Die Fachgebiete von Prof. Dr.-Ing. Karl Huber sind Thermodynamik und Verbrennungsmotoren.

Die Fachgebiete von Prof. Dr.-Ing. Karl Huber sind Thermodynamik und Verbrennungsmotoren. (Bild: TH Ingolstadt)

Eines steht fest: Es wird zu Absatzrückgängen im Hauptmarkt Europa kommen. “Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in Europa kurzfristig eine Verschiebung von Diesel zu Benziner ergibt, ist gegeben. Dies gilt unter anderem, weil die Verbraucher verunsichert sind. Wie nachhaltig das sein wird, ist schwierig einzuschätzen. Wenn sich aber in Europa – durch welchen Einfluss auch immer – nachhaltig größere Anteile vom Diesel in Richtung Benziner verschieben sollten, dann hätten die europäischen Hersteller eine noch größere Herausforderung als ohnehin schon. Sie müssen nach 2020 den Grenzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer erreichen. Warum? Diesel ist 20 bis 30 Prozent verbrauchsärmer und emittiert weniger CO2 als ein Benziner”, heißt es bei Continental. Das bestätigt ein Experte von Roland Berger: “Ohne Dieselmotoren wird es nicht möglich sein, die von der EU geforderten CO2-Emissionswerte zu erreichen”.

AUTOMOBIL PRODUKTION stellte Karl Huber, Professor für Thermodynamik und Verbrennungsmotoren an der Technischen Hochschule in Ingolstadt, einige aufklärende Fragen dazu.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Gibt es neben der Harnstoff-Technologie noch eine Alternative zur NOx-Reduzierung?

Zur Verringerung von Stickoxidemissionen sind verschiedene Verfahren bekannt (HC-SCR, plasmachemische Verfahren), wobei sich die SCR-Technik aus dem Kraftwerksbereich aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit von bis zu 90 % in der Anwendung im Nutzfahrzeug etabliert hat und auch für schwere Pkw momentan die favorisierte Lösung darstellt. Bei leichteren Fahrzeugen sehen die Hersteller die Möglichkeit durch innermotorische Maßnahmen in Kombination mit einem Denox-Speicherkat die aktuellen Grenzwerte der Euro 6 erreichen zu können. Der Hersteller spart dadurch erhebliche Kosten und der Kunde braucht kein Reduziermittel (AdBlue) nachtanken. Das periodische Entladen des Denox-Speicherkats und die notwendige Entschwefelung (Abhängig vom Schwefelgehalt des Kraftstoffes) wirken sich jedoch nachteilig auf den Verbrauch aus. Der Vollständigkeit sei auch der Dieselhybrid erwähnt, wobei die E-Maschine den Dieselmotor in Beschleunigungsphasen unterstützt, wodurch ebenfalls weniger Stickoxide emittiert werden. Im Vergleich zu einem Hybridfahrzeug mit Ottomotor stellt dies jedoch aufgrund des höheren Gewichts, der höheren Kosten und der schlechteren Abgaswerte die ungünstigere Lösung dar.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist der Unterschied bezüglich der Reglementierungen von Stickoxid-Werten in den USA und in Europa?
Die Gesetzesvorgaben sind hinsichtlich der angewandten Methodik, d.h. Messung auf dem Rollenprüfstand, Verdünnung und Sammlung der gasförmigen Schadstoffemissionen nach dem CVS- (Constant-Volume-Sampling) Verfahren mit anschließender Messung des Schadstoffkonzentration und Umrechnung der erfassten Schadstoffmasse auf die zurückgelegte Fahrstrecke vergleichbar.

Als wesentliche Unterschiede sind die angewandten Fahrzyklen, d.h. die Geschwindigkeitsverläufe über der Zeit und die einzuhaltenden Schadstoffgrenzwerte zu nennen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Vorschriften und Testprozeduren (Nachweis der Abgassicherheit, OBD, Partikelemission, etc.) die länderspezifisch sind und von der europäischen Regelung abweichen.

Für die Fahrzeughersteller stellt die Abgaszulassung in den USA die größere Hürde dar, da der Testbereich hinsichtlich Last und Drehzahl einen größeren Anteil des gesamten Motorbetriebsbereichs abdeckt und die Geschwindigkeitsänderungen dynamischer ausfallen. Darüber hinaus liegen die zu erreichenden Grenzwerte hinsichtlich NOx etwa 60% niedriger liegen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Kann man aus Ihrer Sicht eine Nachrüstung der betroffenen VW-Modelle vornehmen oder wäre es einfacher und kostengünstiger die Modelle zurückzunehmen?

VW hat Medienberichten zufolge zugegeben, eine unzulässige Software in der Motorsteuerung eingesetzt zu haben. Wenn dies zutrifft, sollte die Nachbesserung im Rahmen eines Updates der Steuergerätesoftware möglich sein. Ob darüber hinaus weniger leistungsfähige (ggf. kostengünstigere) Komponenten im Motor oder der Abgasanlage eingesetzt wurden, wird die Rückrufaktion zeigen. Eine Fahrzeugrücknahme halte ich für unangemessen, sofern eine Nachrüstung technisch möglich und aus Kostensicht vertretbar ist.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was unterscheidet das Dieselmotorenkonzept von VW von den Technologien bei BMW und Mercedes-Benz?

