Ein Fahrzeug in einer Lackierbox des Zulieferers Dürr.

Die EcoProBooth von Dürr vereint bis zu drei Lackiervorgänge in einer Box. (Bild: Dürr)

Dass Oberflächenbeschichtungen im Automobilbereich energetisch aufwendig sind, ist eine Binsenweisheit. Neben der klassischen Beschichtung metallischer Karosseriebauteile rückt mittlerweile die industrielle Fertigung von Kunststoffkomponenten, gerade mit Blick auf die Elektromobilität, in der Branche stark in den Fokus. Dass diese womöglich sogar zum wichtigsten Part innerhalb der gesamten Produktionskette zählt, zeigt sich beim Familienunternehmen Venjakob Maschinenbau.

Seit 1963 produziert das Unternehmen am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück Lackieranlagen und Lackierlinien. Bei dieser Thematik könne viel Geld ausgegeben, aber ebenso viel auch eingespart werden, hört man von den Oberflächenexperten. Teure Lacke, zeitaufwendige Maschinenreinigungen, das Einhalten von Umweltvorgaben sowie sich stets verändernde Trends bei Materialien und Lacken erfordern eine technische Ausstattung, die dem Anwender über Jahre hinweg die geforderte Flexibilität und damit auch entsprechende Investitionssicherheit bieten muss.

Eine modulare Beschichtungslinien von Venjakob.
Moderne Beschichtungslinien für Kunststoffkomponenten sind modular aufgebaut. (Bild: Venjakob)

Farbwechsel kosten keine Zeit mehr

Rund um dieses Anforderungsprofil hat Venjakob derzeit eine Gesamtanlage zur Oberflächenbehandlung vorgestellt, die auf einem Modulkonzept aufbaut. In ihr lassen sich – dem Trend zu Kunstoffkomponenten im Automobilbau gemäß – unter Verwendung von Nasslacksystemen Kunststoffteile lackieren und trocknen. Die einzelnen Maschinen – von der Vorbehandlung über die Lackierung bis hin zur Trocknung – wurden mit einer optimierten Individualausstattung versehen und zu einer Gesamtanlage zusammengesetzt. Darin lassen sich traditionelle 1K- und 2K-Lacke auf Lösemittel-Wasserbasis sowie UV-Lacke einsetzen. Die Anlage lässt sich mit Reinigungsmodulen, mit Aktivierungsmodulen mittels Beflammung, Plasma oder UV, einer Beschichtung, einer Trocknung, einer Frischluftversorgung sowie mit einer Abluftreinigung konfigurieren.

Über das anlageninterne Kommunikationssystem (Ethernet) sind sämtliche relevanten Systemparameter verfügbar und können über ein zentrales Bedienpanel der Anlage vorgewählt und eingestellt werden. Dies soll ein flexibles Zusammenspiel aller einzelnen Komponenten ermöglichen. Jedes Produkt erhält sein eigenes Rezept und jede Farbe kann parallel zur laufenden Produktion vorbereitet und innerhalb kürzester Zeit aktiviert werden. „Zeiträuber“ wie Farbwechsel lassen sich laut Venjakob parallel zur Produktion und schnellstmöglich mit minimalem Stillstand des Transports durchführen.

Im Bereich Kunststoff werden so etwa Mittelkonsolen, Frontpanels, Zierleisten (innen wie außen), Dachrelings, Lüftungsblenden, Climate-Control-Blenden oder Navi-Rahmen beschichtet. Die mögliche Größe der Bauteile sei dabei abhängig von deren Kontur. Venjakob gibt mit Blick auf die Spanne der zu beschichtenden Teile Dimensionen von einem Zentimeter – etwa bei Schaltern – bis hin zu zwei Metern beispielsweise für eine Dachreling an. Die neuesten Einsatzgebiete liegen dem Unternehmen zufolge im Bereich der Elektromobilität, dort konkret in der Beschichtung von Front- wie auch Touchpanels und von ganzen Ladesäulen.

