Was den Briten ihr London-Taxi, den New Yorker ihr Yellow Cab, ist den Marokkanern ihr W123. Gefühlt fahren von den zwischen 1975 und 1986 produzierten 2,7 Millionen Einheiten der erfolgreichen Mercedes-Benz-Baureihe nahezu alle im nordafrikanischen Staat als farblich den Einsatzorten angepasste Taxis herum. Innerhalb der 4,73 Meter langen Karosserie tummeln sich nicht selten mehr Fahrgäste, als ursprünglich durch Sitzplätze vorgesehen. Dass bei einer vollbesetzten Limousine die Einkäufe im und die Haustiere auf dem Kofferraum Platz finden müssen, ist klar und wird toleriert. Ebenso wie die für deutsche Standards nicht mehr wirklich straßenzulässigen Zustände einzelner Exemplare. Doch wo kein TÜV, da keine Plakette. Und bei einer maximal erlaubten Zuladung von 500 Kilogramm ist noch viel Platz für Federvieh und Co. Wobei natürlich der Begriff der erlaubten Zuladung an dieser Stelle auch eher einer Empfehlung als einer tatsächlichen Erlaubnis gleichkommt.

Warum sich der Nachfolger des legendären Strichachter, wie seine Vorgängerbaureihe 114/115 gern genannt wird, noch heute einer solch hohen Beliebtheit erfreut, ist auch nach nun 40 Jahren schnell erklärt: er läuft. Oder besser gesagt: er fährt. Denn gelaufen ist ja die Wolfsburger Automobillegende, der Käfer. Kilometerstände jenseits einer halben Million sind nicht nur in Afrika keine Seltenheit. Nicht ohne Grund gibt es daher auch einen direkten Zusammenhang zwischen der anderen VW-Legende, dem Golf und dem Mercedes-Benz W123. Denn der Stuttgarter ist das bislang erste und einzige Modell in der Geschichte, das eben jene noch aktuelle Legende in der Zulassungsstatistik zumindest einmal kurz überholte. Im Jahr 1980 überflügelte er den 200.892 Mal zugelassenen VW Golf um 1.390 Einheiten. Grund genug einen kurzen Blick auf die Historie zu werfen.

Als Ende der 60 Jahre der Strichachter auf den Markt kommt, beginnen die Ingenieure aus dem Hause Mercedes-Benz bereits mit der Planung eines sogenannten kleinen Mercedes. Die Erhöhung der aktiven und passiven Sicherheit soll dabei im Vordergrund stehen. Die Erneuerung der Motorenpalette darf zugleich auch nicht zu kurz kommen. Letzterer Planung macht die einsetzende Ölkrise einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, so dass gerade einmal ein mehr oder weniger neu entwickelter Motor präsentiert werden kann. Alle weiteren Benzin- und Dieselaggregate müssen vom Vorgänger übernommen werden. Zumindest am äußeren Erscheinungsbild darf ein wenig mehr Hand angelegt werden. Die S-Klassen-Baureihe 116 steht dafür Model. Da der 114/115 noch gut läuft, entscheidet sich Mercedes-Benz den 123er parallel einzuführen. Mit 16.705 DM und 50 Pfennigen steht der alte 200/8 dem neuen 200er mit 18.381 DM und 60 Pfennigen gegenüber. Zum Vergleich: Der teuerste Mercedes-Benz im Angebot zu diesem Zeitraum ist der große Mercedes, die 600 Pullmann-Limousine der 100er Baureihe für 162.393 DM.

Über eine Million exportiert

Vor allem in puncto Sicherheit und Bedienung haben die Entwicklungsteams des W123 ganze Arbeit geleistet. Genauer gesagt gehört zur Serienausstattung der ersten Modellreihe eine Sicherheitssäule mit verformbarem Wellrohr, versenkbare Gurtführungen mit an den Sitzen angebrachten Gurtschlössern, ein Kraftstofftank und eine Batterie außerhalb des Verformungsbereiches der Karosserie-Knautschzonen sowie eine selbständig abschaltende Heckscheibenheizung und Türgriffe mit Massenausgleich, die bei starker Querbeschleunigung das selbsttätige Öffnen verhindern. Besonders erwähnenswert, da es bei aktuellen Modellen und somit von jeder Altersgruppe nachzuvollziehen ist, ist das Warndreieck an der Innenseite des Heckdeckels. Und auch im Komfortbereich ist der W123 in einigen Dingen Vorreiter, wie bei der getrennt für Fahrer und Beifahrer regelbaren Temperatureinstellung oder doppelt abgedichteten Türunterkanten gegen eine Verschmutzung des Türeinstiegbereichs.

Dass die Wartezeit dieses mit Innovationen vollgeladenen Sterns im Nu auf über zwei Jahre einsteigt, ist daher nur verständlich - und für den einen oder anderen Werksangerhörigen ein echter Glücksfall. Jahreswagen mit rund 10.000 Kilometern auf der Uhr werden ihnen aus den Händen gerissen und nicht selten per Auktion weit über dem Listenpreis weiterveräußert. Die Ingenieure der W123-Baureihe sind aber lang nicht satt und verbessern ihren kleinen Mercedes laufend weiter. So folgt eine pneumatische Leuchtweitenregulierung, eine geänderte Bremsanlage, ab September 1982 erhalten alle Modelle zudem serienmäßig eine Servolenkung und Rechteckscheinwerfer. Eine, wenn nicht die bedeutendste technische Verbesserung betrifft die Motorenpalette im Jahr 1980. Mit den zwei neuen Vierzylinder-Benzinmotoren können die aus den 50er Jahren stammenden Vergasermotoren des Typs M115 endlich abgelöst werden. Gleichzeitig kann sich der 230E nun auch gegen den Konkurrenten aus München, den Sechszylinder-BMW 525, durchsetzen. Das erfolgreichste W123-Modell ist jedoch der 454.780 Mal verkaufte 240 D, der neben dem 220 D vor allem im Transportwesen in Form eines Taxis zum Einsatz kommt. Mit einem Einstiegspreis von 18.870 DM für den kleinsten Diesels, den 200 D, liegt Mercedes-Benz auf dem Preisniveau eines Volvo 244, Ford Granada 2.0 oder BMW 520.

Doch der kleine Mercedes wird nicht nur als Limousine produziert. Neben einem schicken Coupe wird zum ersten Mal ein praktischer Kombi auf die Straße gelassen, der mit dem Zusatz T für Transport und Touristik bestückt wird. Schade für alle europäischen Anhänger des flotten Coupe ist besonders die Tatsache, dass der 80 PS starke 300 CD ausschließlich für den US-amerikanischen Markt gedacht ist. Schon damals will Mercedes so den Flottenverbrauch reduzieren. Zumindest der Motor gelangt dann doch ab Oktober 1980 im Kleid des 300 TD Turbodiesel mit serienmäßiger Viergangautomatik auf den heimischen Markt. Der Bergriffs des lahmen Diesels ist fortan Geschichte. Als mit dem Erscheinen der Baureihe W201 Ende 1982 die Verkaufszahlen des W123 um 20 Prozent fallen ist klar, dass seine Zeit so langsam aber sicher gekommen ist. Die kurz zuvor im selben Jahr präsentierte Modellpflege kann daran auch nichts mehr ändern. Noch bis Anfang 1886 läuft er vom Band, dann, nach genau 2.696.915 produzierten Einheiten, von denen 1.080.000 ins Ausland exportiert werden, ist endgültig Schluss für den Dauerläufer aus Stuttgart.

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