Es ist Winter. In Dearborn im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan heißt das viel Schnee und Eiseskälte. Der Anblick des Ford-Hauptsitzes sorgt mit seinen antik wirkenden Backsteinhäusern und seiner verlassenen Toreinfahrt auch nicht gerade für warme Gefühle. Eine kleine, grüne Zimmerpflanze scheint hier, neben dem gelangweilt auf flimmernde Überwachungsbildschirme starrenden Pförtner, das einzige Lebewesen zu sein. Doch selbst sie lässt angesichts der hier herrschenden Tristesse ihr Köpfchen hängen. Dabei sollte hier doch eigentlich alles strahlen, tanzen und gute Laune versprühen angesichts des automobilen Höhepunktes, der hier irgendwo innerhalb von 15 Monaten entwickelt und auf die Räder gestellt wurde. Die Rede ist vom neuen Ford GT, der Ende 2016 für knapp 400.000 Euro auf die Straße kommen soll. Insgesamt werden 250 Exemplare des Supersportlers pro Jahr produziert. Und seine Geburtsstunde, beziehungsweise seine Schöpfung fand genau hier, im verschneiten Dearborn nahe Detroit statt.

So geheim wie Area 51

Nach einer kurzen, typisch amerikanischen Sicherheitsbelehrung, nach der nur auf der rechten Seite einer sich durch das komplette Gebäude ziehenden Linie aufgehalten werden und marschiert werden darf, geht es auf die Suche nach dem geheimsten Raum in der Autowelt. Nach nur wenigen Augenblicken wird klar, dass die Marschregel durchaus ihre Berechtigung hat. Denn durch das über unzählige Flure verfügende Gebäude innerhalb des Ford Forschungs- und Entwicklungs-Centers flitzen ständig kleine, einen Nerv tötenden Piepton ausstoßende Transportfahrzeuge. Die Gesichtsausdrücke ihrer Fahrer zeigen, dass nicht nur der erste Kontakt mit solch einem piependen Flitzer unglaublich nervt. Nach einigen bösen Blicken von Fordangestellten, da manch ein Besucher der Versuchung erliegt gut einsehbare, rechtwinklige Kurven völlig barbarisch und rebellisch über die gelbe Demarkationslinie hinweg zu schneiden, geht es durch den letzten Flur. Ein paar Negativ-Formen für Felgen sowie Schaumstoff- und Plastikabfälle säumen den Weg bis zur letzten Tür, neben der auf einem großen blauen Schild mit weißer Schrift die Worte “Ford – design milling and measurement group” zu lesen sind. Sprich, hier wird gefräst und vermessen. “Da haben sie uns aber schön veräppelt”, ist in einigen Gesichtern mitgereister Abenteurer zu lesen. Allerdings nur solange, bis einer von insgesamt nur zwei existierenden primitiven Schlüsseln die Tür öffnet.

Von einer Erleuchtung oder starken Sonnenstrahlen zu sprechen, die von jetzt auf gleich den tristen Flur überfluten wäre schlicht gelogen. Zumal der fensterlose Kellerraum auch vor dem 13. Oktober 2014, dem Tag als er zum ersten Mal zum Zwecke dieser einen Top-Secret-Mission aufgeschlossen wurde, noch niemals die Sonne erleben durfte. Jedoch ist schon nach wenigen Augenblicken und erst recht nach wenigen Metern innerhalb des größten Geheimnisses nach der Area 51 klar, dass hier etwas Wundervolles geschaffen wurde und auch noch wird. Inmitten von ein paar Designobjekten in Groß und Klein, vielen beposterten Stellwänden und einer gewaltigen 3D-Fräse stehen sie: drei lebensgroße Versionen des neuen Ford GT. Der Wunsch, die nach oben hin öffnenden Türen aufzureißen und Platz zu nehmen steigt sofort auf. Bei einem der drei Objekte würde dieser Versuch jedoch lediglich mit blauen Flecken und zerkratzen Fingernägeln quittiert werden, denn in Wahrheit ist es nur ein lackiertes Tonmodell – was dennoch jeden noch so finsteren Kellerraum ungemein schmücken würde.

