Wer beim McLaren 600LT Spider die volle Dröhnung will, schließt das Dach und öffnet das Heckfenster. Dann brüllt die 3,8-Liter große Achtzylinder Posaune aus Woking mit einer solchen Vehemenz in den Innenraum, dass einem fast die Ohren wegfliegen. Das Turbotriebwerk spielt voller Inbrunst die gesamte Verbrennungs-Sinfonie: tief grollend, mit sprotzelndem Zwischengasbellen bis hin zu einem voluminösen Crescendo des achttöpfigen Bass. Angesichts dieses Verbrennungsinfernos fühlt man sich als Fahrer, als ob man inmitten des Auges des Orkans sitzt. Jeder, der bei diesem Motoren-Konzert noch die Bowers- und Wilkins-Stereoanlage anmacht, hat kein bis wenig Benzin im Blut.

So betörend der Sound des 441 kW / 600 PS-Triebwerks auch ist, die Agilität des englischen Supersport-Cabrios lässt Fahrdynamiker nach jeder Kurve verzückt mit der Zunge schnalzen. Wie das Coupé reagiert der offene LT mit einer Verbindlichkeit auf die Lenkbefehle des Piloten, dass es eine wahre Freude ist. Beim Einlenken giert der leichtfüßiqe Vorderwagen förmlich nach jeder Richtungsänderung und die Hinterachse mit den doppeltem Aluminium-Querlenkern gibt dem Spider beim schnellen Durcheilen der Kurve eine vertrauenserweckende Stabilität. Die elektrohydraulische Lenkung vervollständigt die Einheit zwischen Mensch und Maschine: Sie ist direkt, ohne nervös zu sein und berichtet sehr exakt, was sich bei und unter den Vorderreifen abspielt.

Mit einem Leergewicht von 1.297 Kilogramm ist der 600 LT Spider nur 50 Kilogramm schwerer als das Coupé und deutlich leichter als seine imageträchtigen Konkurrenten aus Norditalien. Diese für ein Cabrio ausgezeichnete Gewichtsbilanz ist ein Resultat des extrem steifen Karbon-Monocoques, das trotz des fehlenden Daches ohne zusätzliche Verstrebungen auskommt. Dank der ausgefeilten Aerodynamik, die zum großen Teil vom Coupé übernommen wurde, generiert der Spider bei einer Geschwindigkeit von 250 km/h ebenfalls 100 Kilogramm Abtrieb.

Mit 250.000 Euro ist man dabei

Die Fahrleistungen stehen denen des geschlossenen McLaren 600LT nur marginal nach, denn Unterschiede gibt es nur im Hochgeschwindigkeitsbereich. Nach 2,9 Sekunden knackt der 600LT Spider die 100-km/h-Marke und stürmt offen weiter bis 315 km/h. Geschlossen sind es sogar 324 km/h. Allerdings verfügt der 3,8-Liter-V8-Motor im Gegensatz zu den Vierliter-Varianten des McLaren V8s über keine Twinscroll-Turboaufladung, was sich in einem leicht verzögerten Ansprechverhalten bemerkbar macht. Der Durchschnittsverbrauch ist mit 12,2 l/100 km/h für ein Auto dieser Leistungsklasse in Ordnung, allerdings dürften nur die wenigsten diesen Wert auch nur annähernd erreichen. Der 600LT schreit aus jeder Pore seiner Carbonfasern aus acht V-förmig angeordneten Mündern "tritt mich" und kann eigentlich nicht langsam gefahren werden.

Das Fahrwerk ist spürbar straffer als etwa beim McLaren 720S, ohne jedoch mit einer künstlich generierten Härte den Insassen den Spaß am dynamischen Wochenendausflug zu rauben. Auch längere Strecken sind ohne Bandscheibenschäden problemlos drin. Dennoch: Der McLaren 600LT macht auf der Rennstrecke genauso viel Spaß wie auf einer kurvigen Passstraße; und das am meisten mit geöffnetem Dach (bis 40 km/h in 15 Sekunden). Wer alle Scheiben nach unten lässt, bekommt echtes archaisches Cabrio-Gefühl, allerdings ist diese Erfahrung nur bedingt etwas für Zeitgenossen, die auf eine akkurate Frisur Wert legen.

Wenn die Sonne ohne Dach in das Auto scheint, ist der Infotainment-Bildschirm kaum mehr abzulesen. Auch die Grafik ist nicht topmodern, aber das stört einen McLaren-Fahrer nur wenig, zu sehr schwelgt man im Dynamik-Potential des Spiders. Dazu gehört auch die standfeste Verzögerung der Carbon-Keramik-Bremsen, die den 600LT bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h nach nur 121 Metern zu stehen bringen. Zum Vergleich: der Hypersportwagen McLaren P1 steht nach 116 Metern. Einen Haken hat die Spider-Freude: So viel Fahrvergnügen ist nicht ganz billig - mit 250.000 Euro ist man dabei.

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