Der NSU Ro 80 im Windkanal der Universität Stuttgart.

978 Wollfäden zeigen das Strömungsverhalten des Ro 80. Mit einem cW-Wert von
0,355 ist die Limousine strömungsgünstiger
als die meisten Sportwagen
der damaligen Zeit. Bild Unternehmensarchiv Audi AG

Alles begann auf einer Sitzung der NSU-Entwickler auf Schloss Friedrichsruhe im malerischen Hohenloher Land am 18. August 1961. Niemand aus der Führungsriege von NSU ahnte damals, dass an diesem Tag Automobilgeschichte geschrieben würde.

Es war eine politisch turbulente und kritische Zeit: Fünf Tage zuvor begann die DDR, sich mit einer Mauer hermetisch vom Westen abzugrenzen. Am 18. August klagte Bundeskanzler Konrad Adenauer in Bonn DDR-Staatschef Walter Ulbricht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an.

Der Kreativität freien Lauf lassen

An diesem trüben und regnerischen Freitag im August definierten nun die Ingenieure von NSU die wesentlichen Rahmenbedingungen für ein neues Modell, „einen Pkw mit sportlicher Note“. Die Eckdaten des „Typ 80“: 800 Kilogramm, 80 PS, zweitürig, eventuell mit Schiebetüren, Antrieb auf der Hinterachse, Spitze 160 km/h, Luftfederung und Scheibenbremsen rundum. 8000 D-Mark sollte der künftige Konkurrent des Ford 12 M kosten.

In weiteren Sitzungen, die sich bis ins Jahr 1962 hinzogen, veränderte sich der ursprüngliche Ansatz allerdings ständig. Am Ende war klar: NSU baut eine schnelle Reiselimousine, Vorbild ist nun der ebenso innovative wie avantgardistische Citroën DS. Für NSU war das Motivation und Antrieb zugleich. Das sogenannte NSU Stilbüro unter der Leitung von Claus Luthe bekam umgehend grünes Licht und begann mit der stilistischen Umsetzung.

Vorgaben bekamen die Designer keine, sie konnten ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Das sollte sich als strategisch clevere Entscheidung erweisen: 1963 lagen die ersten, geradezu revolutionären Entwürfe vor, 1:5-Modelle entstanden. Jetzt kristallisierte sich auch der Antrieb endgültig heraus – es blieb beim angedachten Kreiskolbenmotor. Vier- oder gar Sechszylinderaggregate konventioneller Bauart wurden abgeschmettert.

Die Grenze des Machbaren

Allerdings: Das Gesamtkonzept wuchs aus den ursprünglichen Plänen heraus. Man bewegte sich in ganz anderen Preisregionen, unter 10.000 D-Mark war das neue Modell nicht mehr realisierbar. Dennoch segnete der Aufsichtsrat den Typ 80 1964 ab und Banken machten den Weg frei für die Finanzierung des ambitionierten Projekts. Geschätzte Kosten: rund 40 Millionen Euro.

Zu diesem Zeitpunkt lief bereits die Entwicklung des Zweischeiben-Wankelmotors auf vollen Touren, Erprobungen standen an. Parallel wurden die ersten Prototypen auf die Räder gestellt. Am 1. März 1965 legte die Chefetage den Termin für den Start der Serienproduktion endgültig auf September 1967 fest. Ein ambitioniertes Vorhaben, denn allen Beteiligten war klar, dass es sich um keinen normalen Anlauf handeln würde.

Kein Bauteil, kein Fertigungssystem konnte von einem anderen Fahrzeug übernommen werden. Es lagen auch keine Erfahrungen für solch ein gewaltiges Projekt vor, NSU wagte sich mit dem Typ 80 weit vor, bis an die Grenze des Machbaren. Entsprechend hoch war der Druck in der kleinen Firma. Und er wuchs täglich, denn die Entwickler scheuten sich nicht, wesentliche Teile des Konzepts auch ein Jahr vor seinem Debüt zu ändern.

