Die 265 Meter lange und 34 Meter MV Parsifal ist ein stattliches Schiff. Einer der größten Autotransporter der Welt legt gerade in Bremerhaven an, seit Jahrzehnten größter Autoumschlagplatz der Welt. Das Schiff der so genannten RoRo Mark V-Klasse hat Platz für 6.004 Auto, eine Kraft von 27.374 PS und wird von einer 7,30 Meter großen Schiffsschraube über die Meere bewegt. Kaum ist der 54 Meter hohe Trum vertäut, geht es auch schon los. Die gewaltige Heckklappe mit der Traglast von 500 Tonnen gibt langsam den Blick in den riesigen Rumpf des 74.622 Tonnen schweren Schiffs frei, das an sich ein 53.270 Quadratmeter großer Parkplatz ist - überdacht und schwimmfähig. Supervisor Michael von Harten macht per Auto einen ersten Check über die neun Decks, von denen sechs in ihrer Höhe fixiert sind und drei bis zu 7,10 Meter hoch sein können. Decks, die denen einer normalen Autofähre nicht nur in ihrer Optik, sondern auch ihrem Geruch nach stark ähneln. Damit das Gemisch von Meer, Fisch, Gummi und vor allem Abgasen nicht zur tödlichen Falle wird, dafür sorgt eine kräftige Lüftungsanlage. Wer noch vor dem Einlaufen der MV Parsifal gehofft hat, sich gleich inmitten von mehreren tausend Fahrzeugen zu wähnen, der wird beim Anblick der Ladung enttäuscht. "So ein Car Carrier fährt ja nicht nur einen Hafen an. Allein der hier heute hat, bevor er sein eigentliches Ziel in Japan erreicht, 13 Zwischenstationen. Wenn da nicht ganz genau geplant wird, was wo wie hinkommt, wird es eng mit dem Zeitplan", erklärt der Supervisor.

Der Anblick völlig leer stehender Decks wird durch die Vielfalt der Ladung allerdings schnell wieder wettgemacht. "Neben den Kfz-Verladungen haben wir noch die high and heavy-Rubrik. Ob Kran, Lkw, Kettenfahrzeuge oder ähnliches - wir haben für jeden Typen extra ausgebildete Fahrer, die jedes nur gewünschte Objekt an Bord fahren können", ruft Michael von Harten noch kurz und verschwindet wieder im Bauch des Schiffs. Während des schier unaufhörlichen Stroms fabrikneuer Fahrzeuge, der aus dem Heck des Schiffs gen Festland fließt, rollen in regelmäßigen Abständen bis auf den letzten Platz mit eben jenen Fahrern belegte Kombis und Vans wieder zurück auf das Schiff. Hier weiß jeder ganz genau, welches Fahrzeug er wann und wo hinzufahren hat. Anders wäre der Arbeitsalltag im Autoterminal Bremerhaven auch gar nicht denkbar. Allein im vergangenen Jahr wurden hier 2.253.000 Fahrzeuge und 1.240.000 Tonnen High and Heavy Cargo umgeschlagen. Auf den Tag heruntergerechnet sind das fast 6.200 Fahrzeuge und 3.400 Tonnen Cargo. Hinzu kommen täglich 26 Autozüge mit 5.000 Autos.

Nachdem ein Fahrer sein Zielfahrzeug besetzt hat, kann er es auch sogleich starten. Die Schlüssel liegen bereits im Fahrzeug. Ein Zustand, der sich, solange sich das Auto im Hafengebiet befindet, nicht ändern wird. Als nächstes steht für die stählernen Neuankömmlinge eine genaue Untersuchung auf dem Plan. Bei der Pre Delivery Inspection, kurz PDI, wird jedes Fahrzeug von allen Seiten begutachtet. Selbst kleinste, für den Laien kaum oder gar nicht wahrnehmbare Schäden werden hier genauestens protokolliert und ausgebessert. "Die Transportschadensquote liegt bei unter zwei Prozent. Aber: Wir haben hier in Bremerhaven eine der größten Autowerkstätten der Welt", schwärmt Ivo Thamm von der BLG Autoterminal Bremerhaven GmbH und Co. KG. Wer jetzt glaubt, dass diese nur für eventuell auftauchende Transportschäden verantwortlich sind, liegt falsch, wie es am Beispiel des Sondermodells Suzuki Jimny Ranger gut nachzuvollziehen ist. "Allein im vergangenen Jahr sind 4.059 Jimny aus Japan in Bremerhaven eingetroffen. Knapp die Hälfte von ihnen wurde von unseren Kunden in ganz Europa als Sondermodell Ranger geordert. Den Umbau vom Serien-Jimny zum Sondermodell machen wir hier. Soll heißen: Aufkleber dran, Trenngitter rein, neue Laderaumauskleidung installieren und die Anhängerkupplung montieren", sagt Jens Baron, Qualitätskoordinator von Suzuki. Doch nicht nur Suzuki, sondern jede andere Marke bekommt hier ihren Feinschliff. "Das geht bei der sehr genauen PDI los und endet auf dem Lkw. Wir nehmen alle technischen Umrüstungen entsprechend den Zulassungsbedingungen in den jeweiligen Bestimmungsländern an den Fahrzeugen vor, die der Kunde wünscht. Ob Sonnendach, Navigationssystem, Klimaanlage, Ledersitze, Sportfelgen oder Anhängerkupplungen - wir können und machen nahezu alles", schwärmt Frank Berger, der Chef des Qualitätsmanagements der BLG.

