Die Luft weht an diesem frühen Morgen gewohnt frisch vom Pazifik herüber. Während einige Golfspieler vor dem morgendlichen Abschlag des Golfkurses von Pebble Beach noch einen tiefen Zug von ihrer Zigarre einatmen, lenkt sie das sanfte Grollen des Oldtimers kurz von ihrer wenig sportlichen Inhalation ab. Der Mercedes 500 K Spezial-Roadster ist eine wahre Schau - gestern wie heute. Sein Wert ist schwer zu fassen: 12, 15 oder vielleicht 20 Millionen Euro - je nachdem, wie scharf der Interessent auf den Traumwagen aus dem Jahre 1935 sein mag. Ein Angebot ist kaum vorhanden und selbst Mercedes-Klassik-Guru Michael Plag muss bei der Frage nach Anzahl der verbliebenen Fahrzeuge mit den Schultern zucken. 

12,15 oder 20 Millionen? - wer weiß das schon

Der Mercedes 500 K Spezial-Roadster, einer der wenigen Supersportwagen, den die deutsche Autoindustrie vor dem Zweiten Weltkrieg und lange Jahrzehnte danach zu bieten hatte, basiert auf der normalen Limousinenplattform, die er sich mit den meisten Modellen der Baureihe W29 teilt. Sein Führerstand ist jedoch knapp 20 Zentimeter nach hinten versetzt, was ihm eine noch elegantere Form verschafft. Im Gegensatz zu seinem Nachfolger, dem bekannteren 540 K, wird der Mercedes 500 K Spezial-Roadster von einem fünf Liter großen Achtzylinder angetrieben, der durch einen Roots-Kompressor auf imposante 118 kW / 160 PS erstarkte. Der 540 K wurde als Nachfolger im Oktober 1936 auf dem Mondial de l’Automobile in Paris vorgestellt, während der 500er seine Premiere zwei Jahre vorher in Berlin feierte. Technisch baut der Mercedes 500 K dabei auf seinem Vorgänger vom Typ 380 auf. Das Fahrwerk verfügt kaum verändert über Pendelachse, Doppelquerlenker und hydraulische Bremsen.

 

In dem dunkelbrauen Lack ist der Mercedes 500 K Spezial Roadster mit der Auftragsnummer 225917 nicht nur auf dem 17-Mile-Drive von Pebble Beach eine spektakuläre Schau. So werden auch zu früher die Kamerahandys herausgeholt, als sich die elegante Luxuskarosse ihren Weg durch die Sanddünen bahnt. Der Achtzylinder ist bereits ab dem mittleren Drehzahlbereich kraftvoll unterwegs; ohne den Kompressor stehen gerade einmal 100 PS zur Verfügung, um den 2.350 Kilogramm schweren 2+2-Sitzer zu bewegen. Der Kompressor läuft dabei nicht ständig mit, sondern wird nur bei entsprechender Leistungsanforderung über einen Gaspedaldruckpunkt zugeschaltet. Neben den zwei Plätzen vorn lässt sich mit einem Kantschlüssel ein ebenfalls belederter Schwiegermuttersitz aus dem Heck ausklappen. Alles andere als bequem und normalerweise nicht zuletzt für Gepäckstücke gedacht, mutiert der über fünf Meter lange Sindelfinger so zu einem eingeschränkten Familienfahrzeug.

Der Ein- und Ausstieg in den Teilzeit-Fond geschieht über zwei gummierte Trittstufen am hinteren linken Kotflügel. Dabei sind die beiden Einstiegshilfen in der geschwungenen Karosserie beinahe so perfekt in Szene gesetzt, wie die Leuchteneinheiten vorne und hinten. Das Bremslicht illuminiert über einen hinterleuchteten Mercedes-Stern nach hinten und auf der Rückseite der verchromten Außenspiegel überstützen grandios inszenierte Zusatzscheinwerfer die großen Hauptleuchten vor dem imposanten Kühlergrill. 

Idealerweise ist man in einem Traumwagen wie dem 500 K mit geöffnetem Dach auf den weichen Ledersitzen mit Blick auf den seidig schimmernden Pazifik unterwegs und lässt seine Sinne schweifen. Auch wenn von dem offenen Luxusmodell nicht einmal 30 Fahrzeuge gebaut wurden, ist die Technik des Mercedes 500 K Spezial-Roadster auf Großserienniveau. So gibt es eine direkte Lenkung, ein synchronisiertes Dreiganggetriebe mit zusätzlichem Autobahnschnellgang und kräftige Bremsen.

Erhaben wie ein Altar

Schließlich gehörte der Traumwagen der Schönen und Reichen zu den schnellsten Serienautos seiner Zeit. Wer Mut hatte und eine entsprechende Strecke, konnte auf dem Tachometer mit etwas Anlauf die 160-km/h-Marke durchbrechen. Die Armaturentafel ist dabei so erhaben und sehenswert wie ein Altar. Mittig zwischen Fahrer und Passagier angeordnet die Instrumenteneinheit mit fünf chromumrandeten Runduhren; jede für sich ein eigenes Kunstwerk. „Der Rahmen ist aus einem künstlichen Perlmutt hergestellt worden“, erklärt Mercedes-Klassik-Papst Michael Plag, „das war damals eine echte Neuheit – exklusiver als das echte Perlmutt.“ Neben Drehzahlmesser, Tankuhr, Tacho und Öldruck blickt der Chauffeur auf drei Kontrollleuchten und Blinkerhebel. Gestartet wird nach dem Einschub eines winzigen Schlüsselchens, Ziehen des Choke und einem kurzen Druck auf den Starter.

Hat sich das Fünfliter-Triebwerk erst einmal kurz geschüttelt, ist die Kombination aus Motor und Fahrzeug eine wahre Schau, die es einem spielend möglich macht, in die Vorkriegszeit einzutauchen. Untertourig und souveräner denn je säuselt der Koloss aus Sindelfingen über den kurvenreichen 17-Mile-Drive; vorbei an sattgrünen Golfbahnen und Luxusvillen, die einem selbst mit Blick auf Zaun und Silhouette den Atem rauben. Die millionenschweren Villen auf der Halbinsel von Pebble Beach passen auch deshalb zu einem Traumwagen wie dem Mercedes 500 K Spezial-Roadster, weil dessen Preis im Jahre 1935 jenseits der 25.000 Reichsmark lag. Dafür gab es seinerzeit in den besten Lagen von München oder Berlin eine großzügige Luxusvilla. Nicht nur dabei ist die Zeit an dem dunkelbraunen Mercedes 500 K scheinbar spurlos vorüber gegangen. 

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