Das BMW-Werk Dingolfing aus der Vogelperspektive.

Der BMW-Standort Dingolfing ist ein wahrer Allrounder. Fahrzeug- und Komponentenproduktion treffen hier auf das weltweite Ersatzteillager. (Bild: BMW)

In Dingolfing betreibt die BMW Group ihren größten europäischen Produktionsstandort. Auf über 300 Hektar decken mehr als 18.000 Mitarbeiter alle erdenklichen Facetten ab – von der Komponentenfertigung über die Gewerke des Fahrzeugbaus bis hin zur Aftersales-Logistik. „Der Standort Dingolfing ist mehr als ein Werk, es ist vielmehr eine ganze Werksgruppe“, verdeutlich Werksleiter Christoph Schröder. Seit das Gelände im Jahre 1967 vom Goggomobil-Hersteller Hans Glas GmbH übernommen wurde, hat sich die Produktionsstätte an der Autobahn A92 zum Qualitätssigel gemausert. Sie gilt als „Leitwerk der Oberklasse“ und beheimatet mittlerweile sechs Modellreihen mit 17 Derivaten über alle Antriebsarten hinweg – vom 4er bis zum 8er.

„Vor zwei Jahren hatte hier zudem unser Technologieträger – der BMW iX – seinen Produktionsstart. Mit ihm haben wir die Montage und somit auch das gesamte Werk für die Elektromobilität ertüchtigt“, berichtet Produktionsvorstand Milan Nedeljković. Es waren wegweisende Umbau- und Strukturmaßnahmen, die ebenso auf den nachgelagerten Anlauf der neuen 7er- und 5er-Reihe einzahlten. Für die Integration der drei Elektromodelle iX, i7 und i5 flossen insgesamt über eine Milliarde Euro in das Fahrzeugwerk. Ihr Anteil an der lokalen Gesamtproduktion soll 2024 auf über 40 Prozent steigen.

Montage steht im Zeichen der Flexibilität

„Der BMW 5er ist traditionell das Dingolfinger Kernmodell und wird auch diesmal für wichtige Volumenimpulse sorgen", betont Schröder anlässlich des Produktionsstarts im Juli 2023. Ein halbes Jahrhundert nachdem ein orangeroter BMW 520i die Erfolgsgeschichte einläutete, rollt damit die achte Generation und innerhalb von zwei Jahren das dritte E-Modell vom Band. Der 5er ist der Volumengarant des Standorts: Von den bis dato zwölf Millionen gefertigten Fahrzeugen entfallen stolze zwei Drittel auf ihn. Im kommenden Jahr – wenn der 5er Touring und die M5-Modelle hinzukommen – soll das jährliche Gesamtvolumen dadurch auf über 300.000 Fahrzeuge ansteigen. 2022 waren es insgesamt noch 282.000 Einheiten, was einer täglichen Kammlinie von 1.500 entspricht.  

In der Montage genießen Flexibilität und Digitalisierung dabei den höchsten Stellenwert: Anstatt nach Antriebsarten zu separieren, laufen laut Schröder alle Derivate „wahlfrei“ über die Bänder. So wird der 5er auf einer Linie mit dem 7er, 8er und iX gefertigt, während er in der zweiten Halle gemeinsam mit dem 4er und 6er gebaut wird. Die Planung und Integration verliefen hierfür zunächst virtuell. Mittels Laserscanner wurde das gesamte Werk dreidimensional erfasst und die Produktion in Tools wie Nvidia Omniverse vorab simuliert. So konnte BMW mit wesentlich reiferen Konzepten in die Umsetzung gehen und ersparte sich ein Fiasko bei der Umstellung auf Elektroautos.

