Henner Lehne, IHS

Henner Lehne: Topthemen der Autoindustrie im Jahr 2016 und darüber hinaus bleiben autonomes Fahren und der Trend zum SUV. (Bild: Volk)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Lehne. China war 2015 ein schwieriges Pflaster für die Autoindustrie. Das neue Jahr hat dort mit massiven Kursverlusten an den Börsen begonnen. Ein böses Omen für das Autojahr?
Das kann, muss aber nicht sein. Man muss wissen, dass der Aktienmarkt in China von der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung und was speziell den Privatkunden angeht eine eher untergeordnete Relevanz hat. Aber: Die Entwicklung der Börse hat natürlich einen psychologischen Effekt. Das haben wir ja im Frühsommer erlebt, als die Absatzzahlen bei den Autos abstürzten. Etwas Ähnliches könnte dieses Jahr wieder geschehen. Aber: Der chinesische Automarkt ist bei weitem nicht kaputt. Es war eine Verkettung verschiedener Ursachen, die letztlich zu einer Abkühlung geführt hat, die stärker ausgefallen ist als auch von uns erwartet.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Waren Sie da kurz schockiert?
Nein, das nicht. Überraschend war nur das Ausmaß. In China kommt es ja auch darauf an, welche Daten man sich anschaut. In der Regel kommen die von der CAAM (China Association of Automobile Manufacturers, Anm. d. Red). Das sind aber Factory Sales Daten. Diese zeigen nicht, was die Kunden letztlich kaufen. Wir haben 2015 beispielsweise schon im vergangenen Februar massiv nach unten gehende CAAM-Zahlen gesehen, wo die Zulassungszahlen noch stabil waren. Was sagt und das? Es wurde schon früh Bestand bereinigt, indem man aus den Fabriken Autos zu Händlern verschoben hat, die in der Folge aber nicht gekauft wurden. Das hat dann mit Zeitverzögerung auf den Gesamtmarkt durchgeschlagen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Spätestens mit Wirksamwerden des Steuerprogramms für kleine Motoren hat der Markt wieder in den positiven Bereich gedreht. Bringt das mehr als bloße Vorzugseffekte beim Kauf?
Das Programm läuft 2016 noch weiter, insofern wird der Markt in diesem Jahr auch noch von dem Programm profitieren. 2017 werden wir einen gewissen Vorzugseffekt sehen – wie das ja meistens der Fall ist.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was bedeutet dies laut Ihrer Prognose in Prozenten?
Wir gehen für 2016 im Pkw-Bereich von einem ähnlichen Wachstumsniveau wie für 2015 aus, also rund 6,5 Prozent. Das obwohl das gesamtwirtschaftliche Wachstum sich weiter abschwächen wird. Schwieriger wird es 2017. Auch durch den Vorzugseffekt des jetzigen Förderprogramms erwarten wir dann nur noch 1,7 Prozent Wachstum im Pkw-Markt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das Gesamtmarktwachstum ist ja nur eine Kenngröße. 2015 gab es massiv unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Segmenten. Verlierer waren klassische Limousinen, die großen Gewinner, wer SUVs im Angebot hatte. Hier haben die China-Marken erheblich gegenüber den globalen OEMs aufgeholt. Wird das so weitergehen?
Ja, aber nur noch kurzfristig. Die westlichen Hersteller sind – denke ich – überrascht worden, wie schnell die lokalen OEMs die SUVs in den Markt geschoben haben. Das war ja zum Teil auch irre: Vor zwei Jahren ein Showmodell, waren die Autos zwei Jahre später auf der Strasse. Aber die globalen OEMs werden hier sehr schnell nachziehen. Die lokalen Hersteller hatten jetzt ein Erfolgsjahr, wir gehen aber davon aus, dass bereits in diesem Jahr deren Marktanteil von etwa 44 Prozent wieder sinken wird.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bleibt das SUV-Segment insgesamt “hot” in China?
Auf jeden Fall. Wir gehen nach unseren Prognosen davon aus, dass China weltweit der erste große Markt wird, in dem SUVs oder ähnliche Fahrzeuge auch absolut gesehen das größte Einzelsegment darstellen werden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bis wann wird das der Fall sein?
Zwischen 2020 und 2022.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was werden 2016 in China jenseits der Förderung kleiner Motroren und der Elektromobilität die bestimmenden Themen sein?
Sehr viel Bewegung ist in der gesamten Situation, wie die Hersteller mit ihren Händlern verfahren. Da rückt immer stärker das herrschende Ungleichgewicht in den Vordergrund. Die Händler, respektive die Händlerpartner beschweren sich massiv, dass sie kein Geld verdienen. Eine Ursache liegt in den Abnahmequoten, die wiederum Ursache für hohe Rabatte sind. Da wird es sicherlich Neujustierungen geben. Ein Topthema ist der online-Kauf von Autos in China. Das Thema nimmt ganz rasant an Fahrt auf. Angesichts der Rolle, die beispielsweise die Internetplattform Alibaba spielt, stellt sich bereits die Frage, ob es den klassischen Händler überhaupt noch braucht oder ob diese nur noch Auslieferungsstützpunkte für im Internet gekaufte Autos sind. Das gilt übrigens nicht nur für den Volumenbereich, sondern auch für Luxusautos.

