Der Crossbar Feeder von Schuler in der Produktion.

Der Crossbar Feeder transportiert automatisch ohne Zwischenablage Bauteile von Werkzeug zu Werkzeug. (Bild: Schuler)

Am Startpunkt der Fahrzeugproduktion geht es schnell zur Sache: Riesige Stanzzentren und Transferpressen setzen gewaltige Kräfte frei, um Bauteile für den Karosseriebau aus tonnenschweren Stahlcoils oder Platinenstapeln herauszustanzen und umzuformen. Der enorme Pressendruck – Transferpressen mit Servoantrieb erreichen 30.000 Kilonewton und mehr – setzt widerstandsfähige und verschleißarme Werkzeuge voraus. Neben beachtlicher Muskelkraft benötigen die Maschinenboliden zusätzlich ein hohes Maß an Präzision, um bei minimaler Fehlertoleranz unterschiedlich dicke und steife Rohmaterialien in die konstruktiv festgelegte Form zu bringen.

Damit beim Pressen alles rund läuft und sich ungehindert das Potenzial moderner Fertigungstechnik entfaltet, stehen Server, Software und Netzwerk parat – Digitalisierung und Monitoring orchestrieren im vernetzten Presswerk die Abläufe. „Mit dem Projekt wollen wir die Produktionseffizienz und Digitalisierung wichtiger Prozessschritte der Automobilproduktion auf ein für die Umformtechnik neues Niveau heben“, sagt Domenico Iacovelli, Vorstandsvorsitzender der Schuler AG. Die Umformspezialisten aus Göppingen bauen gerade zusammen mit Porsche ein hochmodernes Presswerk im Industriegebiet Star Park in Halle (Sachsen-Anhalt), das im nächsten Jahr erste Karosserieteile des Porsche Macan II für den Montagebau in Leipzig herstellt.

Das Joint Venture, die Smart Press Shop GmbH, investiert mehr als 100 Millionen Euro in die Greenfield Factory, durch die dauerhaft 100 Arbeitsplätze entstehen. Erste Anlagen sind in Halle eingetroffen, darunter eine Servoline 20 mit Einarbeitungspresse und Laser Blanking Line, die vor allem Aluminium-Außenhautteile in kleinen Losgrößen formen soll. Der Masterplan für volle Fertigungspower: Jede Bewegung der Servopressenlinie wird mithilfe durchgehend vernetzter Produktionsdaten und maschinellen Lernens überwacht und gesteuert. Die Instandhaltungsstrategie ist konsequent auf Big-Data-Analysen und daraus folgendes Predictive Maintenance (PM) ausgerichtet.

Weniger Ausschuss und Nachbesserung

Beispielsweise überwachen Kameras den sogenannten Ziehrand der geformten Bauteile. Läuft alles im grünen Bereich, ändert sich während des Umformprozesses weder die Form noch die Größe dieses Ziehrands. Weichen die Messbilder von den Sollvorgaben ab, etwa durch Änderungen bei den Materialeigenschaften, nachlassende Schmierung oder veränderte Ziehkräfte, alarmiert das System den Anlagenbediener, der rechtzeitig Korrekturen vornehmen kann. Hintergrund: Schnelle Hinweise auf potenzielle Fehlerquellen reduzieren die Ausschussquote und den Nachbesserungsaufwand.

Bei einer Pressengeschwindigkeit von bis zu 20 Hüben pro Minute – das entspricht einem Durchsatz von 40 Türen oder 80 Kotflügeln – kommt es schnell zu Kosteneinsparungen im zweistelligen Prozentbereich. Weniger Wartungs- und Servicekosten sowie geringere Stillstandszeiten erwartet der Betreiber auch durch die kamerabasierte Werkzeugüberwachung. Zwei Vision-Systeme, die mit einem eigenen Schaltschrank samt schneller Bildverarbeitungssoftware verbunden sind, kontrollieren das Werkzeug, ob alle Anschlüsse richtig sitzen, die Teile korrekt eingelegt, umgeformt und entnommen wurden oder Stanzreste und andere Fremdkörper sich eingeschlichen haben.

Treten unvorhergesehene Störeinflüsse auf, die werkzeugbedingte Ausfälle auslösen können, stoppt die Presse sofort und verhindert teure Folgeschäden im Werkzeug. Auch das in der Anlage zirkulierende Öl wird kontinuierlich überwacht, um die Alterung des Schmierstoffes zu ermitteln. Der Ölwechsel findet nicht mehr zu festen Zeitintervallen statt, sondern erst, wenn die nachlassende Schmierwirkung dies auch tatsächlich erfordert.

Optimierung der Schnittstellen

Hendrik Rothe, Geschäftsführer der Smart Press Shop GmbH, sieht die daten- und softwarebasierte Prozessüberwachung im Presswerk als wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einer papierlosen Fertigung: „Wir wollen mit einer modernen Cloudarchitektur einen wettbewerbsfähigen Fertigungsbetrieb vom Auftragseingang über die Bereitstellung der Tools bis zum fertigen Bauteil auch bei kleineren Stückzahlen realisieren“, sagt Rothe. Das Projektteam entschied sich für die Digital Manufacturing Cloud des Softwareherstellers SAP. Die Cloudplattform sei eine Lösung für den Produktionsbereich, die auf die Anforderungen von Industrie 4.0 zugeschnitten ist, heißt es.

Von der Anbindung des Fertigungsbereichs auf Komponenten- und Materialebene über Cloudfunktionen an übergeordnete Unternehmenssysteme erhoffe man sich noch mehr Produktivitätsschübe. Die aus Sensoren und Vision-Systemen der vernetzten Maschinen gewonnenen Zustandsdaten fließen zentral in der Cloud zusammen, werden analysiert und gespeichert. Regelmäßige Testläufe der Anlagen, bei denen unter anderem Schwingungsdaten, Drehmomentverläufe oder der Energieverbrauch gemessen werden, liefern die Blaupause für den Kontrollblick auf den laufenden Fertigungsprozess. Schuler setzt schon seit einigen Jahren Sensoren in Servopressenlinien ein, um die Beschleunigung pro Hub sowie die Vibration in den Motorlagern zu messen – ein zuverlässiger Hinweis auf den möglichen Verschleiß an besonders kritischen Stellen wie Zahnrädern und Achsen.

Mit Datenpool und Cloudfunktionen, so die Versprechen der Softwareexperten, erhöht sich die Gesamtanlageneffektivität. Der Schlüssel dafür liegt laut Schuler in der Optimierung der Schnittstellen zwischen Presse, Werkzeug und Automation. Kürzere Ruhezeiten beim Werkzeugwechsel und weniger Aufwand beim Umprogrammieren der Steuereinheiten entlang der Presslinie bieten erheblichen Mehrwert. Ein Knackpunkt für den wirkungsvollen Einsatz von Predictive Maintenance besteht darin, aus der Fülle an Prozess-, Qualitäts- und Maschinendaten den tatsächlichen Status der Anlagen in Echtzeit abzubilden. In Halle soll es Anfang nächsten Jahres so weit sein.

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