Markus Schäfer, Daimler

“Wir prüfen die Fertigungstiefe im Powertrain sehr intensiv”, sagt Markus Schäfer, Bereichsvorstand Mercedes-Benz Cars Produktion und Supply Chain Management. (Bild: Daimler)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Schäfer, Mercedes-Benz Cars verzeichnet eine hohe Nachfrage. Was bedeutet das für die Produktion in den Sommermonaten?
Im Rahmen unserer Wachstumsstrategie MB 2020 bauen wir unser flexibles und effizientes internationales Produktionsnetzwerk weiter aus. Aufgrund der hohen Nachfrage nach unseren Produkten arbeiten alle Mercedes-Benz Fahrzeug- und Aggregate-Werke in Deutschland in den Sommermonaten 2015 durch.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Der C-Klasse-Anlauf ist ungefähr ein Jahr her. Gilt dieses Anlauf-Konzept nun für alle weiteren, wie etwa den bevorstehenden E-Klasse-Anlauf – oder justieren Sie nach?
Der C-Klasse-Anlauf war der steilste Anlauf in der Geschichte von Mercedes-Benz und sicherlich der anspruchsvollste. Im Rahmen der Wachstumsstrategie und auch im Rahmen der weltweiten Netzwerkbildung war das ein ganz wesentlicher Prüfstein für uns: Innerhalb von sechs Monaten auf vier Kontinenten ein so komplexes Fahrzeug anlaufen zu lassen. Das Resümee ist sehr positiv. Wir haben es in der vorgesehenen Zeit, in der Stückzahl, aber vor allen Dingen auch in der Qualität auf allen vier Kontinenten mit ihren unterschiedlichen Kulturen geschafft. In Summe ein Erfolgserlebnis.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie hatten das in Ihrer vorherigen Position sehr gut vorbereitet?
Als Produktionsplanungschef habe ich sicherlich die Grundlagen für flexible globale Netzwerke gelegt. Das ist ein Teil der Strategie von Mercedes-Benz Cars. Um die Märkte zeitnah bedienen zu können, brauchen wir diese Vor-Ort-Produktionen und ein Netzwerk, das am Ende den Gegebenheiten flexibel folgen kann.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Im September stellten Sie erstmalig auch die Neuausrichtung der Pkw-Produktions-Organisation vor. Was haben Sie seither geschafft und was liegt noch vor Ihnen?
Wir kamen aus einer Welt, die sehr werkeorientiert war. Wir haben diesen Steuerungsmechanismus komplett umgedreht. In der neuen Organisation haben wir keine Werkleiter mehr, sondern Produktionsverantwortliche für die einzelnen Architekturen: Einer ist für die frontgetriebenen Kompaktfahrzeuge verantwortlich, einer für die heckgetriebenen SEC-Fahrzeuge, einer für die SUVs sowie die Sportwagen und einer für die Powertrain-Umfänge. Das sind vier Produktionsverantwortliche weltweit, die nicht das Werk im Fokus haben, sondern den Erfolg eines Produkts.

