So eine lange Leine hätte man in Garching oder Neckarsulm auch gern. Nachdem die Affalterbacher sich bereits mit einer Vielzahl von Varianten beim zweitürigen AMG GT austauben konnten, durften sie nunmehr eine eigene Sportlimousine entwickeln. Diese ist viel mehr als die nachgeschärfte Version des Mercedes CLS, der insbesondere ältere Kunden mit Dieselambitionen locken soll. Der viertürige AMG GT ist zwar mit den Mercedes-Modellen E-Klasse und CLS verwandt, hat jedoch ein völlig eigenes Design und auch eine bisweilen andere Technik. Neben den kommenden Familienrennwagen Audi RS7 und BMW M8 Gran Coupé hat er speziell einen Gegner ganz genau im Visier: den Porsche Panamera und hier speziell die Topversion des 680 PS starken Panamera Turbo S e-Hybrid. Anders als sein Gegner verzichtet der AMG GT 4-Türer jedoch zum Marktstart auf ein boostendes Elektromodul. Seine 639 PS und 900 Nm maximales Drehmoment werden dem Vierliter-V8 im Vorderwagen des Affalterbachers durch eine doppelte Turboaufladung abgerungen. Eine noch stärkere EQ-Variante mit Elektroboost dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein.

639 PS, 315 km/h Höchstgeschwindigkeit, 0 auf 100 in kaum mehr als drei Sekunden, jede Menge Hightech und ein Design, das sich sehen lassen kann. Für den Normverbrauch von 11,3 Litern interessiert sich in dieser Liga sowieso niemand. Scheint, als würde dem 5,05 Meter langen Viertürer die Welt der sportlichen Luxuslimousinen weit offen stehen. Bleibt die Frage, wieso die Verantwortlichen in Affalterbach oder übergeordnet im südlich gelegenen Stuttgart vergessen haben, ihm einen rechten Namen zu geben. Der Name AMG GT ist in seinen verschiedenen Ausprägungen bereits von den mittlerweile 13 Versionen des Porsche-911er-Jägers vergeben. Mit dem hat das viertürige Topmodell aus dem Ländle jedoch außer dem Triebwerk nicht viel gemein. Seine Basis liegt eben bei E-Klasse und CLS. Fragt man nach dem Grund, wieso sich die sportliche Luxuslimousine allein durch den Namensannex 4-Türer von den etablierten Modellen abhebt, gibt es nicht viel mehr als ausweichendes Geschwurbel. Den Namen AMG GT4 wollte man scheinbar nicht, weil neben dem GT3 auch eine leistungsschwächere Rennversion existiert, der als GT4 eingestuft ist. Andere Abkürzungen hätte es mit etwas kreativem Gedankenschmalz durchaus gegeben, doch so patzt der Kraftprotz mit einer Lücke in seiner Geburtsurkunde.

Vielen der potenziellen Interessenten dürfte das herzlich egal sein, denn der AMG GT 4-Türer ist optisch wie technisch eine Granate. Bereits die ersten Testfahrten zeigen, dass der Sternenträger ein gefährlicher Konkurrent für den übermächtigen Porsche Panamera Turbo sein dürfte. Das variable Luftfederfahrwerk wurde fein abgestimmt und selbst wenn mit ihm kaum jemand den Grenzbereich auf einer Rennstrecke austesten dürfte; er würde begeistert sein. Der variable Allradantrieb hämmert die allzu üppige Motorleistung Dank gigantischer 900 Nm Drehmoment ohne Gnade in den Asphalt und zwingt die Rennreifen zu sportlichen Höchstleistungen. Lenkung, Bremsen und das stramme Paket von variabler Luftfederung und entsprechender Dämpfung können je nach Anwahl der verschiedenen Fahrprogramme gerade bei sportlichen Gangart begeistern. Im Komfortbereich müssen die Kunde dafür die ein oder andere Einschränkung hinnehmen, denn gerade für eine variable Luftfederung geht es mitunter allzu straff zur Sache.

Abgesehen davon liefert der GT ohne Namen eine exzellente Vorstellung ab, die nur durch zwei Aspekte gestört wird: der GT 4-Türer könnte etwas mehr als die überschaubaren vier Liter Brennraum allemal vertragen. Wer die Drehzahl immer wieder in Regionen über 5.000 U/min presst, der kann sich vage vorstellen, wie viel leichter sich der Kraftprotz mit mehr Hubraum tun dürfte. Störender zeigt sich im Grenzbereich das üppige Gewicht. Selbst ohne ein belastendes Elektromodul bringt der Familienrenner über 2,1 Tonnen auf die Waage. Ein hoher Preis für eine Luxusausstattung, die ihresgleichen sucht, ein üppiges Platzangebot und eine vorbildliche Karosseriesteifigkeit. Denn auch Hocheistungsbremsanlage, 639 PS und die grandiose Fahrwerksabstimmung mit besonders agilem Heck können nicht überspielen, dass dem viertürige AMG GT ein mehrwöchige Diät noch mehr Dynamik geschenkt hätte.

Doch wie viele Autos gibt es schon, mit denen sich lange Strecken in Höchstgeschwindigkeit derart sportlich zurücklegen lassen, ohne dass man die Familie oder Freunde zu Hause lassen muss? Neben vier Insassen bietet einem Laderaum mit einem von 456 bis 1.324 Litern variabel nutzen. So misst sich der GT 4-Türer in erster Linie mit dem Panamera, belächelt den überforderten Aston Martin Rapide und wartet auf so potente Gegner wie Audi RS7 und speziell den BMW M8 Gran Coupé. Einem ganz anderen Modell macht er zudem das Leben schwer: Schwestermodell Mercedes CLS. Auch den gibt es wie den AMG GT in Versionen mit 367 und 435 PS (CLS 450 / CLS 53 AMG) und man fragt sich, ob diese beiden Modelle ernsthaft nebeneinander existieren können. AMG-Chef Tobias Moers verweist zurecht darauf, dass eine entsprechende Nachfrage besteht und man mit einem CLS nur schwerlich gegen Panamera Turbo und BMW M8 antreten konnte. Das scheint nur zu belegen, dass die Zeit eines in seiner ersten Generation so beeindruckenden Mercedes CLS vorbei zu sein scheint. Denn neben dem viertürigen Kraftprotz AMG GT ohne Namen gibt es im Sternenportfolio schließlich auch noch Mercedes S-Klasse, S-Klasse Coupé und die E-Klasse – ganz nebenbei alle ebenfalls als leistungsstarke 63er-AMG-Version oder gar als S65 mit V12-Triebwerk verfügbar.

Und dann ist da noch der Preis. Das Topmodell der viertürigen AMG-Liga kostet mindestens 167.016 Euro. Viel Geld, doch nicht mehr als die Konkurrenz aufruft. Der Porsche Panamera Turbo S e-Hybrid kostet mit ähnlich lückenhafter Ausstattung über 185.000 Euro. Audi RS7 und BMW M8 Gran Coupé, die beide wohl kaum vor Anfang 2020 ihre Premieren feiern, dürften ebenfalls bei über 160.000 Euro liegen.

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