Der futuristische Fahrzeuginnenraum eines BMW mit nachhaltigen Materialien.

Bei der Auswahl der Materialien und Oberflächen im Cockpit setzt Autobauer BMW auf Nachhaltigkeit. (Bild: BMW)

Kunst liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters, doch was den Materialmix des Fahrzeuginnenraums angeht, trauern wohl die Wenigsten den puristischen Formen der vergangenen Jahrzehnte nach: Der Innenraum eines Autos bestand in der Regel aus einem Fahrer- und Beifahrersitz. Hinten im Fond war Platz für zwei bis drei Personen. Dazu kamen schmucklose Instrumententafeln, eine schnöde Mittelkonsole und viel Plastik in Form von Tür- und Dachverkleidungen.

Mittlerweile kennt der Individualisierungsgrad im Fahrzeuginnenraum jedoch kaum noch Grenzen: „Kontrastfarben für Gurte und diverse Nähte an Armaturentafel sowie Innenverkleidungen, vielfarbige Ambiente-Innenbeleuchtungen, und natürlich Rautenmuster im Leder sind aktuelle Modetrends, um Hochwertigkeit zu erzeugen“, illustriert Arthur Kipferler, Partner bei Berylls, die aktuelle Entwicklung bei Oberflächen und Materialien. Dabei gebe es insbesondere im Premiumsegment kaum noch Wünsche, die sich nicht irgendwie erfüllen lassen – zumindest wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist. Im Massenmarkt hingegen „gebe es natürlich noch immer billige Oberflächen, bei denen der Controller zugeschlagen hat“, betont Kipferler.

Doch neben der Kostenfrage haben auch die Trends autonomes Fahren, Shared Mobility und Elektromobilität ihre Spuren im Fahrzeugcockpit hinterlassen. Innenräume müssen künftig noch viel stärker individuelle Bedürfnisse widerspiegeln und verschiedene Funktionalitäten integrieren, die vor Jahren noch undenkbar waren. Die Ausstattung wird sich schon deshalb völlig ändern, weil die Ausrichtung bei selbstlenkenden Pkw in Fahrtrichtung aufgehoben wird. Es wird andere Bedürfnisse geben, die neue Perspektiven in der Gestaltung des Innenraums eröffnen. Grundsätzlich wird der Innenraum von morgen auf Komfort und Konnektivität ausgerichtet sein. Neue Materialien werden dominieren, die in erster Linie nachhaltig sind, zeitgemäß aussehen und sich angenehm anfühlen.

Ein Finger drückt auf Morphing Control Tasten des Herstellers Continental, die danach wieder verschwinden.
Dank Continentals System der Morphing Controls treten Funktionstasten nach der Nutzung wieder in den Hintergrund. Bild Continental

Unsichtbare mechanische Elemente

Welches Potenzial etwa im Bereich funktionale Oberflächen vorherrscht, verdeutlicht die Arbeit des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). In der Abteilung Funktionale Materialen forschen die Wissenschaftler dort an Oberflächen, die Bewegungen durch Sensoren erkennen, Wärme erzeugen, Licht emittieren sowie Farbe und Form ändern. Es gehe darum, "dumme" Gegenstände und Oberflächen smart zu machen, bringt es Raphael Neuhaus, Senior Scientist des IPA, bei der Fachtagung WerkstoffPlus Auto des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf den Punkt. Künftig könnten somit flächige Näherungssensoren eine Gestensteuerung von Radio oder Scheibenwischer ermöglichen, gedruckte Heizflächen in Autotüren verbaut werden oder biegbare, gedruckte Leuchten den Innenraum erhellen.

Inwiefern die Autoindustrie bereits an solchen Anwendungsfällen arbeitet, offenbart Continental: Der Zulieferer erprobt bei der Verbindung von Form und Funktion beispielsweise den Einsatz von Morphing Controls im Innenraum. Aus der Oberfläche einer Armaturentafel treten bei diesem System beleuchtete Tasten hervor, sobald sich die Hand des Fahrers der Oberfläche nähert. Wo gerade noch glattes Kunstleder für eine aufgeräumte Optik sorgte, leuchten nun dreidimensionale Tasten. Hat der Fahrer den gewünschten Knopf erfolgreich betätigt, spürt er zur Bestätigung einen kurzen Impuls. Sobald er seine Hand zurückzieht, verschwinden die Tasten wieder spurlos hinter der Oberfläche.