Betrachtet man die eingesetzten Motorentechnologien, oder die Dieselmotorenkonzepte im Zeitraum beginnend ab 2008, so ist bei den genannten Herstellern und darüber hinaus ein hoher Grad an Übereinstimmung erkennbar, sofern Motoren gleicher spezifischer Leistung verglichen werden. Als übereinstimmende Merkmale sind dabei die Direkteinspritzung, die Commonrail-Einspritztechnik, die Abgasturboaufladung, die 4-Ventil-Technik, die Drallsteuerung und ein favorisiertes Hubvolumen von etwa 500 cm³ pro Zylinder erkennbar. Die Abgasrückführung, der Oxidationskatalysator und ein geschlossenes Rußfiltersystem gehören ebenfalls zum Standardumfang.
Diese Erkenntnis ist nicht besonders überraschend, da die physikalischen und chemischen Zusammenhänge beim dieselmotorischen Prozess für alle Hersteller gleichermaßen Gültigkeit besitzen und aktuell keine konkurrierenden Serienkonzepte existieren. Oftmals bedienen sich die Hersteller auch bei denselben Systementwicklern und Lieferanten, was den Grad an Übereinstimmung ebenfalls erhöht.

Berücksichtigt man als weitere wesentliche Randbedingung bei der Auswahl eines Motorenkonzepts die Kosten, so ist es naheliegend, dass jeder Hersteller mit der für ihn kostengünstigsten Technik die Zielvorgaben zu erreichen versucht. Dies führt dann in Abhängigkeit der Fahrzeugmasse, der spezifischen Motorleistung, der Motor-Getriebe-Kombination und der zu erfüllenden Abgasgrenzwerte durchaus zu Unterschieden hinsichtlich der eingesetzten Technik.

Worin sich die Technik zur Erfüllung der Abgasgrenzwerte heute unterscheiden kann, soll mit den nachfolgend stichwortartig genannten Serientechnologien beispielhaft zum Ausdruck kommen:

- Auslegung der Hochdruckpumpe (Maximaldruck)
- Einsatz einer Niederdruck- Abgasrückführung inkl. Kühlung
- Anwendung einer mehrstufige Aufladung mit Zwischenkühlung
- Ausführung der Injektoren (piezoleletrische Betätigung, konstruktive Details, etc.)
- Wahl der Einspritzstrategie
- Verwendung wälzgelagerter Abgasturbolader
- Einsatz einer zylinderdruckbasierten Motorsteuerung
- Abgasnachbehandlung mittels Denox-Speicherkat
- Abgasnachbehandlung mittels SCR-Technik

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Zukunft sehen Sie weltweit für die Dieseltechnologie?

Ein Pkw-Antrieb der Zukunft sollte hinsichtlich Klimagasen und Schadstoffen emissionsarm, hinsichtlich verfügbarer Energiereserven ressourcenschonend und im Umgang mit Energie effizient sein und darüber hinaus den Anforderungen der Kunden entsprechen.

Bewertet man den Diesel- im Vergleich zu einem konventionellen Ottomotor hinsichtlich des notwendigen Energieeinsatzes und der gesamten Treibhausgase in der Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment, LCA) so schneidet der Diesel um etwa 20% günstiger ab. Er liegt damit auf dem Niveau eines Hybridfahrzeugs mit Ottomotor. Während der Ottomotor mit 3-Wege-Katalysator im betriebswarmen Zustand hinsichtlich der Schadstoffemissionen als unproblematisch anzusehen ist, besteht beim Diesel das Problem, dass vergleichsweise hohe NOx-Emissionen entstehen, die nur durch den Einsatz einer aufwendigen Abgasnachbehandlung (SCR-Technik) in den Griff zu kriegen sind und die mit etwa 30% der Anschaffungskosten eines Dieselmotors zu veranschlagen ist.

Da der Dieselmotor ohnehin aufwendiger und teurer als der Ottomotor ist, man denke nur an die Hochdruckeinspritzung mit 2000 bar und mehr, ist zu erwarten, dass sich diese Technologie im Bereich kleiner und mittlerer Pkw aufgrund des Kostendruckes in der Zukunft kaum behaupten kann. Dies gilt umso mehr, wenn Ottomotoren durch den Einsatz neuer, heute bereits verfügbarer Technologien (drosselfreie Laststeuerung, Downsizing, Hybridisierung) sparsamer werden und die Einpreisung und Besteuerung des Kraftstoffes auf den tatsächlichen Energieinhalt bezogen wird.

Anders sieht es jedoch bei großen Motoren im Nutzfahrzeugbereich und darüber aus. Hier kann der Dieselmotor seine Vorteile in Sachen Wirkungsgrad, Langlebigkeit und Servicearmut voll ausspielen und den Einsatz einer teuren und damit hochwirksamen Abgasnachbehandlung rechtfertigen.

sippenhaft-fuer-den-diesel_146627_2.jpg Alle Artikel zur VW-Dieselaffäre

Das Interview führte Bettina Mayer

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