600+x PS

Die große Frage nach dem “Warum wurde hier unten im Keller, in einem so langweiligen Bereich des Hauses, ein Raum mit solch simplen Schließmechanismen zur Schaffung solch eines Prestigeobjektes gewählt?” beantwortet Ford US-Design-Chef Chris Svensson gern: “Das ganze Projekt sollte so unauffällig wie nur möglich parallel zu allen anderen Projekten stattfinden. Nur zwölf Personen hatten Zugang zu diesem Raum. Wir gingen sogar soweit, die modernen Elektronikschlösser gegen konservative Schlüssel-Schlösser auszutauschen, weil uns das sicherer erschien. Neben Designchef Moray Callum besitzt Entwicklungschef Raj Nair noch einen Schlüssel – das war es. Will irgendjemand anders in diesen Raum, muss er solange warten, bis die Chefs da sind. Nahezu niemand ahnte, was hier unten entsteht!” Das Ziel des geheimen Dutzends war von Anfang an klar gesteckt, wie der Designer weiter verrät: “Wir wollten keinen Ferrari oder Lamborghini nachbauen. Wir wollten unser eigenes Ding durchziehen. Dieser GT im Rennwagentrimm soll nichts weniger als den Klassensieg bei den diesjährigen 24 Stunden von LeMans gewinnen.” Dieses Ziel ist nicht aus der Luft gegriffen. Der Grund ist schnell erklärt: Vor genau 50 Jahren sorgte Ford mit dem GT Mk2 und den Fahrern Bruce McLaren und Chris Amon für den Gesamtsieg. Die Plätze zwei und drei sind damals ebenfalls von Ford GT Mk2-Fahrzeugen belegt worden.

Um dieses durchaus ambitionierte Ziel zu realisieren, wurde bei der Entwicklung der Fokus auf die Aerodynamik und erst an zweiter Stelle auf den Motor gelegt. Chef-Ingenieur Jamal Hameedi erklärt: “Wir entwickelten erst das Aerodynamiksetup. Erst danach pickten wir uns den effizientesten Ecoboost-Motor heraus, den wir für dieses Projekt finden konnten. Andere Supersportwagenhersteller bieten noch Platz für Golf-Bags oder -Schläger, wir nicht. Warum wir den 3,5 Liter V6 genommen haben? Wenn andere Jungs zwei weitere Zylinder mit sich herumschleppen wollen, bitte schön. Wir erreichen unsere erzielten 500+x PS auch mit einem Sechszylinder-Aggregat.” Dass es am Ende bei der Straßenversion sogar 600+x PS sein werden, gilt mittlerweile als offenes Geheimnis.

Fast noch faszinierender, als der kompakte Motor im von tiefen Luftdurchlass-Schluchten bestimmten und per Knopfdruck fünf Zentimeter herunterfahrbaren Aluminiumkleid geht es aber im Inneren des Ford GT zu. Hier wirkt irgendwie alles größer als es eigentlich ist. Die Magie dieser Traumfabrik im Keller eines öden Forschungszentrums wird beim genauen Vermessen und dem damit einhergehenden Eingeständnis die Maße völlig falsch eingeschätzt zu haben, erst so richtig greifbar. Beginnend beim 35 Zentimeter breiten Lenkrad, das sowohl an der Ober- als auch an der Unterseite abgeflacht ist, über den 6,5 Zoll großen Infotainment-Bildschirm in der Mittelkonsole bis hin zum Rückspiegel, wirkt hier alles mindestens eine Nummer größer. “Wir konnten nicht einmal den Spiegel aus einem Fiesta nehmen, da dieser zu viel Sicht rauben würde. Die Sitze sind festmontiert, um ein paar Zentimeter an Kopffreiheit zu gewinnen. Die Pedale und das Lenkrad sind bis zu 20 Zentimeter herausfahrbar. Zugleich sitzen die beiden Insassen so nah bei einander, dass sich fast ihre Schultern berühren, beziehungsweise der Fahrer locker die Beifahrertür aufmachen kann”, schwärmt Interieur-Design-Chef Amko Leenarts. “Für den Beifahrer haben wir anstelle des Handschuhfachs auf Wunsch eine offene Box in den Fußraum gepackt, wo er zum einen Halt findet und zum anderen ein paar Kleinigkeiten hineinpacken kann.” Kleinigkeiten, wie die Urkunde zum LeMans-Sieg? Denn für einen Pokal ist kein Platz mehr.

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