straßenverkehr bewegt, heute noch Zukunftsmusik. Aber viele Komponenten und Systeme, die wir für das automatisierte Fahren benötigen, sind bereits im Einsatz. Ich spreche von Radarsensoren, Video- und Ultraschallsensoren, von der elektrischen Lenkung, von Bremsregelsystemen und von Fahrerassistenzfunktionen, die sich damit realisieren lassen. Bereits 2016 wollen wir mit der Fahrerassistenz die Umsatzschwelle von 1 Milliarde Euro erreichen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bei der Entwicklung des automatisierten Fahrend und mit Blick auf das Thema Konnektivität spielen die Zulieferer eine noch wichtigere Rolle als Innovatoren. Können Sie sich dadurch noch stärker als bisher gegenüber den OEMs emanzipieren?
Automobilzulieferer waren schon in der Vergangenheit für viele Innovationen im Automobil verantwortlich. Bosch beispielsweise hat Bremsregelsysteme oder die Navigation maßgeblich entwickelt, ohne die ein automatisiertes Fahren nicht möglich ist. Wir haben alle erforderlichen Technologien für das elektrifizierte, automatisierte und vernetzte Fahren und positionieren uns klar als Systemanbieter. Wir diskutieren mit den OEMs auf Augenhöhe.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und wie ist es um die Beziehung zwischen Tier-1-Supplieren und Herstellern. Täuscht der Eindruck, oder ist durch das Hereindrängen von IT/Big Data-Unternehmen ins Autogeschäft die Beziehung enger geworden?
Die Beziehungen zwischen Herstellern und Zulieferern sind schon lange eng. Nur so lassen sich Innovationen schnellstmöglich und damit vor dem Wettbewerb auf den Markt bringen. Mit ihrem spezifischen Know-how helfen die IT-Unternehmen, vernetzungsspezifische Entwicklungen zu beschleunigen. Aber auch die etablierten Automobilhersteller und Zulieferer haben eigene Kompetenzzentren aufgebaut. So bietet Bosch über die Tochter Bosch Software Innovations eine eigene Softwareplattform an, die alle Kernanforderungen des Internet of Things (IoT) abdeckt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein Auto, das sich ohne Fahrer im Verkehr bewegt hat ja etwas von Zauberwerk. Ist es das eigentlich? Schließlich kommen jetzt schon mehr und mehr Assistenzsysteme ins Spiel, autonomes Fahren im einfachen Stop-and-Go Verkehr ist ja im Prinzip Realität. Ist es angesichts des eingeschlagenen Wegs nicht ein Ziel, sondern eine logische Schlussfolgerung einer bereits laufenden Transformation der Mobilität auf die nächste Stufe?
Automatisiertes Fahren fällt nicht vom Himmel. Es ist, wie sie sagen, ein schrittweiser Entwicklungsprozess – ausgehend von immer umfassenderen Assistenzsystemen. Ziel von Bosch ist es, den Straßenverkehr sicherer zu machen. Rund 90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Daraus schlussfolgern wir, den Autofahrer sukzessive in kritischen sowie in eintönigen Situationen von der Fahraufgabe zu entlasten. In letzter Konsequenz führt das zu Fahrzeugen, die auf Wunsch des Fahrers jederzeit selbst das Steuer übernehmen. Wir sind überzeugt, dass bei einem weltweit steigenden Verkehrsaufkommen das automatisierte Fahrzeug letztlich das bessere Fahrzeug ist.

Zur Person
Dr. Dirk Hoheisel kam bald nach dem Elektrotechnik-Studium an der TU Berlin, wo er auch promovierte (Gebiet Halbleitertechnik) zum „Bosch“. Dort stieg der 1958 in Hameln geborene Manager 1990 als Fachreferent im Geschäftsbereich Halbleiter ein. Nach verschiedenen Führungsfunktionen wurde Hoheisel 2004 zum Bereichsvorstand bei Car Multimedia in Hildesheim berufen, 2011 zum Bereichsvorstand Chassis Systems Control. Seit 2012 ist er Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH und verantwortet in dieser Rolle die Systemintegration des Unternehmensbereichs Mobility Solutions sowie die Bereiche Chassis Systems Control, Car Multimedia, Automotive Electronics und die Tochtergesellschaft ETAS GmbH.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie sehr steckt den Bosch selbst unter Transformationsdruck? Bislang machen Sie ja ihr Hauptgeschäft mit klassischem Geschäft wie Einspritzpumpen. Inzwischen gewinnt man bisweilen den Eindruck, das Thema klassischer Verbrenner ist mehr oder weniger durch.
