Die Mille Miglia war, von 1927 bis 1957 ausgefahren, das seinerzeit schwerste Autorennen der Welt. Auf öffentlichen Straßen donnerten tollkühne Rennfahrer in Höchstgeschwindigkeit von Brescia nach Rom und wieder zurück - 1.000 Meilen, rund 1.700 Kilometer. Stirling Moss, Tazio Nuvolari, Huschke von Hanstein oder Gianni Marzotto wurden hinter den spindeldünnen Steuerrädern so zu Helden. Der Brite Stirling Moss hält bis heute auf der Mille Miglia die Bestzeit, die er 1955 mit seinem Beifahrer Denis Jenkinson in einem Mercedes 300 SLR aufstellte: 10:07:49 h.

Die Neuauflage des Rennens ist seit 1977 eine Touristenfahrt und eine besonders schnelle zudem. Mit Höchstgeschwindigkeit geht es wie einst auf leicht variierender Strecke quer durchs Land. Statt der ehemals zehn bis zwölf Rennstunden sind die finanzstarken Piloten in ihren rasenden Preziosen mittlerweile vier Tage unterwegs. Im Freundes- und Bekanntenkreis lassen sich die Starter trotzdem nicht selten als Heroen der Neuzeit feiern, die die legendären 1.000 Meilen durch Italien wie ein Gladiator bezwungen haben. Einmal in dem filigranen Jaguar XK 120, dem mächtigen Bentley 4,5 Litre, einem grazilen BMW 328 oder dem visionären Mercedes 300 SLR durch die seichten Hügelketten der Toskana, begeisternde Kinderhände in Buonconvento abklatschen oder im Tross ins nächtliche Rom einfahren - das hat etwas Einmaliges, fraglos Unvergessliches. Die pralle Natur des italienischen Nordens genießen, das ebenso malerische wie touristische San Marino erklimmen und sich in namenlosen Orten einen Cappuccino am Wegesrand gönnen - all das kann man nur auf der Mille Miglia. Einer Oldtimerrallye wie keiner anderen, die versucht, die Historie ins hier und jetzt zu retten und dabei den Schein zu bewahren.

Kein Wunder, dass viele Firmen und hierbei nicht zuletzt Autohersteller die Mille Miglia als imagestarkes Marketinginstrument erkannt haben und die viertägige Ausfahrt durch Bella Italia so einer Präsentation der eigenen mehr oder weniger glorreichen Rennsportgeschichte werden lassen. Die tollkühnen Männer sitzen zumeist jedoch nicht in BMW 328, Porsche 356 oder Alfa Romeo 6C, sondern eher als fleißige Bienen in den hunderten von Begleitfahrzeugen. Denn was Mercedes, BMW, Porsche, Ferrari, Maserati, Jaguar oder Bentley alljährlich zur Mille Miglia auffahren, ist nicht selten das ganz große Besteck. Dabei sind die spektakulären Klassiker ähnlich akribisch vorbereitet, als wäre man aktuell in der Formel 1 unterwegs und würde um den Sieg kämpfen.

Grundflexibilität im Tross

"Die Planungen für jede Mille Miglia beginnen bei uns im September / Oktober", erzählt Ralph Wagenknecht von Mercedes-Benz Classic, "die Orga-Mannschaft umfasst bei uns acht bis zehn Personen inklusiv Team-Arzt, Steuerung der Agentur und Fotografen, Akkreditierungen, Sicherheit, Hotels und Catering. Pro Nacht müssen allein hundert Zimmerbuchungen koordiniert werden." Mercedes ist allein mit mehr als 40 Begleitfahrzeugen vor Ort. "Wir haben 16 Serviceteams mit 34 Spezialisten für Mechanik, Elektrik und Karosserie", sagt Mercedes-Projektmanager Michael Plag, "in diesem Jahr sind wir mit den Modellen SS, SSK, 300 SL Flügeltürer, 190 SL, 220a Ponton und 180 D im Rennen dabei." Damit die Fahrzeuge bei einer etwaigen Panne schnell aufgespürt werden können, sind die Fahrzeuge bei den großen Teams mit GPS-Sendern ausgestattet. "Für uns gilt: no time to loose."

Porsche lässt es gewohnt sportlich, aber ein paar Klassen kleiner angehen. "Im Verglich mit anderen Herstellern bei der Mille Miglia sind wir aus gutem Grund in nur überschaubarer Truppenstärke unterwegs, mit maximal drei Teilnahmeteams", sagt Alexander E. Klein aus dem Klassikteam der Zuffenhausener, "dies gibt uns eine Grundflexibilität im Management unserer Teilnehmer, die gerade im südländischen Ausland hin und wieder erforderlich ist." Er spricht das aus, was seit Jahren nicht nur bei der Mille Miglia mitschwingt. Die Großveranstaltung mit ihren mittlerweile über 400 Teilnehmerfahrzeugen ist eine logistische Herausforderung, die jedes Jahr zahllose Überraschungen bereithält. Kein Wunder, dass die Firmen zumeist lokale Agenturen und Notteams in der Hinterhand haben, damit nichts anbrennt.

