Henner Lehne, IHS

"Opel ist schon weiter als mancher Kritiker voraussagen wollte", sagt Henner Lehne, Senior Director Global Light Vehicle Forecasting IHS Automotive. (Bild: IHS)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Lehne, was war schlecht mit Blick auf die Entwicklung in der Automobilindustrie 2014 und was wird 2015 besser?
War etwas schlecht in 2014? Aus globaler Sicht nicht wirklich. Ein Rekordwachstum von 3,6 Prozent und knapp drei Millionen zusätzliche Neufahrzeuge geben kaum Anlass zur Beschwerde. Regional gibt es natürlich schon einige Enttäuschungen, allen voran der südamerikanische Markt. Vieles, was in 2014 schon gut war, wird in 2015 besser. Für dieses Jahr erwartet IHS einen globalen Anstieg des Wirtschaftswachstums von 2,7 (2014) auf drei Prozent. Allen voran die USA, aber auch die Eurozone und Indien werden wieder auf Wachstumskurs gehen. Der schwache Ölpreis und Stimulationen verschiedener Zentralbanken sind die Haupttreiber für dieses stärkere Wachstum. Davon profitieren die Wirtschaft und somit am Ende auch die Arbeitnehmer und Verbraucher.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie wird sich angesichts des stärkeren Wirtschaftswachstums insgesamt die Autoindustrie entwickeln?
Für 2015 erwarten wir ein globales Wachstum des Autoabsatzes von 2,4?Prozent. Das ist ein wenig verhaltener als noch im letzten Jahr, wo wir ein Wachstum von ungefähr 3,6?Prozent hatten. In absoluten Werten wird trotzdem ein zusätzliches Absatzvolumen von 2,1 Millionen Fahrzeugen generiert.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Durch den Ausfall wichtiger Wachstumsmärkte wie Brasilien, Indien und Russland ist die Bedeutung Chinas als Zugpferd für die weltweite Autoindustrie noch wichtiger geworden. Zuletzt gab es aber deutliche Ermüdungserscheinungen. Mit welcher Entwicklung rechnet IHS 2015 in China?
Das Wachstum in China wird sich auch in diesem Jahr weiter verlangsamen. Die Schulden- und Immobilienblase, Überkapazitäten in der Industrieproduktion, sowie unbeständige externe Nachfrage sind die größten Hürden für China in diesem Jahr. Die Regierung versucht derzeit im Balanceakt, die Überkapazitäten aus dem Markt zu nehmen, aber dabei das Wachstum nicht komplett abzuwürgen. Wir gehen derzeit von einem GDP Wachstum von 6,5 Prozent aus. Sollte es Indikatoren geben, dass dieser Wert unterschritten wird, ist ein massiver Einsatz von staatlichen Konjunkturpaketen zu erwarten