Zur Person
Markus Schäfer (50) ist seit Januar 2014 Bereichsvorstand für Produktion und Supply Chain Management von Mercedes-Benz Cars (MBC). Schäfer verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Produktion. Zuvor war Schäfer für die strategische Produktionsplanung des Pkw-Geschäfts verantwortlich. Wiederum davor leitete Markus Schäfer das Daimler-Werk in Tuscaloosa.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Haben Sie schon einen Namen für die neue Art der Werkleiter gefunden?
Sie heißen Standortverantwortliche und koordinieren dementsprechend die Aufgaben an einem Standort, unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und mit dem Umfeld. Außerdem sind sie das Gesicht von Mercedes-Benz vor Ort und in der Region.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie peilen weltweit eine durchschnittliche Produktionszeit von 30 Stunden pro Fahrzeug über alle Baureihen bis 2020 an. Wo stehen Sie aktuell?
Aus Wettbewerbsgründen möchte ich Ihnen keine Zahl nennen, aber wir nähern uns diesem Ziel mit großen Schritten. Einzelne Werke sind bereits auf diesem Wert oder sogar darunter.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Es heißt in den ausländischen Werken sind Sie näher dran als in deutschen Werken…
Man kann das nicht am Thema Ausland festmachen. Zunächst hängt es davon ab, welche Fahrzeuge in einem Werk produziert werden. Kompaktmodelle haben per se eine geringere Fertigungszeit als große Luxuslimousinen mit einem hohen Individualisierungsgrad. Alle Werke müssen international wettbewerbsfähig sein – die deutschen und die im Ausland. Da gibt es durchaus Konkurrenz zwischen den Standorten. Und unsere deutschen Werke unternehmen derzeit extreme Anstrengungen, um besser zu werden. Mit großen Erfolg übrigens: Das zeigen die sehr positiven Ergebnisse der Zukunftsbilder, die wir gemeinsam mit dem Betriebsrat bereits verabschiedet haben, zum Beispiel in Sindelfingen, Untertürkheim, Bremen und Berlin.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Können Sie das genauer erklären?
Schauen Sie auf die Vereinbarungen, die wir in Sindelfingen getroffen haben. Wir sind arbeitspolitische Rahmenbedingungen angegangen, die wir historisch hatten, und haben diese sukzessive aus dem Weg geschafft. So haben wir Kostenentlastungen in dreistelliger Millionen-Höhe erreicht. Gleichzeitig investieren wir 1,5 Milliarden Euro bis 2020 und sichern so die Beschäftigung in Sindelfingen auf viele Jahre hinaus ab.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie wollen die Größe der Werke vereinheitlichen, um sie auch besser vergleichbar zu machen. Wie weit sind Sie auf diesem Weg und was sind diesbezüglich Ihre Prioritäten?
Eine Standardisierung der Werke hat Vorteile. Wir arbeiten zunehmend mit standardisierten Modulen. Das heißt, ich kann die Werke modular planen, die Module weltweit einsetzen und beim Ausbau des Werks kommt einfach ein neues Modul dazu. Das macht die Planung sehr viel einfacher. Und es sichert auch die Robustheit eines Anlaufs ab. Der Betrieb der Fabrik ist sehr viel einfacher, weil wir dann auch viel mehr Erfahrungswerte besitzen. Natürlich, die Vergleichbarkeit ist ein positiver Effekt für uns – auch weil wir relativ schnell „best practice“ erkennen können. Die Kunst wird sein, voneinander zu lernen.

Markus Schäfer, Daimler

“Die Kunst wird sein, voneinander zu lernen”, sagt Produktionsvorstand Markus Schäfer über die Standardisierung der Daimler-Werke. Bild: Daimler