Kaum vorstellbare Möglichkeiten

Eine höhere Effizienz und Intelligenz in Lackieranlagen sind die klar erklärten Ziele des Anlagenbaus. So spricht man beim Anlagenbauer Dürr mit Blick auf dessen jüngste Lackierkabinenentwicklung, die die Innen- und Außenlackierung vereinen soll, von „bislang kaum vorstellbaren Möglichkeiten“. Im Mai verkündete das Unternehmen die Patentanmeldung der sogenannten EcoProBooth, die bis zu drei Lackierungen in einer einzigen Arbeitsstation zusammenfasst. Mithilfe von vier Scara-Robotern zum Öffnen der Türen soll das System vor allem zwei Ziele erreichen: Prozesszeit sparen und Effizienz verbessern.

Während bei einer klassischen Trockenabscheidung das Verhältnis der Umluft zur Frischluft bei 80:20 liegt, sind es bei EcoProBooth 95:5. Der Prozessluft werden hier fünf Prozent Frischluft zugemischt, um einen sicheren Abstand zur unteren Explosionsgrenze einzuhalten. In jeder Ecke integrierte kleine Extrakabinen, sogenannte Service Cubicles, werden mit Frischluft gespült. Dadurch kann das Wartungspersonal die Kabine ohne Atemschutzausrüstung betreten. Muss etwa ein Roboter gereinigt werden, bewegt sich dieser zum Service Cubicle und streckt seinen Arm durch ein Verbindungsfenster in den Servicebereich.

Ein Mitarbeiter von Dürr steht in der Lackiererei vor einem Bildschirm.
Predictive Maintenance kann die Downtime von Lackieranlagen deutlich verringern. Bild Dürr

Steigerung der Effektivität

Eine marktreife KI-Anwendung stellte Dürr im Bereich der Advanced Analytics vor. Die KI-Anwendung kann Fehlerquellen identifizieren und optimale Wartungszeitpunkte ermitteln. Sie soll zudem bislang unbekannte Zusammenhänge aufspüren und mit diesem Wissen selbstlernend den Algorithmus an der Anlage anpassen. Die neue selbstlernende Anlagen- und Prozess­überwachung erweitert DXQanalyze. Die digitale Produktfamilie von Dürr beinhaltetet die Module Data Acquisition für die Erfassung von Produktionsdaten, Visual Analytics für deren Visualisierung sowie Streaming Analytics.

Advanced Analytics soll die Qualität auf der Prozessebene verbessern, indem es Anomalien feststellt, etwa durch eine Simulation der Aufheizkurve im Trockner. Denn bisher stehen den Herstellern nur Daten zur Verfügung, die Sensoren bei Messfahrten ermitteln. Die Aufheizkurven, die für die Oberflächenqualität der Karosserie von entscheidender Bedeutung sind, verändern sich jedoch, da der Trockner in den Intervallen zwischen den Messfahrten altert.

Durch das maschinelle Lernen simuliert das entsprechende Modul, wie sich die Temperatur bei unterschiedlichen Bedingungen verändert. „Dadurch erhalten unsere Kunden einen permanenten Qualitätsnachweis für jede Einzelkarosserie und können Anomalien feststellen“, sagt Gerhard Alonso Garcia, Vice President MES & Control Systems bei Dürr. Die Experten weisen mit Blick auf den Einsatz der Software DXQplant.analytics mit dem Modul Advanced Analytics darauf hin, dass sich damit die übergreifende Gesamtanlageneffektivität (Overall Equipment Efficency, OEE) steigern lasse.

Optimale Mengendosierung beim Sprühen

Dass oberflächenbasierte Anwendungen zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der Automobil- und Luftfahrtproduktion zählen, heben die Experten für Product Lifecycle Management, digitale Fabrik und Enterprise Information Management von Cenit hervor. Das schlagende Argument: Immer geht es um das endgültige Erscheinungsbild des zu behandelnden Produkts. Der Einsatz von Robotern für Sprühanwendungen habe sich in der Praxis bereits klar bewährt, so das schwäbische Unternehmen.

