Jedes Jahr pilgern weit über 200.000 Fans ins abgelegene Département Sarthe, um dem legendärsten Rennen der Welt zu huldigen. Jetzt ist es bald wieder soweit. Die 83. Auflage steht in den Startlöchern.

In den letzten Stunden von Le Mans fällt meistens die Entscheidung. Dann ist die Spannung in den Boxen der einzelnen Teams förmlich greifbar. Dann mutieren selbst gestandene Vorstandschefs, die jedes Jahr über Milliarden-Etats entscheiden, zu fanatischen Fans ihrer Automobil-Marke und kauen nervös an den Fingernägeln. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Jeder noch so kleine Fehler kann das Ende der Siegeshoffnungen bedeuten und die monatelange Vorbereitung in den Motorsport-Mülleimer werfen. Dafür ist der Sieges-Lorbeer umso begehrter.

Schließlich geht es nicht um irgendein Rennen, sondern um “die” 24 Stunden von Le Mans – das größte Motorsport-Fest der Welt. Die 24 Stunden von Daytona oder der Fomel-1-Grand-Prix von Monaco sind im Vergleich zur Rund-um-die-Uhr-Jagd im Nordwesten Frankreichs bessere Provinzveranstaltungen. Einige der berühmtesten Kurven der Welt, die jeder Motorsportfan aus dem FF kennt, durchjagen die Fahrer immer und immer wieder.

Darunter sind einige der berühmtesten Ecken der Welt: Tertre Rouge, Arnage, Porsche, Mulsanne und Dunlop. Auf den langen Geraden ballern die LMP1-Boliden mit über 340 km/h über die Strecke – bei Tag und bei Nacht. Da würde jeder Formel-1-Pilot schon aussteigen. Dieses Jahr haben 98 Teams gemeldet. Die hochgezüchteten LMP-1-Boliden sind die Königsklasse (23 Teams), etwas volksnäher sind die LM-GTE-Pro-Autos, in der sich unter anderem Porsche 911, Aston Martin V8 Vantage und Ferrari 458 tummeln.

Das Rennen ist ein Mega-Ereignis

Kein Rennen hat mehr Historie. Hier spielten sich triumphale Szenen und Tragödien ab. Jaguar und Ferrari dominierten in den 1950ern und 1960ern. Porsche zelebrierte mit dem legendären 917 seine größten Erfolge. Audi war in den vergangenen Jahren nicht zu schlagen. Wer in Le Mans gewinnt, steht auf immer und ewig in den Geschichtsbüchern des Rennsports. Aber auch Tragödien erschütterten die 24-Stunden-Wettfahrt. Trauriger Höhepunkt: Vor 60 Jahren kamen bei dem dramatischen Unfall, in den der Mercedes von Pierre Levegh verwickelt war, über 80 Menschen ums Leben. Der deutsche Premium-Autobauer zog sich nach dem schlimmsten Unfall der Rennsportgeschichte für Jahre vom professionellen Wettkampf zurück.

Heute ist das Rennen ein Mega-Ereignis. Neben den vielen Millionen, die auf der ganzen Welt gebannt das Geschehen am Fernseher verfolgen, pilgern jedes Jahr weit mehr als 200.000 Fans an die 13,629 Kilometer lange Rennstrecke und feiern eine riesen Party, bei der nicht nur die Umdrehungen der Motoren hoch sind. Was bei dem ganzen Spaß fehlt, sind Hotels. Also gibt es rund um die Strecke-Zeltplätze. Darunter auch die Edel-Version, die mit einem Maschendrahtzaun und Türstehern ihr Revier markieren. Dann wird zwischen Aston-Martins, Jaguars und Porsches gegrillt und natürlich getrunken. Die Engländer bleiben gerne unter sich und tun das auch gerne mit einer Fahne kund.

Rund um die Uhr

Die Deutschen rücken gerne mit dem Wohnmobil an. In Le Mans ist es egal, ob Du mit einem Rolls-Royce oder einem Trabi vorfährst: An der Strecke, die zum Teil über öffentliche Straßen führt, sind alle gleich. Die Fans eint die Begeisterung für Motorengewalt und die sportliche Höchstleistung. Wer mit Ohrenstöpseln schläft, wird als Weichei verpönt. La Boom, die Le-Mans-Fete läuft während der ganzen Woche. Das Highlight für viele Fans ist das “En venant aux 24 Heures du Mans”. Dort präsentieren die Fans in der Innenstadt auf dem Place de Jacobins ihre teils aufwendig restaurierten Privatfahrzeuge. Eine Jury entscheidet über den Gewinner, dem ein Foto-Shooting inklusive Fahrzeug auf der Rennstrecke winkt. Die Preziosen bilden die passende Kulisse für eine ganz besondere Kino-Aufführung. Am Abend wird auf einer Großbildleinwand der legendäre Film “Le Mans” mit Steve McQueen gezeigt. Wer meint, es besser zu Können, als die Profis, kann sich an den Tagen vor dem Rennen bei Kart-Fahrten oder im Simulator austoben.