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und Sie haben auch schon das entsprechende IT-Netzwerk dazu, um von Stuttgart aus alle Kennzahlen ihrer Werke jederzeit einzusehen?
Das ist ein Resultat unserer Arbeit der letzten zwei bis drei Jahre, nämlich die horizontale und vertikale Vernetzung einzuführen. Das geht von China bis USA. Wir können hier aus Stuttgart in jede Anlage rein schauen und nicht nur Werte ablesen, sondern auch aktiv eingreifen. Wir können von Sindelfingen aus in einen Roboter in den USA oder im Werk in Südafrika eingreifen und seine Parameter verändern, anpassen und optimieren. Das heißt, Industrie 4.0 wird bei Daimler schon gelebt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Gerade bei OEMs mit vielen alten Werken mangelt es da oft an der IT-Infrastruktur…
Das war schon immer ein Fokus bei Daimler. Beim Thema Produktionstechnologie haben wir eine sehr kompetente Truppe, die seit Jahren Verfahrensentwicklung betreibt und in den letzten Jahren sehr konsequent umgesetzt hat. Und dazu gehört natürlich auch eine wettbewerbsfähige IT, die unsere Arbeit unterstützt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ihre Wachstumsstrategie besagt, dass Sie bis 2020 30 neue Modelle auf den Markt bringen. Mindestens zehn davon ohne Vorgänger. Werden Sie neben Valmet weitere Auftragsfertiger einbinden?
Wir werden unterschiedliche Formen der Fertigung nutzen; die eigene Fertigung und die Einbindung von Auftragsfertigern. Wir kooperieren mit Magna Steyr in Graz bei der G-Klasse seit vielen Jahren erfolgreich. Mit Valmet arbeiten wir ebenfalls hervorragend zusammen, als Spitzenbrecher, um die Volumen bei der A-Klasse darzustellen. In den USA haben wir mit AM General in Indiana einen neuen Auftragsfertiger, und werden innerhalb von wenigen Monaten dort eine Fertigung aufbauen. Schon in wenigen Wochen läuft dort der „Job Number One“ für unsere R-Klasse. Durch die Verlagerung der R-Klasse zu AM General haben wir im Werk in Tuscaloosa mehr Kapazitäten für die M- und GL-Klasse.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Planen Sie auch, Ihre Produktions-Joint-Ventures auszubauen?
Die größte JV-Produktion, die wir derzeit haben, ist in China mit BBAC. Das funktioniert hervorragend, wächst, und versorgt den chinesischen Markt. Und wir werden demnächst mit Nissan den Spatenstich in Mexico durchführen für unser neues Produktions-JV für kompakte Fahrzeuge. Das wird die nächste gemeinschaftliche Aktivität mit Renault-Nissan sein.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und mit dem Smart-Projekt sowie der 4-Zylinder-Motoren-Fertigung sind Sie auch soweit zufrieden?
Das Smart-Projekt mit Renault ist an zwei Standorten sehr erfolgreich – in unserem eigenen Smart-Werk in Hambach und im Renault-Werk in Novo Mesto. Das entwickelt sich nun weiter. Die Zuwachsraten, die wir momentan beim Smart haben, nachdem die Modelle im Markt in höherer Varianz verfügbar sind, sind äußerst positiv. Wir nutzen die Kapazitäten in Novo Mesto sehr erfolgreich und auch die Synergien, die wir in der Fertigung dort haben.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Abgesehen von China, wo die Sachlage ja durch den JV-Zwang anders ist, können Sie sich vorstellen weitere JVs einzugehen, womöglich auch abseits von Renault-Nissan?
Am Ende ist die Frage, ob das Geschäftssystem weitere Partner braucht. Wir sind momentan hervorragend unterwegs und haben die richtigen Synergien für unser Geschäft. Derzeit sehe ich also keine Notwendigkeit für weitere JVs.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber der neue Aston Martin Chef, Andy Palmer, versucht doch nachdrücklich mit Ihnen ins Geschäft zu kommen. Wäre es nicht eine gute Möglichkeit, sich dort zu engagieren?
Wir engagieren uns bei Aston Martin und liefern künftig Motoren. Und wir werden auch Elektro/Elektronik-Komponenten liefern. Das bringen wir jetzt gemeinsam zum Laufen. Darüber hinaus sind grundsätzlich weitere Projekte vorstellbar.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber ist es nicht denkbar, dass Sie einen Aston Martin bei Ihnen in einem AMG-Werk mit produzieren?
Unsere AMG-Fahrzeuge laufen in den Großserien praktisch als Varianten mit – ein sehr effizientes Produktionskonzept. Da spielt Aston Martin in einer ganz anderen Liga mit seinen Stückzahlen. Am Ende ist es eine Entscheidung, die Andy Palmer und die Investoren fällen müssen, wie sie sich langfristig aufstellen wollen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie sehen in der Lieferkette noch Potenziale. Welche?
