Werk von Ford Otosan , Türkei

Werk von Ford Otosan (Ford Otomotiv Sanayi): Ford ist von den Streiks in der Türkei betroffen. (Bild: Ford Otosan)

Die Ausstände versetzen dem Ruf der Türkei als aufsteigendes Automobilbauzentrum einen Schlag. Internationale Autobauer haben sich lange darauf verlassen, dass die Fertigung von Fahrzeugen in der Türkei sie von den Arbeitskämpfen befreien wird, die sie häufig in Westeuropa belastet haben. In den vergangenen Jahren haben sie sich die niedrigen Löhne in der Türkei und die relativ friedlichen Bedingungen in der Arbeitswelt zu Nutze gemacht. Sie haben ihre Kapazität, Autos vor allem nach Westeuropa zu exportieren, ausgebaut.

Aber der momentane Lohnstreit wirft ein neues Licht auf die Lage. Die Arbeitsniederlegungen deuten auf eine unerwartete Unzufriedenheit mit der Tarifverhandlungsvereinbarung der Branche und der Gewerkschaft hin, die sie ausgehandelt hat. Als Teil des Protestes haben tausende von Monteuren die Gewerkschaft verlassen.

“Das hat uns überrascht”, sagt Ege Seckin, Analyst bei der Beratungsfirma IHS Consulting. “Wir haben lange gedacht, dass angesichts der Schwäche der Gewerkschaften die Wahrscheinlichkeit für Arbeitsniederlegungen gering wäre.”

Jetzt hat der sich ausweitende Ausstand auch Ford erreicht. Viele Montagewerke und Teilefabriken sind bereits von den Streiks gelähmt. Die Arbeitsniederlegungen sorgen dafür, dass eine wirtschaftlich ausschlaggebende Branche nach und nach zum Erliegen kommt.

Das türkische Gemeinschaftsunternehmen von Ford, Ford Otomotiv Sanayi, hat nach eigenen Angaben vom Mittwoch (20.5.) die Produktion in zwei Werken eingestellt. Die Arbeitsunruhen hätten ihre Zulieferer getroffen und zu einer Knappheit von Autoteilen geführt.

Zuvor war die Arbeit in Fabriken, die von Renault und Fiat geführt werden, niedergelegt worden. Beide unterhalten in der Türkei Joint-Ventures. Auch bei anderen Autoteileherstellern war es zu Arbeitseinstellungen gekommen. Streikzentrum ist die Industriestadt Bursa, die rund eine Stunde südlich von Istanbul liegt.

Lange Streiks schaden dem Standort

Solange die Streiks auf ein paar Wochen begrenzt blieben, könnten die Autobauer für den zeitweiligen Produktionsstopp durch Sonderschichten in der Nacht und über das Wochenende für einen Ausgleich sorgen, sagen Analysten. Doch Arbeitseinstellungen, die über einen Monat hinausgingen, würden nicht nur das Prestige der Türkei und ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber osteuropäischen Herstellern schmälern. Auch die Exporte und das verarbeitende Gewerbe ihrer 720 Milliarden Euro schweren Volkswirtschaft würden davon bedroht.

Die Automobilindustrie der Türkei fasste in den 1960er Jahren richtig Fuß. Sie wuchs in den vergangenen zehn Jahren beträchtlich. Den Aufstieg zu einem führenden Exporteur verdankt das Land auch seiner geographischen Lage mit Anbindung an Afrika, Westeuropa und dem Nahen Osten.

Das Land produzierte im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Autos. Davon wurden vier Fünftel exportiert und zwar vorwiegend an westeuropäische Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien. Auf Exportkomponenten von Autos und Autoteilen entfallen mehr als zehn Prozent der Gesamtausfuhren. Die Regierung hat der Automobilindustrie bei ihren Plänen zur industriellen Entwicklung Priorität eingeräumt.

“Die Türkei wird als gutes Fertigungszentrum mit niedrigen Kosten gesehen. Die Löhne sind sehr attraktiv”, meint George Galliers, ein Analyst beim Forschungshaus ISI Evercore in London.

Die türkische Regierung hat zwei Minister entsendet. Sie sollen sich mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zu Gesprächen treffen, um ein Ende des Ausstandes herbeizuführen, sagt der stellvertretende Ministerpräsident Ali Babacan. “Ich hoffe, sie werden in den kommenden Tagen eine vernünftige Lösung finden.”

Hunderte von Mitarbeitern seien in der Fabrik und säßen untätig neben den Maschinen, berichtet eine Renault-Sprecherin. Das Unternehmen warte bei den Gesprächen auf die Regierung, fügt sie hinzu. Eine Ford-Sprecherin begrüßte ebenfalls das Engagement der Regierung. Dies sei “jetzt eine Entwicklung über die Unternehmen hinaus”.

Cengiz Eroldu, der Chef des Gemeinschaftsunternehmens von Fiat in der Türkei, Tofas Turk Otomobil Fabrikasi, traf sich am Montag mit Mitarbeitern in Bursa und forderte sie eindringlich auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. Er werde die Einzelheiten für eine Zusatzkompensation binnen einem Monat ausarbeiten, versprach er. Gesetzlich zu Lohnerhöhungen über die Tarifabkommen aus dem vergangenen Jahr hinaus ist das Unternehmen erst am 31. August 2017 verpflichtet.

Türkei baut Kapazitäten aus

Autobauer in Westeuropa haben Fabriken geschlossen oder verkleinert, um Kosten zu sparen. Die Türkei dagegen, der fünftgrößte Automobilhersteller in Europa, hat seine Autokapazitäten ausgebaut. Im Januar hatte Toyota Motor mitgeteilt, 450 Millionen Euro zu investieren, um die Kapazität um rund 50 Prozent auf 250.000 Fahrzeuge zu steigern. Tofas hatte im November angekündigt, 470 Millionen Euro locker zu machen, um seine Produktionslinien um zwei neue Modelle zu erweitern.

Der Arbeitsstreit hatte vergangenen Donnerstag begonnen. Mitarbeiter von Oyak Renault, einem Gemeinschaftsunternehmen des französischen Autoherstellers und dem Pensionsfonds der türkischen Armee, hatten ihre Arbeit unterbrochen. Sie sind erbost über das Lohnniveau. Zudem werfen sie ihrer Gewerkschaft, dem Arbeitgeberverband der Metallindustrie der Türkei (Mess) vor, für sie schlechte Bedingungen ausgehandelt zu haben.

Die Arbeitnehmer bei Renault waren besonders wütend, dass Arbeiter bei der nahegelegenen Autoteilefabrik von Bosch, die ebenfalls von Mess repräsentiert werden, eine Lohnerhöhung um 60 Prozent erhielten – auch wenn der Stundenlohn bei Renault nach wie vor um einen Bruchteil höher liegt. Fließbandarbeiter bei Tofas, dem Fiat-Joint-Venture, schlossen sich an und legten am Freitag die Arbeit nieder.

Mess vertritt viele Unternehmen im Autobereich, darunter Oyak Renault, Tofas und Ford Otosan. Die Organisation ließ wissen, es gäbe keine Veränderungen der Tarifvereinbarung bei Renault, die drei Jahre gültig ist. Die nach Worten der Gewerkschaft “illegalen” Proteste müssten beendet werden. Sie fügten dem internationalen Ruf und der Wettbewerbsfähigkeit der Türkei Schaden zu.

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Jason Chow und Emre Peker, Dow Jones Newswires/ks

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