Trotz aller Professionalität bieten die 24 Stunden von Le Mans Motorsport zum Anfassen: Eine Autogrammstunde jagt die nächste. Die Fahrerparade durch die Innenstadt ist ein Pflichttermin für jeden Fan. Die findet am berühmten “Mad Friday” vor dem Rennen statt. Den Namen trägt der Wochentag nicht zu Unrecht: Denn da wird in den Bars und den Theken noch einmal richtig Gas gegeben. Immerhin startet das Rennen erst am Samstag um 15 Uhr. Mit viel Schlaf und Aspirin sollten selbst die härtesten Schnapsjäger bis dahin wieder fit sein. Zumal die diesjährige Ausgabe der 24 Stunden eine extreme Spannung verspricht. Bei den Generalproben in Spa Francorchamps und Silverstone trennten die Erzrivalen Audi und Porsche nur Sekunden.

Porsches Hybrid-Dampfhammer

Audi hat extrem an der Aerodynamik gearbeitet. “Es ist eine große Evolution”, sagt “Mr. Le Mans” Tom Kristensen über den “neuen” Audi R18 e-tron quattro. Schon beim WEC-Rennen in Spa Francorchamps haben die Ingolstädter den das neue Aerodynamik-Paket für Le Mans getestet. Die Langheckversion des Audi soll eine Höchstgeschwindigkeit erreichen, die bis zu 30 km/h höher ist, als bisher. Das wird vor allem auf den langen Geraden in Le Mans extrem wichtig sein, um mit den pfeilschnellen Porsches mitzuhalten. Die Vorjahressieger aus Ingolstadt haben natürlich auch technisch aufgerüstet und starten jetzt in der Vier- statt wie bisher in der Zwei-Megajoule-Klasse. Damit haben die Audis auch mehr Elektro-Power als bisher.

Porsche packt dagegen den Hybrid-Dampfhammer aus und setzt in der Acht-Megajoule-Klasse auf größere, aber auch schwerere Batterien. “In Le Mans ist der Vorteil der acht Megajoule-Hybridsysteme am größten”¸ sagt der Porsche-LMP1-Rennleiter Fritz Enzinger. Audi kontert gelassen und verweist auf die zwei Siege bei den Generalproben in Silverstone und Spa Francorchamps. “Wir fühlen uns mit unserem Paket gut aufgehoben”, lächelt Motorsportchef Wolfgang Ullrich. Die großen Unbekannten sind Nissan und die WEC-Titelverteidiger Toyota. Während Nissan sich mit dem GT-R LM Nismo wenig Chancen einräumt und das olympische Motto “dabei sein ist alles” auslebt. Das futuristisch anmutende Fronantriebs-Batmobil wird in Le Mans seine erste Feuerprobe bestehen. Dem Vernehmen nach, funktioniert das Zusammenspiel zwischen E-Motor und Frontantrieb noch nicht, wie gewünscht.

Ganz anders Toyota. Die Japaner haben nicht nur das kleinste Motorhome aller Favoriten, das eher einer Trutzburg gleicht, sondern lassen sich auch sonst nicht in die Karten schauen. Die WEC-Titelverteidiger fuhren mit mehr als einer Sekunde Rückstand den beiden Deutschen hinterher. Als Grund haben die Verantwortlichen den Saugmotor identifiziert, der rund 150 PS weniger auf die Hinterachse bringt, als die 1000+-Raketen von Audi und Porsche. Doch in Le Mans soll es wieder besser werden. Zumal der Reifenverschleiß eine große Rolle spielt. Dieser Faktor könnte auch die brutal schnellen Porsche über die Renn-Distanz einbremsen. Die Privat-Teams von Rebellion-und Bykolles haben wenig Chancen, den Großen Drei ein Schnippchen zu schlagen. Die Schere zwischen den Privaten und den Werksteams wird ohnehin immer größer. Mittlerweile sind die 24 Stunden von Le Mans zu einem Sprint-Marathon mutiert, bei dem von der ersten bis zur letzten Sekunde Gas gegeben wird. Auf und neben der Strecke.

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