Als die beiden Amerikaner in der wenig ansehnlichen Hafengegend von Long Beach hinter einigen heruntergekommenen Containern einen noch heruntergekommeneren Mercedes mit verblasstem braunen Lack und einer von Rost überzogenen Karosserie entdeckten, wussten die beiden noch nicht, welche Geschichte sich hinter diesem W 123er verbarg. Rund zehn Jahre soll er hier bereits gestanden haben. Wie er dahin gekommen ist, weiß heute so recht niemand mehr, doch Autosammler Blue Nelson hatte sich direkt in das braune Ungeheuer verliebt und wollte ihn wieder auf die Straße bringen. Nachdem er die bräunliche Oberklasselimousine mit ihrem nur schwer zu erkennenden Charme vergangener Zeiten bei den örtlichen Hafenbehörden ausgelöst hatte, führte der erste Weg ins Classic Center von Mercedes in Irvine im Süden Kaliforniens, kaum mehr als eine halbe Stunde südlich von Long Beach. Schließlich soll der 123er wieder auf die Räder gebracht werden und hier tat eine fachkundige Meinung Not, was dafür zu tun sei.

Das Klassikteam machte große Augen, denn bei dem brauen Mercedes 200 Diesel mit dem deutschen Kennzeichen A - AA 697 handelte es sich um das Modell, das unter der Bezeichnung "brauner Benz" von 1994 bis 2007 mit Weltenbummler Markus Besold mehr als 600.000 Kilometer um die Welt gereist war. Im Kühlergrill prangt noch heute eine Plakette aus dem Jahre 1989, die seinerzeit die Zufahrt zur Nobelenklave Del Monte Forest in Kalifornien erlaubte. Seit seiner Erstzulassung im Jahre 1982 war der 200er mit Selbstzündertechnik unter anderem durch Europa, Afrika, Süd- sowie Nordamerika gedieselt und hatte dabei insbesondere auf dem schwarzen Kontinent harte Zeiten erlebt. Blue Nelson wollte den automobilen Weltenbürger so authentisch wie möglich auf der Straße halten. Der weithin verrostete 123er hatte mittlerweile mehr als 820.000 Kilometer auf dem Buckel. Ein echter Dauerläufer, der mit seinen 44 kW/60 PS, ohne Turboaufladung und einer in Aussicht gestellten Höchstgeschwindigkeit von 135 km/h zwar kein Rennen gewinnt, aber jeden Marathon und Crossläufe - über Jahrzehnte.

Die Serienausstattung des Mercedes 200 Diesel ist wie bei vielen Diesel-123ern dünn, denn der Erstbesitzer ergänzte das ohnehin dünne Standardpaket seinerzeit nur mit einer Servolenkung, Mittelarmlehne, Colorverglasung und einer Zentralverriegelung, bevor der Wagen am 12. Mai 2982 ausgeliefert wurde. Auf dem Armaturenbrett klebt ein Armeekompass und ein kleines Kamel, während nach Lastwagenmanier am Plastiklenkrad ein Lenkknauf das Kurbeln erleichtert.

Die Tour geht weiter - rund um L.A.

Markus Besold hatte den 123er zunächst als Alltagsauto mit einer Laufleistung von 232.665 Kilometern im August des Jahres 1994 für 4.990 D-Mark erstanden. Damit der Wagen erkundungstauglich und geländegängig wurde, bekam er über die Jahre nicht nur vier Zusatzscheinwerfer, sondern insbesondere einen mächtigen Dachgepäckträger für Ersatzreifen, zehn Ersatzkanister und Panzerplatten für das Anfahren im weichen Sand. Um für alle Wetter- und Straßenbedingungen auf den Kontinenten gerüstet zu sein, gab es zusätzlich Öl- und Tropenkühler, Unterfahrschutz nebst Höherlegung, Schmutzfänger und Dieselvorwärmer.

Mit dem vergrößerten Tank des seinerzeitigen Topmodells 280 E mit 80 Litern Volumen und dem Kanisterkonglomerat auf dem Dach schaffte der sparsame Diesel-Benz ohne Tankstopp eine Reichweite von über 3.000 Kilometern. "Ich benötigte ein Auto, in dem es sich angenehm Reisen lässt, das für vier Personen einschließlich Gepäck ausreichend Platz bietet und mit dem ich auch bei den weitesten Strecken keine Gedanken an eine Panne verschwenden muss. 

Auf seinen Reisen sah der "braune Benz", wie Weltenbummler Besold ihn nannte, unzählige Länder, Regionen und Klimazonen. Dabei holte sich der 123er bei zahllosne Unfällen Dellen, Beulen und Beschädigungen. Der automobile Lochfraß wäre ihm im vergangenen Sommer jedoch beinahe zum Verhängnis geworden, denn als Blue Nelson auf dem Weg zu der Oldtimerveranstaltung "Legends of the Autobahn" fahren wollte, die als einer der Höhepunkte der spektakulären Pebble Beach Autoweek gilt, fiel ihm während der Fahrt das Bodenblech vor seinem Fahrersitz heraus und er schaute auf den nackten Highway. "Als das Bodenblech herausfiel, habe ich mir mit einem Stück Holz beholfen", lacht Nelson, "ich will den Wagen genauso erhalten wie er ist. Er ist eben ein Stück Zeitgeschichte." Genau das wird er auch bleiben. Neu ist nur die edle Schatulle im Kofferraum des löcherigen 200ers Sie enthält die Urkunde, mit der das Mercedes Classic Center in Irvine offiziell bestätigt, dass der braune Benz auf der halben Welt mehr als 750.000 Kilometer gefahren ist. Wer es immer noch nicht glaubt: Ein Ordner mit historischen Fotos liegt gleich nebenan.

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