IPS-i ermöglicht digitalen Zwilling der Montage

Aber auch in der realen Montage sind digitale Lösungen kaum wegzudenken. Zum Beispiel werden im Rahmen des Projekts AIQX (Artificial Intelligence Quality Next) diverse Verbauprozesse wie etwa bei Gurtmontage oder Türschließbügeln von intelligenten Kamerasystemen und Sensoren erfasst. Die Daten nutzt der Autohersteller für eine Echtzeitüberprüfung im Backend. Über Smart Devices erhalten die Mitarbeiter unmittelbares Feedback. Das System kann damit zur Variantenbestimmung, Überprüfung der Vollständigkeit oder Detektion von Anomalien eingesetzt werden.

Darüber hinaus werden ohnehin alle am Produktionsprozess beteiligten Objekte – vom Bauteil bis zum Roboter – mittels IPS-i identifiziert und lokalisiert. Die Plattform führt Daten unterschiedlicher Ortungssysteme wie GPS, RFID oder RTLS zusammen und kombiniert sie zu einem digitalen Zwilling. Hierfür wurden rund 3.000 Antennen in den beiden Montagehallen und großen Teilen der Logistik angebracht. Mehr als 8.000 Objekte sind bereits erfasst und getaggt.

Dies ermöglicht unter anderem eine automatische Fahrzeugerkennung für Geofencing-Funktionen. Geortete Autos können eigenständig RFID-Geräte aktivieren und damit die Label einzelner Bauteile zuordnen oder gar eine AIQX-Überprüfung auslösen. BMW kann dadurch automatisch abgleichen, ob die Einzelteile korrekt verbaut wurden. Zudem werden den Mitarbeitern die notwendigen Arbeitsschritte auf einem Bildschirm angezeigt, wenn sie mit ihrem Montagewagen in den virtuell eingezäunten Bereich fahren. Werkzeuge wie etwa Schrauber gleichen die Daten ab und geben erst anhand der Fahrzeugdaten die jeweiligen Schraubprozesse frei.

Automotive Lean Production Award 2022

Das Werk Dingolfing gilt nicht nur innerhalb der BMW Group als Vorreiter bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Zahlreiche Use Cases aus der Montage wurden dort pilotiert oder gar selbst entwickelt. Aus diesem Grund erhielt der Standort im Jahr 2022 den Automotive Lean Production Award von Automobil Produktion und Agamus Consult. Überzeugt hatten die Jury unter anderem die IT-Plattform IPS-i, die Qualitätsüberwachung AIQX, die smarte Logistik sowie weitere Shopfloor-Lösungen wie Takt.Info oder T-Cube.

In Dingolfing schlägt das Herz der Elektromobilität

Während zwei Drittel der Mitarbeiter im Fahrzeugwerk beschäftigt sind, kommt den rund 2.500 Beschäftigten im Komponentenwerk 2.20 eine besonders zukunftsweisende Aufgabe zu. Sie arbeiten im konzernweiten Kompetenzzentrum für E-Antriebsproduktion und beliefern Fahrzeugwerke weltweit mit Hochvoltspeichern und E-Motoren. Seit 2015 ließ sich BMW diese Transformation eine zusätzliche Milliarde Euro kosten. Insgesamt 14 Fertigungsstraßen für Batteriemodule, Hochvoltbatterien und E-Motoren sind derzeit belegt.

Den Anfang macht dabei die Zelle, welche nach den Vorgaben zugeliefert und innerhalb von fünf Sekunden lackiert wird. Pro Linie gelangen somit 4.000 lackierte Zellen stündlich in die nachgelagerte Modulproduktion. Aktuell sind dafür zwei Linien auf je 2.400 Quadratmetern vorgesehen, die jeweils 160 Module pro Stunde fertigen. Im August 2023 soll eine weitere hinzukommen. Der letzte Schritt zum Hochvoltspeicher besteht indes aus deutlich mehr manuellen und teilautomatisierten Arbeitsschritten. Mehrere Module werden auf zwei Linien zur Batterie montiert – auf der einen für reine E-Autos, auf der anderen für die Hybride.  