Machen Sie ihre Rechnung nicht ohne Benziner und Diesel: Mit der Elektrifizierung steht dem Verbrenner die beste Zeit noch bevor. Verbrennungsmotoren werden mit elektrischer Unterstützung in Zukunft deutlich spritsparender, noch sauberer und das zusätzliche Drehmoment wird für noch mehr Fahrspaß sorgen. Wir rechnen für 2020 mit einem Verbrenner-Anteil von 90 Prozent am Weltmarkt – denn der globale Markt wächst. Die richtige Rechnung lautet also: Wir werden insgesamt mehr Elektrofahrzeuge sehen, mehr Hybride und mehr Verbrenner. Und Bosch ist immer an Bord.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Der Bereich Assistenzsysteme hat sich bereits in der Vergangenheit sehr dynamisch entwickelt. Es waren aber weitgehend Einzelsysteme, die zum Einsatz kamen. Inzwischen spielt die Vernetzung der Systeme untereinander und auch mit Komfortfunktionen eine wesentliche Rolle. Inwieweit muss sich Bosch zur Beherrschung dieses Thema selbst neu erfinden?
Wir erfinden uns bewusst regelmäßig neu, um in allen Bereichen am Ball zu bleiben. Die von ihnen angesprochene Vernetzung ist eine Domäne von Bosch. Ich erinnere an den CAN-Bus, mit dem wir schon früh die fahrzeuginterne Vernetzung revolutioniert haben. Dabei kommt uns zugute, dass Bosch wie kein zweiter Zulieferer über ein tiefes Verständnis aller Systeme im Fahrzeug verfügt. Das macht uns in allen Zukunftsfeldern der Automobilindustrie, also in der Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung, weltweit so stark.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Angesichts der Vielzahl der Systeme und vor dem Hintergrund derer Vernetzung: braucht es eine zentrale Schnittstelle im Auto für die Systeme und wie schaut hier die Lösung von Bosch aus?
Mit der zunehmenden Elektrifizierung und Automatisierung steigt die Zahl der Softwarefunktionen und die der zu verarbeitenden Daten. Bei der Elektronikarchitektur wird sich das genau anders herum entwickeln. Die Zahl der Steuergeräte wird mittelfristig abnehmen, und die bestehenden werden immer stärker domänenübergreifend und skalierbar Software aus verschiedenen Quellen integrieren und ausführen können. Die Kommunikation untereinander erfolgt über CAN FD und zunehmend einer automobilen Ethernet-Lösung. Die Entwicklung dorthin ist bereits im vollen Gange.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des automatisierten/autonomen Fahren wie auch für Connected Car ist die Bereitstellung der Daten. Woher kommen diese bei Bosch?
Hier gibt es unterschiedliche Quellen. Ein Teil der Daten wird von den Fahrzeugen anonym erfasst, cloudbasiert abgeglichen, und dann den Fahrzeugen zurückgespielt. Die Bosch-App MyDriveAssist ist hier ein erstes Beispiel. Ein anderer Teil der Daten kommt von spezialisierten Datenanbietern, zum Beispiel die Navigationsdaten. Spannend wird es mit den personenbezogenen Daten. Nach Bosch-Verständnis gehören diese klar dem Fahrer. Dieser muss wissen, was mit diesen Daten passiert, und welchen Nutzen er durch die Weitergabe hat. Und er muss sich auch gegen eine Weitergabe entscheiden können. Unsere Aufgabe als Industrie ist es, dem Fahrer einen Mehrwert zu bieten, der das mögliche Risiko bei weitem übersteigt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Derzeit wird heftig darüber diskutiert, ob beispielsweise Google eine zu dominante Rolle einnehmen könnte. Sind Big-Data-Player für Bosch eher ein wichtiger Partner zur Optimierung ihrer Systeme oder ein Konkurrent, der ihre Wertschöpfung schmälert?