Das dehnbare und lichtdurchlässige Morphing-Control-Material mit der optischen und haptischen Anmutung von Premium-Kunstleder stammt aus der Entwicklung der Oberflächenspezialisten beim hannoveranischen Zulieferer. Die verwendete Folie erlaubt dank einer minimalen Streuwirkung eine sehr präzise und konturgenaue Abbildung der beleuchteten Symbole bei gleichzeitig hoher Beleuchtungsintensität und homogener Ausleuchtung. Im deaktivierten Zustand werden sowohl die Symbole als auch die mechanischen Elemente für die Insassen gänzlich unsichtbar und unfühlbar.

„Dank sich verändernder Oberflächen machen Morphing Controls verschiedene Funktionen je nach Bedarf und Fahrsituation bedienbar. Damit können wir die Fahrerablenkung deutlich reduzieren. Die minimalistische Armaturentafel wirkt dennoch harmonisch und bietet jederzeit die volle Kontrolle“, sagt Frank Rabe, Leiter der Continental-Geschäftseinheit Instrumentation & Driver HMI. Mit diesen Gestalt annehmenden Bedienelementen erfüllt der Zulieferer eine bisher oft widersprüchliche Anforderung der Mensch-Maschine-Interaktion im Fahrzeuginneren: Mit so wenig Tasten wie möglich, so viele Funktion so leicht bedienbar zu machen wie möglich.

Daimler lässt sich von Natur inspirieren

In modernen Fahrzeugcockpits fährt jedoch nicht nur das Auge mit, das sich über edle Formensprachen und neue Funktionen freut, sondern mehr und mehr auch das gute Gewissen. So experimentieren verschiedene Autobauer mit recycelten Materialien, die im Innenraum zum Einsatz kommen. Die Bandbreite reicht vom zertifizierten Holz und Fußmatten aus recycelbaren Materialien im BMW i3 Urban Suite, über Sitzbezüge aus wiederverwerteten PET-Flaschen im Audi A3 bis zu einem vollständig veganen Innenraum im Polestar 2 aus dem Hause Volvo. Noch weitaus futuristischer mutet das Innenraumkonzept der Fahrzeugstudie Vision AVTR von Mercedes-Benz an.

Als Hauptinspirationsquelle für den Innenraum dient dem Stuttgarter Premiumhersteller die Natur: Die gesamte Struktur ist aus einer Linie entworfen und nimmt organische Formen an. Blumenähnliche und weich gewebte Elemente des Interieurs stehen im Kontrast zu dynamischen Konturen. Lichtstreifen in den Sitzen finden ihre optische Verlängerung in Projektionen auf der Mittelkonsole. Konsequent setzt das Unternehmen im Innenraum auf vegane oder ökologische Oberflächen und deren darunterliegende Materialien. Große Flächen wie die Rückenschale des Sitzes und der Himmel sind mit einem farbverändernden Stoff versehen, der von der Farbwelt des Meeres inspiriert ist. Je nach Licht ändert das Textil seine Farbe von Dunkelblau in ein dezentes Hellblau.

Diese Sitzflächen veredelt das vegane Dinamica-Leder. Das Material ist die erste und einzige Mikrofaser, die nach Herstellerangaben eine ökologische Nachhaltigkeit über den gesamten Produktionszyklus garantiert. Es handelt sich um recyceltes Material, das aus Altkleidern, aus Fahnen und PET-Plastikflaschen stammt. Den Fahrzeugboden ziert ein Holz namens Karuun. Der Rohstoff für dieses Holz, Rattan, wächst sehr schnell und hat erhebliche Vorteile beim Anbau gegenüber anderen Holzarten oder Nichtholzprodukten. Und dagegen kann selbst der strengste Controller wohl kaum einen Einwand haben.

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