Sind die programmierbaren Helfer doch in der Lage, komplexen dreidimensionalen Bahnen zu folgen, was manuelle Verfahren in der gleichen Präzision und Iteration nicht gewährleisten können. Hier kommt das Thema Simulation der automatisierten Prozesse ins Spiel. Cenit stellte erst kürzlich eine prozessübergreifende und herstellerneutrale 3D-Simulationsplattform für Maschinen und Roboter vor. Diese soll auf einfache Art alle wichtigen Kriterien wie Muster, Oberflächenbedeckung, Sprühkegelausdehnung und Auftragsgeschwindigkeit unabhängig vom Roboterhersteller optimieren können.

Die Programmierung führe an der realen Anlage bei komplexen 3D-Oberflächen zu erheblichen Einschränkungen, da das reale Werkstück vorhanden und die Anlage verfügbar sein müsse. Die Simulationsplattform hingegen nutze für die exakte Bahnplanung die originalen CAD-Daten des Werkstücks, heißt es dazu. Wie die Cenit-Experten betonen, stellt die Prozesssimulation eine Optimierung der Roboter-Trajektorien sicher. Damit könne unter anderem eine optimale Mengendosierung des gesprühten Materials wie auch eine gleichmäßige Beschichtung der Oberfläche gewährleistet und die Abdeckung sichergestellt sowie Überschuss vermieden werden.

Plasmatechnologie schafft das Unmögliche

Des Dauerbrenners Materialkombination im modernen Fahrzeugbau nimmt sich Plasmatreat an. Denn mittlerweile bestehen fast 100 Prozent der Komponenten im Innenraum eines modernen Autos aus Kunststoffmaterialien oder Metall-Kunststoff-Verbindungen. Um sie sicher miteinander verkleben und mit dauerhaften Lackierungen versehen zu können, ist eine sorgfältige Oberflächenbehandlung unerlässlich. Anstelle der bisherigen Verfahren wie etwa des Beflammens von Kunststoff oder des Arbeitens mit lösemittelhaltigen Haftvermittlern wirbt das Unternehmen bei Bielefeld für die Plasmatechnologie, bei der ein hohes instabiles Energieniveau die Oberflächeneigenschaften fester Materialien wie eben jene von Kunststoffen verändert.

Plasma wird durch die Einkopplung von Energie in gasförmige Materie erzeugt, wobei den Elektronenhüllen der Gasatome einzelne Elektronen entzogen werden. Durch die Vorbehandlung mit Plasma will man optimale Voraussetzungen schaffen, um auch Materialien dauerhaft miteinander verbinden zu können, die bisher kaum oder gar nicht kompatibel waren. Anstelle des bislang eingesetzten Niederdruckplasmas, das ein Separieren von Teilen erforderlich machte, befördert Plasmatreat die in den 1990ern entwickelte Openair-Plasma-Technologie. Das Verfahren funktioniert unter Atmosphärendruck und benötigt deshalb keine separaten Kammern mehr. OEMs setzen dies insbesondere bei Baugruppen für den Fahrzeuginnenraum zur Reinigung sowie zur Aktivierung und Beschichtung von Materialoberflächen ein.

Die Kostenersparnis resultiert dabei aus verschlankten Produktionsprozessen sowie der Einsparung von Chemikalien und anderen Hilfsmitteln. Plasmatreat vermag seine Anlagen auch mit einer dreifachen Prozessüberwachung auszustatten. Dadurch soll etwa die spektrale Überwachung des Plasmastrahls zu einer gleichbleibend hohen Qualität des Plasmas beitragen. Die Aktivierung mit Openair-Plasma bindet freie Radikale an die Materialoberfläche, so dass beispielsweise beim Optical Bonding von Displays der sogenannte Bubble-Effekt, also die Bläschenbildung, unterbunden wird. Bei der Lautsprecherfertigung sparen die Hersteller durch die Plasmabehandlung nasschemische Primer ein, die nicht nur teuer sind, sondern auch die Umwelt belasten.

Das Tool Fastsuite für Sprühanwenungen als Software auf dem PC.
Tools wie Fastsuite ermöglichen hohe Standards in Qualität und Effizienz bei Sprühanwendungen. (Bild: Cenit)

Sie möchten gerne weiterlesen?