Wir geben zu, auch wir haben schon das Requiem auf die Traditions-Marke Alfa Romeo gesungen. Immer wieder gab es große Ankündigungen und Produktpläne, die schon ein paar Wochen später nicht mehr das Papier wert waren, auf dem sie gedruckt wurden. Doch jetzt steht sie vor uns in Blech und Öl: die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio. Diesmal soll das Fahrzeug das Kleeblatt, das für Leistung und Agilität, also die Werte, die Alfa großgemacht haben, auch verdienen. Das ist auch dringend nötig. Die italienische Traditionsmarke vegetiert seit Jahren vor sich hin, da ist ein automobiler Volltreffer fast lebensnotwendig. Alfa-Chef Harald Wester, der normalerweise nicht für seine blumige Ausdrucksweise bekannt ist, fragt voller Selbstbewusstsein: "Sind Sie bereit, echte Emotionen zu fühlen?"

Die bullig-maskuline Optik mit den vier kraftstrotzenden Posaunen am Heck verspricht schon mal Aufsehen auf den Flaniermeilen. Das Versprechen wird gehalten. Kaum gleitet man in die bequemen Sportsitze, die einen umschmiegen, wie ein gut sitzender Handschuh, fühlt man sich auch im Inneren der Top-Giulia wohl. Die rasante Belladonna soll vor allem BMW M3- und M4-Kunden zu Alfa Romeo locken. Das spürt man in vielen Details: Angefangen von Cockpit mit den klassischen Rundinstrumenten, bis hin zum abgespeckten "Italo-iDrive-Bedienkonzept" mit Drehregler und ähnlich intuitiver Handhabung. Im Detail kann die Alfa-Version nicht mit dem Münchner Vorbild mithalten. Vor allem bei der Konnektivität hinken die Italiener noch hinterher - Android Auto und Apple CarPlay sind noch nicht machbar, sollen aber folgen, verspricht Alfa. Auch wenn die Verarbeitungsqualität und die Anmutung der Materialien schon deutlich besser sind, als die Fugen-Sünden der Vergangenheit, erreichen sie nicht das Niveau der deutschen Mitbewerber. Beim Raumangebot haben die Alfa-Ingenieure ganz genau nach München geschaut: Der Kofferraum entspricht mit einer Ladekapazität von 480 Litern exakt dem des BMW 3ers und auch die Platzverhältnisse im Fond ähneln dem des Münchner Mittelklasse-Modells.

Das alles tritt aber in den Hintergrund, sobald man den Motor per Knopfdruck (im Lenkrad) startet. Heißer röchelnd erwacht der 2.9-Liter-Sechszylinder-Biturbo-Benziner zum Leben. Gierig hechelt das Alu-Triebwerk schon in der Leerlauf-Drehzahl nach Luft und schaufelt sie voller Inbrunst in die Brennkammern. "Die Maschine ist eine Alfa-Romeo-Entwicklung und kommt nicht von Ferrari", verweist ein Ingenieur anderslautende Annahmen in das Reich der Fabel. Mit einem kurzen Klacken rastet der erste Gang des manuellen Schaltgetriebes ein. Wie Usain Bolt sich aus den Startblöcken katapultiert, springt der 1.655 Kilogramm schwere Mittelklasse-Wagen nach vorne. Schon nach wenigen Metern ist klar: Hier schafft Alfa Romeo den Befreiungsschlag.

Kurze Wege

Das satt klingende Verbrennungsstakkato schwillt mit jedem Index auf dem Drehzahlmesser an, fordert den Fahrer zu mehr Einsatz auf, ohne jedoch allzu aufdringlich zu werden. Der Pilot kann dem Vehikel ohne Rücksicht auf Verluste die Sporen geben: Nach 3,9 Sekunden erreicht die Giulia Landstraßen-Tempo und fliegt weiter über den Asphalt, bis 307 km/h erreicht sind. Da das maximale Drehmoment von 600 Newtonmetern schon bei 2.500 Umdrehungen Gewehr bei Fuß steht, lässt sich das temperamentvolle Kleeblatt-Mobil auch entspannt bewegen und eine Zylinderabschaltung hilft, den Norm-Benzindurst auf 8,5 l/100 Kilometer zu drücken.

Die Gangschaltung ist so, wie man sie sich bei einem echten M3-Konkurrenten vorstellt: knackig, mit kurzen Wegen. Da hat der Fahrer sein Glück noch in der eigenen Hand. Damit wird die Achtgang-Automatik, die etwas später für die Quadrifoglio zu haben sein wird, fast überflüssig. Der Kurventanz übertrifft diesen Genuss noch: Anbremsen, einlenken, rauf aufs Gas und Feuer frei. Der flotte Italiener hält jedes Versprechen, dass die Manager vorher gegeben haben. Bei schnellen Kurven erhöht ein aktiver Front-Spoiler den Anpressdruck auf der Vorderachse und maximiert so die Einlenk-Traktion. Die Lenkung spricht aus der Mittellage direkt an und hilft das 4,64 Meter lange Geschoss präzise auf der Bahn zu halten. Die 50:50-Gewichtsverteilung tut ein Übriges.

Günstiger als BMW M3

Die Konsequenzen aus dieser gelungenen Fahrdynamik-Melange fasst man am besten als vertrauensbildende Maßnahme zusammen. Egal, wie ausgeprägt die Richtungsänderung auch ist, das Heck lenkt dank Sperrdifferenzial und aktivem Torque-Vectoring willig ein, bleibt dann lange stoisch ruhig und kündigt mit einem ganz leichten Tänzeln das Herannahen des Grenzbereiches an. Wie ein perfekt austariertes Küchenmesser liegt die Giulia so ruhig in der Hand des Piloten, dass man bald den Fahrerlebnis-Schalter von "Dynamic" auf "Race" stellt. Da ist alles noch eine Spur schärfer und das ESP greift nur im äußersten Notfall ein. Doch die Giulia stellt den Fahrer auch dann nicht vor unlösbare Probleme. Per Knopfdruck straffen sich die Dämpfer, ohne knochig unkomfortabel zu werden. "Das ist auch ein Resultat der hohen Torsionssteifigkeit dieser Plattform", betont Harald Wester.

Am 17. Juni steht die Alfa Romeo Giulia beim Händler. Den Anfang macht die Quadrifoglio-Version gemeinsam mit drei Dieselmodellen: 100 kW / 136 PS (erscheint nur in Deutschland und Frankreich), 110 kW / 150 PS und 132 kW / 180 PS. Im Laufe des Jahres folgt dann ein Zweiliter-Vierzylinder-Benziner mit 200 PS, ehe gegen Ende des Jahres stärkere Allrad-Versionen die Modellpalette komplettieren. Wenn der Varianten-Köcher prall gefüllt ist, will Alfa 4.000 Giulias pro Jahr in Deutschland verkaufen. Davon soll jedes zehnte Modell ein Quadrifoglio sein. Übrigens: Mit einem Grundpreis von 71.800 Euro unterbietet der Italiener den Münchner M3-Athleten um 800 Euro.

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