Stillstand ist Rückschritt

Selbst eine eigene Lackiererei hat die BLG auf ihrem gewaltigen Gelände errichtet. Vom kleinen Transportschaden bis hin zur Komplett-Restaurierung ist hier alles möglich. Mithilfe unzähliger Datensätze und eines Mischcomputers lässt sich jeder Originalfarbton nachmischen. Damit dieses Team auch ständig volle Hallen hat, dafür sorgen schon fast allein die amerikanischen Hersteller. Die Lacke aus den USA seien zwar gut, heißt es in Bremerhaven. Die Verarbeitung hingegen nicht. Soll heißen, dass von 100 importierten US-Fahrzeugen knapp zehn zur Nachbesserung müssen. Damit während der kurzen Zeit, die die Fahrzeuge nach ihrer Ankunft auf einem der 95.000 Stellplätze verbringen, nicht noch ein Hagelschaden hinzukommt, kann die Hälfte von ihnen in den Regale genannten Parkhäusern stehen. Das letzte der insgesamt acht Regale ist erst vor rund einem halben Jahr fertig gestellt worden.

"Wir haben auf dem Autoterminal ein weiteres Regal mit mehr als 7.000 Stellplätzen gebaut. Eine Investition von 20 Millionen Euro, die der deutschen Automobilindustrie signalisiert hat, dass Bremerhaven sich für die Zukunft rüstet, dass die 2,3 Millionen Fahrzeuge, die wir dort im Jahr 2015 umgeschlagen haben, noch zu steigern sind, wenn es denn der Markt verlangt", erklärt der Vorstandsvorsitzende der BLG-Gruppe Frank Dreeke. Neben den acht Regalen bietet aber auch noch die Mitsubishi-Halle mehr als 4.000 Fahrzeugen ein sicheres Dach über den Dächern. Dass aktuell in genau dieser vollbesetzten Halle ausschließlich Sportwagen aus Zuffenhausen stehen, lässt einen ungefähren Eindruck über die in Bremerhaven geparkten Werte erahnen. Sind alle Umbauten abgeschlossen, kann das Fahrzeug seine vorerst letzte Reise zum Händler antreten. Ob per Autozug oder Lkw spielt hier in Bremerhaven keine Rolle. Die meisten Kunden können es kaum erwarten, selbst am Steuer zu sitzen.

Dass im Autoterminal im hohen Norden Deutschlands rund um die Uhr solche Automassen überhaupt gehandhabt und letztendlich auch umgeschlagen werden können, verdankt die Autoindustrie dem RoRo-Prinzip. Mit RoRo ist die Abkürzung des englischen Begriffs Roll On Roll Off gemeint. Eines der ersten RoRo-Schiffe ist der Frachter Odin aus dem Jahr 1925. 240 Fahrzeuge fanden auf der schwimmenden Garage des Hamburger Reeders Arnold Bernstein Platz. Nach der Weltwirtschaftskrise 1928 kam diese Art der Verladung jedoch erst in den 50- und 60er Jahren, getrieben von den Exportschlagern VW Käfer und Bulli, so richtig ins Rollen. Die größte Reederei für Automobiltransporte Wallenius ist mit ihren gewaltigen Schiffen ständig in Bremerhaven zu Gast. Da ihre Flotte regelmäßig den Äquator kreuzt, lassen sich auf einigen dieser Schiffe auch vereinzelt blaue Container mit einem bekannten Aquavit-Logo erspähen. Zuvor wurden Fahrzeuge mit einem großen Kran einzeln an Bord eines Bananendampfers, wie die Stückgutfrachter gern genannt werden, gehievt und zwischen den großen Holzkisten geparkt. Auf Grund der geringen Stückzahlen von Exportfahrzeugen damals noch kein Problem. Ein Vorgehen, dass zwar heutzutage kaum noch vorstellbar, allerdings ab und an auch noch Anwendung findet, wie Ivo Thamm gern verrät: "Es gibt ja viele, exotische Häfen, die auf Grund ihrer geringen Größe nicht von einem großen Car Carrier angefahren werden können. Und was bietet sich da mehr an, als mit solch einem Stückgutfrachter, der ansonsten nahezu ohne Ladung zurückfahren müsste, die angeforderten Fahrzeuge oder Zubehörteile zu verschiffen? Die Cargo-Raten sind zudem unschlagbar."

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