Wir haben in der Neuaufstellung neben den vier großen Fertigungsbereichen vier Zentralbereiche etabliert, die für unser Business elementar wichtig sind. Einer davon ist das Supply Chain Management. Wir erhalten maximale Transparenz über unsere weltweiten Warenströme und die Auslieferung der Neufahrzeuge, um diese bestmöglich zu optimieren. Wir managen aktiv die komplexen Warenströme zwischen rund 1500 Lieferanten und aktuell 26 Produktionsstandorten über den ganzen Globus hinweg und kümmern uns selbst in Gebietsspeditionskonzepten weltweit um den Transport. Und zwar vom Lieferanten bis zum Verbraucher. Wir machen das sehr bewusst selbst, weil wir dort noch eine Menge weiterer Potenziale haben. Das belegen unsere Analysen derzeit. Und wir sind dabei, sukzessive diese Potenziale zu optimieren. Wir optimieren Frachtkosten und Bestände oder organisieren via Outbound die Auslieferung der Fahrzeuge in die unterschiedlichen Märkte ganz neu.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie haben mit Frank Deiß einen passionierten Einkaufsexperten zum Leiter der Powertrainwerke berufen. Was ist hier Ihr Plan?
Die gesamte Powertrain-Produktion lief traditionell in Stuttgart. Den ersten Schritt der Globalisierung und der marktnahen Produktion von Powertrain-Komponenten, haben wir unter Peter Schabert erfolgreich dargestellt. Jetzt geht es um den weiteren Ausbau: eine globale Aufstellung, die Optimierung des Themas eigene Wertschöpfung und Fremdbezug sowie das ganze Thema Supply Chain Management. Wir wollen unsere Netzwerkstrategie auf die Powertrain-Werke übertragen und schaffen ein Netzwerk, ähnlich wie bei den Fahrzeugen mit den Architekturen, wo wir weltweit Kapazitäten nach Bedarf verschieben können. Unsere deutschen Hubs, Stuttgart und Kölleda bilden mit den JVs in China und Decherd und möglicherweise mit weiteren Motorenstandorten dann ein globales Netzwerk, das in der Lage sein wird zu atmen. Es wird die Aufgabe von Frank Deiß sein, dieses globale Netzwerk effizient zu gestalten – und er darf gerne seinen Background als Einkäufer einbringen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Deiß wird sich also anschauen, welche Motorenkomponenten man künftig besser zukaufen sollte?
Das Thema Eigenfertigung und Fremdbezug sowie Fertigungstiefe haben wir uns in Untertürkheim schon zusammen mit dem Betriebsrat angesehen. Durchweg kann man schon sagen, dass wir die Fertigungstiefe reduzieren und uns mehr auf die Gesamtproduktion von kompletten Einheiten fokussieren. Die Produktion von wettbewerbsdifferenzierenden Komponenten bauen wir aus. Dadurch hat dies keine Auswirkung auf die Beschäftigung. Wir schaffen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also zukunftsfähige Arbeitsplätze.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Um wie viel wollen Sie die Fertigungstiefe zurückfahren?
Das ist eine schwierige Frage, weil es keine eindeutige Definition von Wertschöpfungstiefe gibt. Aber es ist durchaus signifikant, dass es mehrere Hundert Komponenten gibt, die zukünftig nicht mehr an diesem Standort gefertigt werden. Wir wollen uns auf die Gesamtkomponenten Motor, Getriebe, Achse fokussieren. Am Ende ist entscheidend, dass wir – wo Monopolisten im Markt sind – in die Eigenfertigung gehen. Dort, wo ein breites Anbieterspektrum existiert, müssen wir das nicht unbedingt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wo sind dort aktuell Chancen für Zulieferer?
Wir prüfen wie gesagt die Fertigungstiefe im Powertrain sehr intensiv und finden eine Menge Commodities, die wir in den Markt geben. Für die Zulieferer gibt es die Chance, mit wettbewerbsfähigen Angeboten auf uns zuzugehen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bringen Sie Ihre neue Produktionsstrategie doch bitte auf den Punkt…
Unsere strategische Neuausrichtung läuft auf vollen Touren. Sogenannte Zukunftsbilder für die einzelnen Werke fassen deren neue organisatorische Ausrichtung jeweils zusammen. An diesen Zukunftsbildern arbeiten wir ganz intensiv. Die Erstellung der Zukunftsbilder für Sindelfingen, Untertürkheim, Bremen und Berlin ist abgeschlossen. Das sind große, historische Schritte für die Standorte: Wir bauen allein das deutsche Werkenetz innerhalb von 12 Monaten komplett entlang unserer Strategie um. Ich denke, das gibt allen Beteiligten auch eine gewisse Sicherheit.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist Ihre persönliche Priorität?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass alle strategischen Maßnahmen nur dauerhaft Bestand haben, wenn wir auf der Motivationsseite oder besser auf der Mitarbeiterseite, ebenfalls große Fortschritte machen. „Mensch im Mittelpunkt“ heißt ein Programm. Denn am Ende ist es immer die Frage, wie können wir unsere Mannschaft motivieren, Spitzenleistung zu geben? Und da liegt derzeit mein Augenmerk, neben all den technischen Aspekten. Mein Team und ich müssen es schaffen, unsere Mitarbeiter zu erreichen und zu motivieren, indem wir vor Ort sind und indem wir das, was wir machen wollen, verständlich diskutieren. Wir müssen die ganze Mannschaft für unsere Pläne gewinnen.

Das Interview führte Bettina Mayer

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