AUTOMOBIL PRODUKTION: China war 2015 der eine ganz große Aufreger, VW der andere. Wie sehen Sie VW nach dem Abgasskandal?
Ich möchte mich im Detail in der Öffentlichkeit zu diesem Thema nicht äußern. Was ich aber sagen kann: Die Verwunderung bei uns war schon groß. Es ist ja kein Geheimnis, dass alle Hersteller bei den Emissionswerten den gesetzlichen Rahmen so weit wie möglich ausreizen. Was vorne drauf steht, kommt hinten nicht raus – bei keinem. Dass VW aber einen Schritt weiter gegangen ist, hat uns schon verwundert. Vor allem die globale Tragweite. Da haben wir uns schon gefragt, wie man da noch ruhig schlafen kann. VW muss jetzt die Konsequenzen tragen – als Konzern wie auch die verschiedenen betroffenen Marken.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ist der Diesel nach dem VW-Abgasskandal tot?
Nein. Ist er nicht. Klar ist der Diesel nun nochmal in den Fokus gerückt. Aber alles, was jetzt an schärferen Gesetzgebungen kommt, wurde ja weit vor dem Dieselskandal festgelegt. Die Anforderungen von Euro 6 sind schon sehr anspruchsvoll. Nun kommt noch das Real Drive Testverfahren hinzu. Dadurch wird die Möglichkeit, den gesetzlichen Rahmen weit auszudehnen, deutlich eingeschränkt. Entscheidend wird nun sein, ob es den Herstellern gelingt, Dieselmotoren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entwickeln. Es funktioniert ja mit den NOX-Werten, wie BMW und Daimler in den USA mit dem Einsatz der AdBlue-Technologie zeigen. Das kostet – je nach Aufwand – über 1.000 Euro zusätzlich. Da wird die Luft für Volumenmodelle schon dünn.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Bedeutet das im Umkehrschluss langfristig das Aus für kleine Dieselmotoren?
Man muss schauen, wie hoch der Aufwand wird, die Motoren konform zu bekommen. Es wird auf jeden Fall schwierig. Für einen Kleinwagen wie den Smart wurde der Diesel nicht ohne Grund aus dem Programm genommen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ist Elektromobilität der Sieger des Abgasskandals?
Es wird ihr einen Schub geben. Aber: Ist Elektromobiltät zum jetzigen Zeitpunkt des Rätsels Lösung? Ich glaube nicht. Damit sich E-Mobilität durchsetzt, müssen die Rahmenbedingungen wie Kosten, Reichweite, Ladezeit passen. Und diese passen nicht – zumindest noch nicht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was werden die großen Themen 2016?
Technologisch sicherlich auch über 2016 hinaus das autonome und das teilautonome Fahren. Hier wird die Mercedes E-Klasse einen weiteren Meilenstein setzen. Für die Industrie werden Verbrauchseffizienz und neue Fahrzyklen Themen sein, die beim ein oder anderen bestimmt für Kopfschmerzen sorgen. Auf der Modellseite werden SUVs und dabei speziell das B- und C-Segement eine große Rolle für die Branche spielen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und auf der Marktseite? 2015 war China schwierig, Russland und Brasilien waren katastrophal. Wie geht es da weiter?
Russland und Brasilien bleiben ganz, ganz schwierig. Sie haben mich nach dem Tiefpunkt des Jahres 2015 gefragt. Das war sicherlich Brasilien. Es war schon überraschend wie steil und wie schnell es dort bergab gegangen ist. Land ist dort lange nicht in Sicht, ebensowenig in Russland.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aus welchen Märkten erwarten Sie 2016 positive Entwicklungen?
USA und Westeuropa werden weiter zulegen, auch die ASEAN-Region sollte sich berappen. Ein deutliches Wachstum von etwa neun Prozent sehen wir in Indien. Über China haben wir gesprochen. In Summe erwarten wir 2016 ein globales Wachstum von 2,7 Prozent – nach 1,4 Prozent im vergangenen Jahr.

Das Interview führte Frank Volk

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