Zwei schützende Hände legen sich symbolhaft um den bedrohten Erdball.

Nachhaltigkeit hat sich in allen Märkten zu einem wesentlichen Entscheidungsfaktor beim Fahrzeugkauf entwickelt. (Bild: Audi)

Alle großen Automobilhersteller haben einen CEO, Audi leistet sich sogar zwei. Neben Markus Duesmann als Vorstandsvorsitzendem steht Rüdiger Recknagel zunehmend im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Der Chief Environmental Officer des Audi-Konzerns verantwortet die „Mission Zero“, das Umweltprogramm, mit dem Audi seinen Beitrag zum Erreichen der Pariser Klimaziele leisten will. Konkret geht es um die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks in Produktion und Logistik. Bis 2050 wollen die Ingolstädter bilanziell CO2-neutral sein, weltweit an allen Standorten. Ein Ziel, mit dem Audi nicht alleinsteht. Viele Hersteller und Zulieferer verfolgen eine Nachhaltigkeitsstrategie, denn gesetzliche Vorschriften nehmen sie in Sachen Klimaschutz verstärkt in die Pflicht. Auch institutionelle Investoren an der Börse legen heute Wert darauf, dass Kontrollen und Nachweise in Jahresberichten akribisch dokumentiert werden.

Ökostrom in den Fabriken ist erst der Anfang

Die auf europäischer und globaler Ebene gesteckten klimapolitischen Ziele verlangen in den nächsten Jahren eine Reduktion der CO2-Emissionen in erheblichem Umfang. Oft fokussiert sich die öffentliche Diskussion auf den Verkehrssektor und seinen Kohlenstoffdioxidausstoß – primär durch das Endprodukt Auto, aber ebenso auf vorgelagerte Fertigungsstufen und die Logistik. BMW zum Beispiel will in der Produktion bis 2025 den CO2-Anteil pro Fahrzeug gegenüber 2019 um 40 Prozent senken, bis 2030 dann noch einmal um 80 Prozent. Bereits letztes Jahr hat Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic durchgesetzt, dass alle Werke der BMW Group weltweit zu 100 Prozent Strom aus regenerativen Energiequellen beziehen. Dabei kommen die jeweils besten Optionen an den Standorten zum Einsatz – Solarenergie in Oxford, Mexiko und China, Biogas in Südafrika und Windkraft in Leipzig.

Gleichzeitig schraubt BMW den Verbrauch von Wasser, Lösungsmitteln, Gas und Strom zurück und die Abfallmenge, die pro Fahrzeug anfällt, sinkt. „Klimaschutz ist jetzt relevant und nicht erst übermorgen“, mahnte BMW-Chef Oliver Zipse in einem Interview der Augsburger Allgemeinen. Als Orientierungspunkt dient dem Vorstand das Pariser Klimaabkommen. Weil es bis 2050 aber ein langer Zeitraum sei und keiner der heute Handelnden dann noch im Amt sein werde, müssten die ersten Schritte jetzt erfolgen. „Deshalb haben wir uns bei BMW ganz konkrete Klimaziele schon bis 2030 gesetzt.“

BMW-Chef Oliver Zipse steht in einer Produktionshalle des bayerischen Premium-Herstellers.
Wer das Pariser Klimaabkommen ernst nimmt, muss heute handeln, sagt BMW-Chef Oliver Zipse. (Bild: BMW)
 

Auch in Stuttgart denkt man intensiv darüber nach, wie man die Wettfahrt beim Klimawandel gewinnen kann. Mit dem Programm „Ambition 2039“ verfolgt Daimler einen zeitlich abgestuften Plan: Schon ab nächstem Jahr sollen die Pkw- und Van-Werke der Marke Mercedes-Benz weltweit CO2-neutral produzieren. 2030 peilt das Unternehmen mehr als 50 Prozent des Pkw-Absatzes mit Plug-in-Hybriden oder rein elektrischen Fahrzeugen an. Bis 2039 soll die Neufahrzeugflotte von Mercedes-Benz Cars CO2-neutral werden und keine relevanten Auswirkungen auf die innerstädtische Luftqualität haben.