Zu guter Letzt wird im Kompetenzzentrum auch die elektrische Antriebsmaschine gefertigt. Rotor und Stator kommen dafür aus der gleichen, das Getriebe aus einer naheliegenden Halle. Gemeinsam mit der zugelieferten Leistungselektronik werden sie im Gehäuse aus dem BMW-Werk Landshut zum fertigen Antrieb vereint. Jährlich können auf diese Weise eine halbe Million E-Antriebe der fünften Generation gefertigt werden.

Komponentenwerk nutzt modulare Fertigung

Vor dem benachbarten Komponentenwerk 2.10 macht der Wandel in Dingolfing ebenso wenig Halt. Auch hier hat BMW sei Herbst letzten Jahres zwei weitreichende Neuerungen umgesetzt. Seither laufen alle Achsträger für die verschiedenen Antriebsvarianten vollumfänglich über dieselbe Linie. Bei dem modularen System werden die Komponenten über eine zentrale Mittelachse zur nächsten freien Schweißstation auf der linken oder rechten Seite befördert. Roboter positionieren die Bauteile anschließend für die einzelnen Prozessschritte und schweißen sie zusammen. Wartezeiten entfallen, da nicht mehr die zeitintensivste Variante den Takt vorgibt. Zudem müssen bei der Integration neuer Varianten nur noch einzelne Stationen angepasst oder ausgetauscht werden.

Ebenfalls neu ist der elektrische Ringherdofen im Komponentenwerk 2.10. Bei der Produktion von Fahrwerks- und Antriebskomponenten soll er jährlich 300 Tonnen CO2 einsparen. Durch ihn werden Bauteile – etwa Stirnräder für E-Getriebe – abgehärtet und gegen Verschleiß geschützt. Der Hochlauf der Elektromobilität habe die beiden bestehenden Ofenanlagen allmählich an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht, heißt es seitens BMW. Im Gegensatz zu ihnen wird der neue Härteofen aber nicht mit fossilem Erdgas, sondern mit Strom betrieben.

Der neue Härteofen im Presswerk von BMW in Dingolfing.
Im neuen Härteofen werden järhlich knapp eine Million Stirnräder produziert. (Bild: BMW)

BMW reduziert Emissionen in Presswerk und Karosseriebau

Es ist nicht die einzige Anstrengung, die BMW im Bereich Nachhaltigkeit unternimmt: Seit 2013 konnten die CO2-Emissionen um 30 Prozent reduziert werden. Diverse Pläne wie der Bezug von Nahwärme aus einer Biomasseanlage sollen in den nächsten Jahren daran anknüpfen. Wie sich die bisherigen Einsparungen zusammensetzen, tritt in den energieintensiven Gewerken des Presswerks, Karosseriebaus und der Lackiererei am deutlichsten zu Tage.

Demnach wurde das Presswerk am Standort Dingolfing im Jahr 2020 zum Vorreiter bei der sortenreinen Trennung und dem Recycling von Aluminiumblech-Verschnitten. Anfallende Restbleche aus den zwölf Produktionspressen werden dazu vollautomatisch über Schrottrutschen getrennt, auf drei Förderbänder verteilt und zu Würfeln gepresst. Pro Jahr ermöglicht dies eine CO2-Ersparnis von rund 120.000 Tonnen.

Im Karosseriebau forscht der Autohersteller derweil an den Einsatzmöglichkeiten von Gleichstrom (DC). Hier schaffen die 2.000 Mitarbeiter und 3.000 Roboter nicht nur die Grundlage für alle BMW-Modelle, auch sämtliche Rohkarossen von Rolls-Royce werden von ihnen gefertigt – insgesamt 1.600 pro Tag. Derzeit befindet sich in der Halle erst eine DC-Anlage im Pilotbetrieb, welche Brems- und Bewegungsenergie der Roboter in den Prozess zurückführt. Sollte der Ansatz jedoch skaliert werden, könnte das Gewerk knapp neun Prozent seines Stromverbrauchs einsparen. Zudem werde in den nächsten Monaten der eigens produzierte Solarstrom ins DC-Netz eingebunden, so BMW.

