Die Einweisungen des Mercedes-Fachmanns sind freundlich, lassen aber keinen Raum für Interpretationen. "Nur kurz am Zündschlüssel drehen und dann sofort Gas geben", sagt der Mann mit leicht schwäbischem Akzent. Das Anlassen ist eigentlich eine Standard-Prozedur, die jeder Autofahrer aus dem Effeff beherrscht. Doch die Sorgfalt hat einen guten Grund: Der Mercedes 190 SL ist eine Rennversion - extrem selten und ziemlich teuer. Nur rund 17 Stück sollen gebaut worden sein. Das Auto in dem wir sitzen ist eines von sechs Autos, die in den 1990er Jahren aufwendig restauriert wurden. Da es keine Originalpläne mehr gab, suchte sich die Mercedes-Truppe alle Indizien zusammen, die sie finden konnten. Unter anderem die Anforderungen für den Großen Preis von Macau, den der Silberpfeil 1956 gewann. Zweieinhalb Jahre dauerte es, ehe die Preziose fahrfertig war. Wer dieses Auto haben will, muss mehrere 100.000 Euro hinlegen, unter einer halben Million geht gar nichts.

Jetzt geht es zur Sache: Nach dem kurzen Schlüssel-Dreh und dem schnellen Tritt aufs Gaspedal, erwacht der SL-R sofort zum Leben. Rasselnd, metallisch sägend. Der Weber Doppel-Vergaser holt tief seufzend Luft und saugt das verbrennungsnotwendige Gas in die Brennkammern des Vierzylinder-Motors. Die Hände greifen nach dem dicken Kranz des Holzlenkrads, während die mit roten Kunstleder überzogenen Sportsitze die Insassen freundlich in Empfang nehmen und mit viel Seitenhalt sowie einem hohen Komfort überraschen.

Anders als das Flügeltür-Coupé kommt die technische Basis für den Serien-Roadster SL 190 (interner Code W121) von der Ponton-Limousine (W120). Die Rennversion ist für Bergrennen optimiert. Also haben die Ingenieure alles herausgeschmissen, was der Dynamik im Wege stand. Verdeck? Windschutzscheibe? Fehlanzeige. Zwei winzig kleine Plexiglasscheiben, sogenannte Brooks-Gläser schützen die Insassen vor dem Fahrtwind. Falls es zum Salto Mortale kommt, bewahrt ein riesiger Überrollbügel die Insassen vor Unbill. Selbst die edle Chrom-Stoßstange musste weichen. Der Mangel an Geräuschdämmung fällt dagegen kaum auf. Im Gegenteil: Das vollmundige grölende Sägen des Vierzylinders kickt das Hormonsystem des Fahrers in den roten Drehzahlbereich. Das Triebwerk ist ein Austauschmotor des Typs M115, moderner fahrbarer als der originale M121-Block.

Kurz übersetztes Getriebe

Unterm Strich ist der SL-R rund 100 Kilogramm leichter, als die reguläre Version, wiegt also etwas über eine Tonne. Trotzdem findet man im Innenraum noch genug Serienelemente, wie die Handbremse, die links unterhalb des Armaturenbretts mit einem Ziehgriff betätigt wird oder das Fernlicht per Fußtritt. Wenn der Himmel mal seine Pforten öffnet, helfen Regen-Overalls, Sturmhauben und Motorradbrillen, mit denen man aussieht, wie Quax der Bruchpilot.

Die Kupplung kommt knackig und muss mit gehörig Schmackes getreten werden und bei der Lenkung fehlt jegliche Servo-Unterstützung, wie es bei einem solchen Sportler üblich ist. Dazu passt die knackige Viergangschaltung, die das Röhrende-Zwischengas-Ritual beim Runterschalten mit kurzen Wegen und einer präzisen Führung des Hebels perfektioniert. In den 34 Kehren der Silvretta-Hochalpenstraße zeigt der Sportler sein echtes Können. Schließlich ist der SL-R für Bergrennen gemacht. Und da ist Gewicht tödlich - zumal der SL-R im Vergleich zur Konkurrenz aus Italien und England mit seinen 160 Pferden kein PS-Monster ist und mit den Kraft-Nachteil mit Wendigkeit wettmachen muss.

Souverän und gutmütog

Das kurz übersetzte Getriebe verschafft dem Mercedes SL-R einen explosiven Antritt. Im Gegensatz zu seinen etwas ungehobelten Serienbrüdern zeigt sich das Aggregat dank der fünffach gelagerten Kurbelwelle von seiner zivilen Seite. Willig jubelt der Vierzylinder Motor hoch bis zum roten Bereich bei etwa 5.800 U/min. Selbst, wenn man es mal gemütlich angehen lässt, hat der Motor noch genug Schmalz, um aus dem SL aus dem Drehzahlkeller herauszubeschleunigen. Die Lenkung ist präzise genug, um den raren Silberling sicher, um die Ecke zu führen. Lediglich die Trommelbremsen müssen brauchen einen richtig kräftigen Tritt, um ihren Verzögerungsdienst zu verrichten. Aber auch dieses Fitness-Programm geht einem bald in Fleisch in Blut über.

Unglaublich, wie souverän, wie gutmütig und beherrschbar die Renn-SL sich fahren lässt. Auf Befehl zuckt das ansehnliche Heck kurz, lädt zu einem geschwinden Drift ein, um sich dann wieder schnell einfangen zu lassen. Gut, das können andere Autos auch. Was aber unbezahlbar ist, ist der grandiose Auftritt, den der Athleten Beau hinlegt. Egal, wo der Mercedes 190 SL-R auftaucht, die Aufmerksamkeit ist ihm gewiss. Handys werden gezückt und sogar Fahrer millionenteurer Vorkriegs-Bentleys recken den Daumen nach oben.

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