OEMs üben Druck auf Zulieferer aus

Blick über die Unternehmensgrenzen zeigt sich: Die rund 2.000 Lieferanten von Daimler spielen ebenfalls eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität. Deshalb steht für Gunnar Güthenke, Leiter Einkauf und Lieferantenqualität bei Mercedes-Benz Cars, fest: „Die Erreichung der Mercedes-Benz Ambition 2039 setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern um.“ Heißt konkret: Fast die Hälfte aller Zulieferer hat sich in einer Absichtserklärung dazu bekannt, Mercedes-Benz künftig nur noch mit CO2-neutralen Teilen zu beliefern. „Zudem sind wir im Aufbau eines Trackingsystems, mit dem wir künftig verfolgen können, wie sich die CO2-Emissionen über die Zeit reduzieren“, erklärte Güthenke auf dem „automotive production summit“ im Dezember 2020. Der heilsame Druck, den Daimler ausübt, ist hoch: Klimaneutralität wird künftig in den Vertragsbedingungen verankert und zu einem wesentlichen Kriterium bei der Auftragsvergabe. Spätestens ab 2039 dürfen nur noch Produktionsmaterialien die Werkstore von Mercedes-Benz passieren, die in allen Wertschöpfungsstufen bilanziell CO2-neutral sind. Unterzeichnet ein Lieferant die Absichtserklärung nicht, wird er bei Neuvergaben nicht berücksichtigt.

Zwischen den Produktionshallen im Werk Gaggenau werden grüne Freiflächen gepflegt, um mehr Artenvielfalt zu unterstützen.
Auf dem Betriebsgelände des Mercedes-Benz-Werkes Gaggenau entstehen Lebensräume für mehr Artenvielfalt. (Bild: Daimler)

Vorreiter in der Branche ist zweifelsohne Bosch. Der weltweit größte Automobilzulieferer hat es als erstes globales Industrieunternehmen bereits Ende 2020 geschafft, Entwicklung, Produktion und Verwaltung der rund 440 Tochter- und Regionalgesellschaften in mehr als 60 Ländern CO2-neutral zu stellen. „Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit steckt der Teufel oft im Detail“, erklärte Annette Wagner kürzlich im Podcast Fabrik für immer. Die studierte Politikwissenschaftlerin leitet seit April 2018 das Corporate Office Sustainability and Ideas Lab am Hauptsitz der Robert Bosch GmbH in Stuttgart und ist dort für die Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich. „Klar kann man schnell sagen, wir gehen CO2-neutral. Aber dazu muss man dann eben auch genau verstehen, in welchem Land man unter welchen Bedingungen zum Beispiel auf Grünstromverträge wechseln kann.“ Die Anbahnung solcher Power Purchasing Agreements in Verbindung mit Fotovoltaikparks sei unglaublich detailreich und ein in Teilen nervenaufreibendes Geschäft, in dem man ständig am Ball bleiben müsse.

Bosch-Werke in 60 Ländern CO2-neutral

Als Herausforderung kommt hinzu: Bosch hat nicht nur ein Produkt im Portfolio, sondern ist extrem breit aufgestellt. Manchmal vergleicht Annette Wagner die Arbeit ihres fünfköpfigen Teams mit einer Art Verbandssitzung, auf der jeder Stakeholder unterschiedliche Interessen verfolgt. „Was für die Staubsauger oder Toaster der BSH Hausgeräte gilt, trifft nicht automatisch für die Einspritztechnik und Assistenzfunktionen unserer Mobility Solutions zu. Wir müssen immer einen klugen konzeptionellen Handlungsrahmen aufzeigen, der in der Breite tatsächlich anwendbar ist. Haben wir erst einmal eine Mehrheitsmeinung gefunden und wissen, wohin der Weg gehen soll, bringt uns aber nichts mehr vom Kurs ab.“

Den direkten Einflussbereich hat Bosch mit einer Vielzahl von Klimaschutzmaßnahmen bereits im Griff. Nun wandert der Blick auf die indirekten Emissionen, die entlang der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten entstehen. Auch dort hat sich Bosch ambitionierte Ziele gesetzt. Neben der Vermeidung von Treibhausgasen genießt ein ökologisch verantwortbarer Umgang mit Energie und Wasser höchste Priorität.

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