Die Lackiererei hat das größte Einsparpotenzial

Für die täglichen 1.600 Karosserien folgt im Anschluss der Weg durch die vier Linien der Lackiererei. Ein Gewerk mit knapp 1.200 Mitarbeitern, das vor allem beim Wasserverbrauch ins Kontor schlägt und rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in der Produktion ausmacht. Gleich mehrere Maßnahmen sollen dem entgegenwirken: Zunächst wurde der Energie- und Ressourcenverbrauch durch den Einsatz des neuen Integrated Paint Process reduziert, im Mai 2022 dann 60 Millionen Euro in weitere Maßnahmen investiert. Dazu zählt etwa die Umstellung auf ein System zur Trockenabscheidung des Oversprays. Die Lackpartikel werden dabei mit Kalksteinmehl statt Wasser aufgefangen, wodurch Wasser- und Energieverbrauch zugleich gesenkt werden. Eine neue nahezu oversprayfreie Lackiertechnologie soll diese Fortschritte weiter zementieren.

Ebenso „gespart“ wird im Zusammenhang mit der Kathodischen Tauchlackierung (KTL). Neue KTL-Linien mit moderner Filtrationstechnik reinigen das genutzte Wasser und führen dieses wieder dem Kreislaufsystem zu. Darüber hinaus sei eine Ausweitung der Wärmerückgewinnung in den Anlagen der Lackiererei geplant, verkündete BMW im Mai 2022. Module im KTL- und Abdichtbereich sollen die Restwärme demnach nicht wie üblich als Prozesswärme zurückführen, sondern über einen Organic Rankine Circle in Strom umwandeln.

Logistik hat in Dingolfing einen besonderen Stellenwert

Nachdem die lackierten Modelle über eine Brücke in die Montage und anschließend vom Band gelaufen sind, ist ihre Reise jedoch nicht zu Ende. Seit dem Anlauf der neuen 7er-Reihe rollen die Fahrzeuge im Rahmen eines Pilotprojekts eigenständig durch die Montagehalle in den Finish-Bereich und zu den Logistikflächen. Mit dem neuen 5er erfolgt der Rollout nun in größerem Umfang. Anders als beim autonomen Fahren auf der Straße wird dafür jedoch kein Sensor aus dem Auto genutzt. Stattdessen erstellt eine Erkennungssoftware aus der Sensorik-Infrastruktur einen digitalen Zwilling und nimmt Objektklassifizierung sowie Positionsbestimmung vor. Eine Fahrplanungssoftware lenkt, bremst, beschleunigt und parkt derweil die Autos. Am Neuwagenparkplatz angekommen, verlassen rund 70 Prozent davon das Werk auf der Schiene.

Dingolfing gilt aufgrund solcher Pilotprojekte, dem umfangreichen Werkbussystem mit seinen 2.500 Haltestellen in ganz Niederbayern sowie dem weitreichenden Einsatz fahrerloser Transportsysteme (FTS) als Taktgeber bei innovativen Logistikprozessen. Das liegt mitunter auch an dem Stellenwert der Logistik selbst: Denn zum größten europäischen Fahrzeugwerk gesellt sich das Herzstück der Aftersales-Logistik. Das sogenannte Dynamikzentrum bewahrt Ersatzteile wie Steuergeräte, Bremsscheiben oder Fußmatten für den gesamtem Weltmarkt auf. Zunächst wurde seine Lagerfläche nahezu verdoppelt, Ende 2020 dann ein neues Hochregallager eingeweiht. Sechs Regalbediengeräte können die rund 70.000 Gitterboxen vollautomatisiert ein- und auslagern sowie an eine Elektropalettenbahn übergeben. Die Werksgruppe in Dingolfing, sie ist in jeglicher Hinsicht auf Superlative aus.

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