Marcus Berret, Head of Global Automotive Competence Center, Roland Berger

"Führungskräfte müssen zügig lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Das wird über Wohl und Wehe entscheiden", sagt Marcus Berret, Head of Global Automotive Competence Center, Roland Berger. (Bild: Roland Berger)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie orten vier Mega-Trends: Erstens, hoher regulatorischer Druck zur weiteren Reduzierung der CO2-Emissionen und zur weiteren Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten. Zweitens, ein sich dramatisch veränderndes Verhalten seitens der Endkunden. Drittens, strategische Investitionen von neuen Spielern mit dem Versuch, Mobilität neu zu gestalten, und viertens, neue technologische Möglichkeiten, die hohe Potenziale zu überschaubaren Kosten ermöglichen. Wie soll ein Zulieferer diese Veränderungen in voller Gänze parieren?
Ich sehe das so: Den Zulieferern geht es nach wie vor sehr gut. Die Umsätze wachsen in 2015 und 2016 zwar etwas langsamer, aber sie wachsen. Und die Rendite ist mit annähernd 7,5% EBIT-Marge im weltweiten Durchschnitt nach wie vor auf Rekord-Niveau. Wir reden schon einige Jahre darüber, dass die Herausforderungen zunehmen. Aber jetzt sind wir definitiv an einem Punkt, an dem vielen klar wird, dass sich die nächsten 10 Jahre in unserer Industrie mehr verändern wird als in vielen Jahrzehnten zuvor.  

AUTOMOBIL PRODUKTION: Kommen die Gefahren also erst jetzt auf die Zulieferer zu?
Es haben sich in den letzten Monaten viele der Trends – zumindest in der Wahrnehmung – deutlich verstärkt. Keines der Themen ist wirklich neu, aber die Gleichzeitigkeit und die Dynamik hat die meisten Zulieferer überrascht. Das Kernproblem dabei ist, dass die Management-Teams der Zulieferer nahezu jede Woche viele sehr langfristig wirksamen Entscheidungen treffen müssen: beispielsweise Veränderungen im Produktportfolio, Vorleistungen für einen konkreten Auftrag, oder den Aufbau eines neuen Werkes. All das sind Entscheidungen, die sich oft erst auf 10 oder 15 Jahre rechnen. In der Vergangenheit hat das funktioniert. Aber nun ist ein hohes Maß an Unsicherheit in unserer Industrie. Wie schnell setzte sich die Elektromobilität durch? Wie schnell wird automatisiertes Fahren Realität? Wie schnell verändern die Endkunden ihr Kaufverhalten? Diese Fragen haben massive Auswirkung auf unsere Industrie. Und die Antworten waren nie so unklar wie heute. Das einzige, was man mit recht hoher Sicherheit sagen kann ist, dass der Wandel höchstwahrscheinlich schneller von statten gehen wird als die meisten das bis vor ein paar Monaten noch geglaubt haben.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie kann ein Zulieferer das alles gleichzeitig bewältigen? Was raten Sie Ihren Kunden?
Erstens müssen die Entscheider bei den Zulieferern viel stärker in Szenarien denken. Die Sicherheit der letzten Jahrzehnte gibt es nach vorne gehend in vielen Produktbereichen nicht mehr. Zum zweiten ist dann sicherzustellen, dass die Entscheidungen nicht nur für ein Szenario Sinn machen, sondern für alle oder zumindest für mehrere "stabil" sind. Die Zulieferer müssen deutlich flexibler agieren wenn Sie nicht in ein paar Jahren vor Investitionsruinen stehen wollen. Das gilt für das Produktportfolio, das gilt für das erforderliche Kompetenzportfolio, für die interne Organisation, für den Footprint oder für die Art und Weise in der die einzelnen Werke ausgestattet werden. Und drittens müssen die Zulieferer nach vorne gehend viel genauer als in der Vergangenheit die kleinen Signale des Marktes aufnehmen und daraus ableiten, ob sie gegebenenfalls das Zukunftsbild – und damit ihre Entscheidungen – anpassen müssen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie gehen die Führungskräfte damit um?
Das alles ist eine sehr große Umstellung für die Führungskräfte. Natürlich gab es auch in den vergangenen Jahren Unsicherheiten in der Automobilindustrie. Aber letztendlich war das in all den Jahren eine sehr "lineare" Industrie. Wir haben in der Vergangenheit über so Fragen diskutiert wie "werden die Materialkosten pro Jahr um 1,7 oder um 1,9 Prozent reduziert?". Oder "haben wir in Zukunft 12 oder 14 Airbags je Fahrzeug?". Und jetzt steht da zum Beispiel die Frage im Raum, ob größere Städte in Europa oder gar in Deutschland in den nächsten 1-2 Jahren Einfahrverbote für Diesel-Fahrzeuge erlassen. Solche Entscheidungen würden einem Todesurteil für den Dieselantrieb im Pkw gleichkommen. Und das innerhalb kürzester Zeit.
Die Führungskräfte müssen zügig lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Das wird über Wohl und Wehe der Unternehmen entscheiden. Und diese Anpassung ist nicht leicht.

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