Heutzutage einen Automobilhersteller zu treffen, der jede Messe rund um den Globus nutzt, um seine Neuheiten der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, ist selten geworden. Zu sehr wird auch in dieser Branche immer mehr auf das liebe Geld geschaut. Es scheint, die Zeit für Alternativen ist reif. Und genau an dieser Stelle kommt das Festival of Speed im britischen Goodwood ins Spiel. Denn die so oft als gewaltige Gartenparty bei Lord March titulierte Veranstaltung bietet genau das, wovon Automobilhersteller eigentlich träumen: Ihre Neuheiten bei voller Fahrt genau den Menschen zu zeigen, die Autos lieben. Da stört es auch kaum, dass eine Tageskarte ein Loch von rund 65 Euro in die Familienkasse fräst. Den Briten darf ja dieser Tage vieles vorgeworfen werden, doch sind sie die wahren Petrolheads und Autofreaks auf diesem Planeten. Und genau diese Kombination von mehr als einhunderttausend Autoverrückten, einem traumhaft schönen Veranstaltungsgelände und den seltensten, teuersten, schnellsten und verrücktesten Fahrzeugen in Originalbesetzung treibt immer mehr Automobilhersteller über den Kanal in den grünen Süden Großbritanniens. Brexit? Nie gehört.

Dass jedem einzelnen Fahrzeug an jedem der insgesamt vier Veranstaltungstage vielleicht in Summe nur knapp zwei Minuten Fahrtzeit eingeräumt werden kann, spielt da schon fast keine Rolle mehr. Wer herstellerseitig dem als Autoenthusiasten bekannten Lord ein paar Pfund extra zusteckt, darf auch eine Extratour über die provisorische Rennstrecke den kleinen Hügel hinauf einplanen. Pfund, die wahrscheinlich allein für die Instandsetzung der gewaltigen Grünflächen drauf gehen dürften. Besonders dann, wenn Petrus den Begriff des englischen Wetters zurück in die Erinnerung ruft. Da kann ein heckangetriebener Supersportwagen im Wert von mehreren Millionen Euro auch noch so toll ausschauen. An einer kleinen Steigung auf matschigem Golfplatzboden wird auch er voneinem alten, gebrauchten Allradler in den Schatten gestellt. Wenn gar nichts mehr geht, kann ja im Zweifel der eigene Jet zum nahegelegenen Flughafen geordert werden.

Einer dieser Herren könnte zum Beispiel Nick Mason sein. Das 73 Jahre alte Gründungsmitglied der Musikgruppe Pink Floyd ist Stammgast beim Festival of Speed. Und wenn er schon mal da ist, dann kann er auch gleich sein Nummernschild mit der Aufschrift 250 GTO nebst gleichnamigen Ferrari beim Hill Climb den Zuschauern präsentieren. Es darf davon ausgegangen werden, dass er auch in diesem Jahr wieder Angebote für diesen Sportler in Höhe von rund 50 Millionen Euro erhalten wird. Fast schon ein Schnäppchen ist da der in Goodwood zum ersten Mal der Weltöffentlichkeit präsentierte Porsche 911 GT2 RS mit nun 700 PS. Dass so viel PS in Kombination mit einem reinen Heckantrieb in den richtigen Händen auch noch beherrschbar sind, zeigt Rallye-Ikone Walter Röhrl beim Sprint auf die kleine Anhöhe. Neben dem Neuling der Porsche-Familie heizen aber auch in diesem Jahr erneut mehr als ein halbes Dutzend echter Porsche-Museums-Raritäten unter den strengen Augen von Porsche-Museumschef Achim Stejskal über den rutschigen Asphalt. Die interne PS-Krone trägt dabei mal wieder der Porsche 917 30 aus dem Jahr 1973 mit bis zu 1.500 PS.

Richtig eins auf die Ohren bekommen

Gleichviel PS leistet der neue Bugatti Chiron, der sich seinen Hersteller-Stand mit sieben weiteren Bugattis teilt. Insgesamt sind hier 9.404 PS zu sehen. Das Besondere an dem Festival of Speed ist allerdings, dass genau in dem Moment, wenn das vermeidlich stärkste Fortbewegungsmittel ausgemacht wird, der eigentliche PS-Häuptling des Wochenendes am Himmel erscheint. Gemeint ist der rund 75.000 PS starke Eurofighter Typhoon, der wenige Stunden nach dem grandiosen Auftritt der Hawk T1-Kunstflugstaffel Red Arrows für steife Nacken sorgt. Geradezu unvorstellbar ist jedoch die Tatsache, dass die brachiale Soundkulisse eines Kampfjets zur Nebensache verfliegt, wenn die Ingenieurstruppe der Mercedes-Klassikabteilung die Silberpfeile W25 und W125 vorstarten. Wer just in diesem Moment hinter einem dieser Kronjuwelen des Mercedes-Museums steht, bekommt den Schock seines Lebens.

Einen ähnlichen Schock erfahren Ahnungslose, wenn der Austin Bantam Roadster Rat Trap mit seinem 6,9 Liter großen V8 gemütlich über den Asphalt rollt und plötzlich mit qualmenden Reifen durchbeschleunigt. Denn der 1932 gebaute, ziemlich kurz ausschauende Dragster wird innerhalb eines Sekundenbruchteils zum Sound-Alptraum. Eine Explosion direkt im eigenen Ohr könnte kaum lauter sein. Nicht ganz so laut, aber mit 600 PS auch nicht gerade untermotorisiert zeigt sich der neue Jaguar XE SVR Project 8 auf dem liebevoll um einen Baum errichteten Jaguar Land Rover-Stand. Überhaupt bietet genau dieser Stand auf dem immer größer werdenden Festival of Speed nahezu am meisten. Neben einer sportlichen Drift-Mitfahrt in hochmotorisierten Jaguar-Modellen, sind die Zuschauer gern bereit über 1,5 Stunden auf eine Mitfahrt in aktuellen Land Rover-Modellen auf einem futuristisch anmutenden Offroadgelände zu warten. Während sich bei Ford Besucher aus dem ersten Stock des ebenfalls gewaltigen Autohaus-Komplex auf ein riesiges Luftkissen fallen lassen können, darf bei McLaren der neueste 570S Spider nebst einer perfekten Lego-Kopie des 720S bewundert werden. Letzterer besteht aus 280.000 Steinen, wurde von sechs Personen in mehr als 2.000 Stunden zusammengebaut und wiegt mit 1,6 Tonnen rund 300 Kilogramm mehr als das Original. Vor allem aber genießen die aus der ganzen Welt angereisten Besucher die Möglichkeit, ihren automobilen und auch menschlichen Stars so nah zu sein, wie nie zuvor. Bei solch einer hohen Promi-Dichte fällt der auf den ehemaligen Formel 1-Chef Bernie Ecclestone schlendernde Red Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz in schicken Shorts kaum noch auf.

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