AUTOMOBIL PRODUKTION: …und was bedeutet das Szenario für die Autoindustrie?
…im Automobilsektor erwarten wir auch eine leichte Abkühlung der Nachfrage; jedoch wird das Wachstum mit sieben Prozent und 1,6 Millionen Einheiten immer noch sehr stabil sein. Produktionsseitig sieht es nicht anders aus. Wir erwarten dort ein Wachstum von 7,1 Prozent. Damit bleibt China nach wie vor der Wachstumsmotor der globalen Automobilindustrie.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Müssen sich Hersteller und Zulieferer in China dauerhaft auf niedrigeres Wachstum einrichten und was hat das für Folgen?
Ja, längerfristig muss mit niedrigeren Wachstumsraten in China gerechnet werden. Ab 2018 werden die fünf Prozent unterschritten und pendeln sich bis 2020 bei durchschnittlich drei Prozent ein. Aber durch die Größe Chinas sind es immer noch zwischen 700?000 und 900?000 zusätzliche Einheiten jährlich. Damit bleibt China auch weiterhin der globale Wachstumsmotor. Diese Verlangsamung des Wachstums beruht primär auf den Auswirkungen staatlicher Reglementierung und nicht auf dem Rückgang des Wunsches, ein Fahrzeug zu besitzen. Daher werden wir durch diese langfristige Verlangsamung einige strukturelle Veränderungen im Markt sehen. Nicht nur, dass sich der Wettbewerb noch weiter verschärft, was in der Regel nicht gut für die lokalen Marken ist, sondern auch die zunehmende Bedeutung des Gebrauchtwagen-Marktes wird ein anderes Marktumfeld als heute schaffen. Derzeit spielen Gebrauchtwagen noch so gut wie keine Rolle in China.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wenn China schwächelt, aus welchen Märkten kommen positive Impulse?
Wie gesagt: Auch wenn sich das Wachstum in China verlangsamt, wird das Land der globale Wachstumsmotor bleiben. Aber auch der Rest der BRICS-Staaten, um die es derzeit nicht allzu gut bestellt ist, wird ihren Beitrag leisten und mit zusätzlichen Wachstumsimpulsen zu einer kontinuierlichen Steigerung der Neufahrzeugabsätze beitragen. Indien wird mit Abstand der am zweitstärksten wachsende Markt sein und sich von 3,2 Millionen Einheiten in 2015 auf knapp 7,5 Millionen Einheiten in 2025 entwickeln. Brasilien und Russland werden mittelfristig auch wieder auf Wachstumskurs kommen, haben aber bei weitem nicht das Potenzial wie Indien. Außerhalb der BRICS gilt es die ASEAN-Märkte im Auge zu behalten und hierbei speziell Indonesien.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Stichwort Russland ? die Lage dort sieht düster aus…
Ja. Und wir werden auch 2015 keine Erholung sehen. Ganz im Gegenteil. Wir werden die vollen Auswirkungen der Krise erst richtig zu Gesicht bekommen. Konnte Russland in 2014 noch ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent aufweisen, haben das dritte und vierte Quartal letzten Jahres schon mal gezeigt, wo die Reise hingehen wird. Für 2015 erwartet IHS eine starke Rezession, in der das BIP um vier Prozent zurückgeht. Ist die Neufahrzeugnachfrage mit einem Rückgang von zirka zehn Prozent im letzten Jahr noch nicht allzu stark betroffen gewesen, wird in diesem Jahr der Hammer mit weiteren 30 Prozent Rückgang kommen. Das Gesamtmarktvolumen wird 1,81 Millionen Einheiten nicht überschreiten. Russland ist somit fast wieder da unten, wo es in 2009 in der Krise war.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie sehen Sie die Situation in Westeuropa? 2014 gab es Wachstum, das war aber mit Incentives teuer erkauft. Wird sich die Erholung fortsetzen?
Davon gehen wir aus. Aufregend wird es aber nicht. Wir erwarten ein Wachstum von knapp 2,3 Prozent und eine positive Entwicklung in den großen westeuropäischen Märkten. Hauptfaktoren sind die Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und ein hoher Ersatzbedarf in Kombination mit anhaltenden Incentives.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Lassen Sie uns von den Märkten noch auf die Marken schauen. 2014 war ein großes Comeback-Jahr für Mercedes. Kann Daimler das eingeschlagene Wachstumstempo halten?
Wir erwarten, dass Daimler seine Pace in 2015 sogar noch steigern kann. Ist die Gruppe inklusive der leichten Nutzfahrzeuge in 2014 um zirka 8,7 Prozent gewachsen, prognostizieren wir für 2015 ein Wachstum von rund 10,6 Prozent. Die C-Klasse, sowie GLA, CLA und der neue Smart sind die Haupttreiber des Wachstums. Aber auch die neue S-Klasse, sowie die anderen Angebote der SUV Palette, werden einen starken Beitrag zu einem weiteren Erfolgsjahr für die Stuttgarter liefern.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein wichtiges Jahr wird 2015 auch für Opel. Hier erfolgt die Weichenstellung, ob die Marke 2016 tatsächlich wieder in die Gewinnzone kommen kann. Wie sieht es aus?
Was Opel bisher geschafft hat, ist beindruckend und zeigt, wozu gutes Marketing gepaart mit innovativem Produktdesign in der Lage ist. Opel ist jetzt schon weiter als so manch ein Kritiker hatte voraussagen wollen. Nichtsdestotrotz wird es sich jetzt erst zeigen, wie gut die Basisarbeit war. Der Corsa sowie der Astra treten in den zwei wettbewerbsintensivsten Segmenten an, die es in Europa gibt. Die Konkurrenz ist stark und wird freiwillig keine Marktanteile hergeben. Aber genau der Erfolg dieser zwei Fahrzeuge wird darüber entscheiden, ob Opel es schafft, wieder nachhaltig in die schwarzen Zahlen zu kommen oder nicht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Technologie-Trends werden das Jahr 2015 prägen?
Trotz des niedrigen Spritpreises wird das Thema CO2-Effizienz weiterhin einer der größten Trends in 2015 sein. Hybrid, Plug-In-Hybrid und Elektrofahrzeuge werden vermehrt in die Portfo­lien aufgenommen. Auch werden wir zumindest auf den Teststrecken immer mehr zum Thema autonomes Fahren zu sehen bekommen und das Thema Entertainment/Infotainment wird sich auch immer weiter entwickeln.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und welche Marken könnten 2015 positiv überraschen, respektive negativ?
Positiv sehen wir die Entwicklung bei Ford und Honda, negative Überraschungen könnten von Peugeot und Chevrolet kommen. Letzere Marke wegen des Rückzugs aus Europa.

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Das Interview führte Frank Volk

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