Aktuell ist Google ein Kunde, an den wir maßgebliche Teile des Antriebsstrangs sowie der Umfeldsensorik für seine Testflotte liefern. Aber natürlich hat Google wie kaum ein Anderer Erfahrung im Bereich Big Data. Das Thema Vernetzung und die möglichen Dienste sind aber noch so jung, dass die Rollenverteilung zwischen Automobilhersteller, IT-Unternehmen und Zulieferern noch nicht festzementiert ist. Wir sind zuversichtlich, den OEMs und den Autofahrern attraktive eigene Lösungen anbieten zu können.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Es gab gerade mit Blick auf die mögliche Rolle von Google Empfehlungen von Experten, die deutsche Autoindustrie solle sich zu einer Art Anti-Google-Allianz zusammenschließen. Was halten Sie davon?
Von Allianzen, insbesondere Anti-Allianzen, halte ich nichts. Die Nutzung personenbezogener Daten muss letztlich zwischen Automobilhersteller und seinem Kunden geregelt werden. Unsere Position ist hier eindeutig: bestmögliche Datensicherheit und größtmögliche Transparenz gegenüber dem Kunden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Unabhängig von Google ist die Sicherheit der Daten ein großes Thema. In der Vergangenheit haben eine Reihe Hersteller angekündigt, in China mit Baidu zusammen zu arbeiten. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, eng mit staatlichen Behörden zusammen zu arbeiten und so wichtiger Teil der Internet-Zensur in China zu sein. Wie will man da eigentlich sicheren Umgang mit Daten sicher stellen?
Klarheit und Transparenz sind entscheidend. Die geplante Datenschutz-Grundverordnung in Europa wird zu beidem beitragen und für eine gewisse Standardisierung sorgen. Wir von Bosch müssen dem Kunden weltweit sagen können, dass wir die Daten umfassend sichern und nur die nutzen, die explizit freigegeben sind.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bosch liefert für die Google-Testflotte den E-Motor und relevante Komponenten für den Antriebsstrang. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Google und wie wichtig ist diese für Bosch?
Aus unserer Sicht ist Google ein sehr geschätzter Partner. Wir begrüßen die Möglichkeit ausdrücklich, unsere Expertise in der Autotechnologie in dem agilen Entwicklungsumfeld von Google einzubringen. Wir teilen mit Google die Vision, dass Autos in Zukunft automatisiert fahren werden und es freut uns, das Projekt mit wesentlichen Komponenten zu unterstützen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Stichwort E-Antrieb: Auch bei Bosch ist man noch 2013 davon ausgegangen, dass es in der Batterietechnologie etwa bis 2020 dauern wird, bis man die damals erreichten Reichweiten verdoppeln kann. Nun scheint die Entwicklung wesentlich schneller zu gehen als erwartet. Gibt es diese schnellere Entwicklung in der Praxis oder ist da der Wunsch Vater des Gedankens?
Wir sind beim Thema Batterie technisch gut unterwegs. Die angekündigte Reichweitenverdopplung der Hersteller deckt sich mit unserer Technologie-Roadmap. Wir gehen aber noch weiter: Schon in fünf Jahren, also 2020, werden Batterien bei doppelter Energiedichte nur noch halb so viel kosten. Wir prognostizieren also eine Verbesserung um den Faktor Vier. Das ist ein wesentlicher Treiber dafür, dass die Elektrifizierung zum Massenmarkt wird.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wird das auch mehr Schwung in die Elektromobilität bringen?
Den Schwung sehen wir doch gerade. Wir haben nun erstmals ein breites Angebot an Elektrofahrzeugen – allein deshalb werden die Verkaufszahlen anziehen. Und vergessen Sie nicht die Hybride, die ja auch für die Elektrifizierung stehen. Aus Sicht des Endkunden gibt es unserer Meinung nach ein bisher unterschätztes Kaufargument für elektrifizierte Antriebe: Fahrspaß! Drehmoment und Beschleunigung begeistern jeden. Allerdings stimmt es, dass wir die Kosten noch deutlich senken müssen. Die Batterie ist hier der Schlüssel, da sie alleine 80 Prozent der Kosten des Antriebsstrangs ausmacht.

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Das Interview führte Frank Volk

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