Das Connected Car sammelt jede Menge Daten und ist immer online.

Das Connected Car sammelt jede Menge Daten und ist immer online. (Bild: IBM)

AUTOMOBIL PRODUKTION:Herr Wollschläger, stört es Sie, dass wenn es um das Connected Car geht, hauptsächlich die Namen Apple und Google fallen und IBM zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine Nebenrolle spielt?
Wir arbeiten daran, dass sich das ändert. Wir sind in ganz anderen Bereichen unterwegs als Apple und Google. Wenn man sich das Connected Vehicle anschaut, dann gab es in der ersten Phase die bunten Dienste, also Music-Streaming und Video-Streaming in der zweiten Phase. Dann gab es eine dritte Phase wo die OEMs Richtung Facebook und Twitter gegangen sind und auch entsprechend Google-Anbindungen ermöglicht haben. Jetzt kommen wir in die Phase wo das Connected Vehicle Teil des Internet-of-Things wird und damit auch Transaktionen aus dem Auto heraus ermöglicht werden – sogenannte Microservices. Entsprechende Anwendungen gibt es schon in den USA. Dort können Sie zum Beispiel aus dem Auto heraus Kaffee oder Pizza bestellen. Die Bezahlung erfolgt über die Zugehörigkeit zum Mobility Service des OEMs. Das ist die nächste Phase und da kommen wir auch als IBM sehr stark in das Thema rein, weil man dafür Backend-Systeme braucht. Hier in Europa konzentrieren sich die Autobauer hingegen auf die ADAS-Funktionen, die für das autonome Fahren notwendig sind. Aber der ganze Bereich Connectivity mit anderen Industrien und Location-based Services sind Themen, die in der Diskussion in Deutschland zu kurz kommen. Die aber bei den OEMs sehr wohl diskutiert werden, weil man nämlich dort eine hohe Möglichkeit der Monetarisierung sieht.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Welchen Part spielt IBM bei der Entwicklung des autonomen Fahrens bis zur Serienreife?
Wenn Sie heute moderne Autos sehen, dann gibt es eine Vielzahl von Sensoren wie Kameras und Radar. Aber die Reichweite dieser ganzen Systeme geht bis 200 Meter beziehungsweise 100 Meter. Die Distanz ist zwar schon sehr gut, aber eine wirklich vorausschauende Fahrweise ist damit noch nicht möglich. Das heißt, wir brauchen zusätzliche Informationen, die über diesen Nahbereich hinausgehen. Wir arbeiten daran diese Informationen auf einer Plattform anderen Fahrzeugen zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel: Sie haben Geschwindigkeitsbegrenzungen. Nun hat nicht jedes Fahrzeug eine Kamera, um diese zu identifizieren. Aber sie haben vielleicht eine Connectivity im Auto, eine Verbindung. Sie könnten also von einem Fahrzeug was eine Kamera hat an die Fahrzeuge die nach ihnen folgen eine Message auf das Display schicken „Achtung Geschwindigkeitsbegrenzung“ in 500 Metern. Gleiches gilt für andere Verkehrssitutionen. Wir bieten dafür Backend-Systeme an.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Verschiedene Zulieferer sprechen davon, dass das autonome Fahren (zumindest auf der Autobahn) bis 2020 serienreif ist. Teilen Sie diese Einschätzung?
2020 halte ich für realistisch. Das Problem wird eher sein die legalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das ist etwas wo wir als IBM gefragt sind mit einer Backend-Plattform mit der wir gewisse Services nur in bestimmten Regionen zur Verfügung stellen. Schließlich haben wir selbst in Europa unterschiedliche Gesetzgebungen hinsichtlich der Nutzung von Daten. Dementsprechend müssen bei Grenz-überschreitenden Verkehr verschiedene Services aktiviert oder deaktiviert werden.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Wie hoch ist der Anteil an den Daten, die ein modernes Auto Tag für Tag sammelt, die heutzutage tatsächlich genutzt werden?
Es hängt aber immer davon ab, welchen Service man in Anspruch nimmt. Beispielsweise: Sie haben eine reine Machine-to-Machine-Kommunikation mit kurzen Nachrichten, wie Stauwarnungen; da haben sie zwar eine sehr hohe Frequenz, aber nutzen nur eine kleinen Teil der Bandbreite des Datennetzes. Es gibt Studien, die sagen, dass 2020 das vernetzte Fahrzeug an die 90 Prozent des Datentraffics ausmachen, aber nur vier Prozent des Datenvolumens. Wie viele Daten werden erzeugt und wie viele Daten werden übertragen. Das ist der große Unterschied. Wir gehen von viel kleineren Datenmengen aus, die aber hochfrequent sein werden.

Dirk Wollschläger IBM

Wollschläger hält es für realistisch, dass das autonome Fahren bis 2020 serienreif ist. Bild: Tom Maurer

AUTOMOBIL PRODUKTION:Was wird dank optimaler Analyse der Daten in Zukunft möglich sein? Welchen Service kann man dem Autofahrer, aber auch dem OEM anbieten?
Unsere Stärke liegt sehr stark in dem Bereich Analytics. Es geht einmal um Themen die sicherheitsrelevant sind. Das heißt wir können zum Beispiel auch Verkehrssituationen erkennen in der viele Fahrzeuge die Spur wechseln. Das können wir identifizieren und den Fahrer entsprechend warnen. Das andere sind Services wie vorrausschauende Wartung. Hinzu kommen verschiedene Komfortthemen, wie beispielsweise Concierge-Services. Ein weiteres Thema ist die Vereinfachung von Sprachbefehlen: Es geht darum weniger in der Syntax zu sprechen, wie das System es haben möchte, sondern frei zu sprechen wie „Ich bin hungrig“ und das System weiß, ich suche ein Restaurant. Der nächste Schritt wäre, dass sie mithilfe ihres Autos das Restaurant kontakten und ihre Reservierung abgeben. Für diese Services reicht die Computepower des Autos nicht aus und man muss immer eine Verknüpfung mit einer Datenbank haben, die auch ständig aktualisiert wird. Da werden viele Sachen zusammenwachsen.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Wie wollen Sie den Fahrern vernetzter Autos die Angst vor Datenmissbrauch nehmen?
Für alle aus der Autoindustrie mit denen wir sprechen hat das Thema Data-Privacy einen extrem hohen Stellenwert. Maximal denkt man darüber nach anonymisierte Daten zu nutzen und weiter zu geben. Auch für uns ist das Thema extrem wichtig.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Autoindustrie?
Der Service den wir erbringen ist von OEM zu OEM sehr unterschiedlich. Das hängt damit zusammen welchen Schwerpunkt der Autobauer setzt. In den USA ist das vielmehr Transaktions-basiert. Microservices sind hier sehr gefragt. In Europa und Japan ist aber die ADAS Funktionalität eindeutig im Vordergrund.

AUTOMOBIL PRODUKTION:Denken und handeln Sie in der gleichen Geschwindigkeit? Schließlich sind die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie deutlich länger als in der IT-Branche.
Hier prallen zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle aufeinander. Bestes Beispiel Apple iPhone. Das wurde 2007 vorgestellt. Seitdem gab es 40 bis 50 verschiedene Software-Releases. Und darauf stellt sich auch die Autoindustrie ein. Man erkennt, dass man viel agiler sein muss, wenn man mit der digitalen Industrie konkurrieren will. Das heißt, das Auto der Zukunft wird ebenso wie ein Smartphone regelmäßige Software-Updates erhalten. Da gibt es neue Strukturen in den Entwicklungsabteilungen der Autoindustrie.

Das Interview führte Gabriel Pankow

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