Höchstleistungen der Begleitteams

Der organisatorische Aufwand, 1.700 Kilometer durch halb Italien mit einer Horde von 450 Teilnehmern, einer kaum kleineren Zahl von Teamfahrzeugen und ungefähr dem Doppelten an Schaulustigen und Möchtegern-Teilnehmern zu donnern, ist gigantisch. Einst war die Mille Miglia Storico im autobegeisterten Italien unantastbar. Sie verzauberte über Jahre die Massen landauf landab und wurde zu einem mobilen Volksfest. Geschäfte bekamen Sonderöffnungszeiten, Schüler durften der Schule fernbleiben und Verkehrsregelungen waren für die Dauer der Tour sowieso außer Kraft gesetzt. Doch immer mehr Kommunen winken mittlerweile ab, wenn es um die Routenführung geht. Sie wollen keine allenfalls dreistündige Durchfahrt ihrer Stadtgrenzen. Denn die kleinen Orte profitieren kaum von dem Klassiktross. Vorbei sind daher in vielen Regionen die Zeiten, in denen die Kinder des Ortes Fähnchen in die Hand bekamen um die neuzeitlichen Heroen hinter dem Steuer mit einem Fahnenmeer zu empfangen. Groß war das Gezeter vor Jahren, als die ersten Kommunen ihre Pforten für die Mille-Miglia-Organisatoren dichtmachten oder die geduldeten Geschwindigkeitsüberschreitungen im Nachgang teuer ahndeten. Die Andenken der Mille Miglia war so nicht nur Teamkleidung, exklusiver Chronometer und Sonnenbräune, sondern ein 500-Euro-Ticket in den Wochen danach.

Die Werkstattteams vollbringen während des viertägigen Rennens sportliche Höchstleistungen. Zum einen müssen sie dem donnernden Tross am Rande der Legalität mit Höchstgeschwindigkeit im bisweilen turbulenten italienischen Straßenverkehr folgen. Die 1.700 Kilometer für die Oldtimer der 20er bis 50er Jahre kein Pappenstiel - Pannen sind an der Tagesordnung. Da heißt es schnell helfen. Zum anderen beginnt der Tag für die Mechaniker zwei Stunden früher als für die Starter und nicht selten bringt die Nacht keinen echten Schlaf. Denn wenn sich Pilot und Beifahrer nach langen und allemal kräftezehrenden Etappen voller Erlebnisse des Renntages in den Kissen wälzen, werden an den Oldtimern Räder und Antriebe kontrolliert, Flüssigkeiten nachgefüllt oder ganze Komponenten gewechselt. Da sich dies mit den erlaubten Arbeitszeiten kaum darstellen lässt, sind jeweils durchweg mehrere Monteurteams vor Ort, die im Zwei- bzw. Dreischichtbetrieb arbeiten. "Im einfachen Fall kommen auf jedes Teilnahmefahrzeug eines Herstellerteams vier Techniker", erklärt Alexander E. Klein von Porsche, "im realistischen Fall kommen auf jedes Teilnahmefahrzeug eines Herstellerteams sechs Techniker, ein Dreischichtbetrieb."

"Allein unsere Rennvorbereitungen dauern pro Fahrzeug bei uns ein bis zwei Tage", sagt Stefan Behr, seit Jahren für BMW im Veranstaltungsteam der Mille Miglia dabei, "doch vor Ort gibt es viel zu tun. Da sind nachts auch schon Getriebe gewechselt oder während des Rennens in kleinen Ortschaften Schweißarbeiten durchgeführt worden." Dabei sind die Werkstattteams nicht die einzigen, die an den Tagen Höchstleistungen vollbringen. Unsichtbare Organisationsteams sorgen dafür, dass Ersatzteile herbeigeschafft, Zimmer umgebucht oder Sonderwünsche der Teilnehmer erfüllt werden. Jedes der Rennteams hat zudem einen Rennarzt dabei, der sich um die kleineren und größeren Blessuren der Teilnehmer kümmert. Und wenn der Mittagsstopp nicht rechtzeitig fertig wird, "wird hier ein Transporter zur Pizzeria umfunktioniert und hieraus serviert", erinnert sich Alexander E. Klein. Und wenn einer der Teilnehmer seinen Zimmerschlüssel in der Hosentasche vergessen hat, bringen unsichtbare Helfer diesen in Windeseile zurück. Während der Mille Miglia geschieht auch bei Ihnen alles im Renntempo - im Gegensatz zu den Piloten der rasenden Klassiker sieht das jedoch keiner.

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