Zwei NSU-Mitarbeiter überprüfen den NSU Ro 90 in der Kältekammer.
Das neue Konzept wurde in der Kältekammer und bei Tests in Norwegen im Detail geprüft. 16 Prototypen schickte NSU auf die
Reise durch Europa. (Bild: Unternehmensarchiv Audi AG)

Vorsprung durch Technik

Ein markantes Beispiel: 1966 warfen sie das Vierganggetriebe raus und ersetzten es durch eine Dreigang-Selektivautomatik, was wiederum Änderungen an der Peripherie und am Motor bedingte. Die Probleme rissen auch an anderer Stelle nicht ab: Die Zündkerzen kamen in der Stadt nicht auf Betriebstemperatur, auf der Autobahn wurden sie zu heiß. Folge: Die Verantwortlichen stellten auf Doppelzündung um.

Auch die Dichtleisten des Kreiskolbenmotors machten Schwierigkeiten, die schmalen Lippen mussten ständig aus neuen Materialien gefertigt werden, weil sie nicht hielten. Erst im Herbst 1966 liefen erste Motoren, die die interne Bezeichnung KKM 612 trugen, reibungslos. Bei 5500/min leistete der Zweischeiben-Wankelmotor nun 115 PS. In der Zwischenzeit lieferte das Marketing, das sich ein paar Jahre später auch den Claim „Vorsprung durch Technik“ ausdachte, die Absatzzahlen. Den Plänen zufolge sollten 1967 noch 2000 Exemplare abgesetzt werden, ein Jahr später 10.000, 1970 waren bereits 28.000 Einheiten geplant.

Anfang Februar 1967 fuhr der Vorstand die ersten handgefertigten Vorserienmodelle, die Begeisterung war dabei greifbar. Zwei Monate später lief die Produktion an, 30 Fahrzeuge am Tag war das Ziel. Der Logistikaufwand dahinter war enorm: Der Motor wurde in Neckarsulm gefertigt, das Getriebe in Neuenstein. Die Rohkarosse durchlief die Lackierung in Neckarsulm, wurde dann ins Werk Heilbronn gefahren und dort auf den Montagebändern des Sport-Prinz komplettiert.

Von der Ölkrise gebeutelt

Das Hin und Her hatte auch einen Vorteil, denn NSU benötigte für den Ro 80 keine neuen Hallen, alles lief auf bestehenden Anlagen. Am 21. August 1967 war dann der große Tag, der Ro 80 wurde auf Schloss Solitude bei Stuttgart der Presse und den 600 deutschen und 160 ausländischen NSU-Händlern vorgestellt. Das internationale Echo war positiv, der Applaus NSU sicher. Der Ro 80 verkörperte wie der DS aus Frankreich die automobile Zukunft – beide Autos waren ihrer Zeit weit voraus.

Die Limousine aus Deutschland kam einem Meisterstück gleich und war technisch überragend: Aerodynamik, Komfort, Funktionalität, Fahreigenschaften und Sicherheit suchten ihresgleichen. Dennoch scheiterte das Projekt. Die Gründe dafür sind vielfältig: NSU bekam das Auto aufgrund der geringen Stückzahlen nie in die Gewinnzone, der Selbstkostenpreis war viel zu hoch. Die damit verbundenen Preiserhöhungen verärgerten letztlich auch enthusiastische Kunden. Mitte der siebziger Jahre lag der Listenpreis bereits bei knapp 20.000 Mark – zur Unzeit.

Die Automobilindustrie wurde von der Ölkrise gebeutelt, Stellen gestrichen und die Kauflaune in Deutschland sank. Volkswagen hatte massiv zu kämpfen, dem NSU-Werk drohte das Aus. Zudem schädigten anfängliche Probleme mit dem Wankelmotor den Ruf. Wolfsburg entschied sich in der Rezession gegen das avantgardistische Konzept und forcierte den neuen, bürgerlichen Audi 100 (C2). Damit war das Schicksal des Ro 80 besiegelt – im April 1977 lief das letzte Exemplar vom Band. Es trugt die Nummer 37.374 – und NSU war Geschichte.

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