Der Ort der Weltpremiere könnte schlechter kaum gewählt sein. Auf dem Pariser Autosalon Anfang Oktober wird die neue Generation des Mercedes GLE erstmals enthüllt. Auf der französischen Automesse, für die sich außerhalb Europas niemand ernsthaft interessiert und die selbst in Europa nur mäßig Aufmerksamkeit erntet, kommt es zum ersten großen Kräftemessen. Mercedes GLE und BMW X5 treten beide komplett neu entwickelt gegeneinander an. Beide stammen aus den Südstaaten der USA und haben auf dem frankophilen Markt an sich nicht viel zu suchen. Doch da keine andere Messe in Griffweite war, enthüllen die deutschen Premiummarken ihre imageträchtigen Edel-SUV unweit der Seine.

Der 4,92 Meter lange und 1,95 Meter breite Mercedes GLE ist im Vergleich zu seinem Vorgänger deutlich gewachsen; insbesondere der Radstand hat um acht Zentimeter auf drei Meter zugelegt. Das Design ist neu und wird neben einer kraftvollen Schulter insbesondere von den neuen Leuchteneinheiten dominiert, die flacher als bisher insbesondere am Heck an die neue A-Klasse erinnern. Bei den Motoren geben auf einmal die Benziner den Ton an. Zum Marktstart Anfang 2019 gibt es zunächst nur den Mercedes GLE 450 mit seinem doppelt aufgeladenen Reihensechszylinder, der 270 kW / 367 PS leisten dürfte. Erst mit leichter Verzögerung kommt ein Sechszylinderdiesel mit ebenfalls drei Litern Hubraum in zwei Leistungsstufen von 210 kW / 286 PS sowie 250 kW / 340 PS. Einen elektrischen Verdichter, der wie in der S-Klasse das kleine Turboloch zustopft soll es trotz 48-Volt-Bordnetz jedoch nicht geben. Neben zahlreicher Effizienzmaßnahmen soll ein cW-Wert von 0,29 dafür sorgen, dass der GLE einer der sparsamsten SUV seiner Klasse werden soll. Dagegen dürfte insbesondere der BMW X5 etwas haben.

Für die antriebstechnisch wenig anspruchsvollen asiatischen Märkte wie China hält ein Zweiliter-Benziner mit 190 kW / 258 PS Einzug, der um Europa und die USA wegen allzu schlechter Absatzchancen einen Bogen machen dürfte. Gerade für die USA folgen wohl erst 2020 ein Plug-In-Hybrid und zwei potente Achtzylinder-Doppelturbos, von denen einer mit dem AMG-Signet und mehr als 600 PS gekrönt sein wird. Obligatorisch für alle Mercedes GLE: Neunstufenautomatik und erstmals bei Daimler ein vollvariabler 4x4-Antrieb. Neben dem Allradsystem, das seine Motorleistung vollvariabel zwischen den beiden Achsen hin- und herschieben kann, will der GLE insbesondere mit einem Fahrwerk punkten, das mit seiner 48-Volt-Technik sogar die pfeilschnellen Wankausgleiche von BMW, Bentley und Audi ins Abseits stellen soll.

Einstellbarer Federweg von bis zu 20 Zentimetern

Dr. Rüdiger Rutz, den seine Kollegen alle nur Rudi nennen, ist sichtlich stolz auf sein neuestes Baby. Er ist Baureihenleiter des neuen Mercedes GLE, der der bärenstarken Konkurrenz aus Deutschland, Asien und den USA die Butter vom Brot fahren soll. Rutz steuert den getarnten Mercedes-SUV durch ein munteres Geländewirrwarr des Testgeländes von Alabama. „Die vier elektrischen Dämpfer geben uns einen einstellbaren Federweg von bis zu 20 Zentimetern“, erklärt Ruth, „wir haben die Wankstabilisierung beim GLE komplett neu aufgesetzt. Das bietet uns völlig neue Möglichkeiten.“ Das Hightech-System namens eABC soll die Fahrwerkssteuerung für SUV neu definieren. Hartes Gelände, flotte Kurvenhatz und lässiges Cruisen alles ist möglich und allein eine Luftfederung war gestern. Die Mercedes-Techniker sind felsenfest davon überzeugt, dass das neue Fahrwerk des GLE die Konkurrenz in Angst und Schrecken versetzt und die Kunden gleichermaßen begeistert. Die Spreizung scheint bei den ersten Testfahrten in den amerikanischen Südstaaten dabei tatsächlich größer als es jemals ein Kunde in der Realität erfahren dürfte. 

Dass, was sich mit eABC ebenso nebulös wie irritierend anhört, hat nichts damit zu tun, dass die kommende GLE-Generation ein automatisiertes Ass im Buchstabieren ist. Doch er hat in den vergangenen vier Jahren bei seiner Entwicklung eindrucksvoll die Schulbank gedrückt. Keine Nachhilfe beim alten Wankausgleich namens ABC, sondern eben alles zurück auf null auf Neustart. So lassen sich mit dem 48-Volt-Bordnetz die vier Dämpfer einzeln elektrisch in Sekundenbruchteilen ansteuern. Auf der Landstraße legt sich der knapp fünf Meter lange Mercedes GLE im „Curve-Modus“ unmerklich in die Kurve und drückt Seitenneigungen lässig aus der Hosentasche weg. Gerade im Gelände punkte das eABC zusammen mit dem Allradantrieb, der den zwei Tonnen schweren Koloss ruckfrei über Stock, Stein und Rüttelpiste hebt. Schnell noch ein paar Stufen hinauf – was der Mercedes GLE mit seinem voll vernetzten Fahrwerk so anstellt, um seine Insassen zu beeindrucken setzt tatsächlich Maßstäbe.

Die vier einzeln ansteuerbaren Dämpfer lassen sich über den Touchscreen auch einzeln anregen. Regler rauf und Regler runter hebt der Mercedes GLE ein Bein wie der Labrador vom Nachbarn und duckt sich einen Moment später auf die Fahrbahn. Nicht, dass das im realen Fahrbetrieb jemand bräuchte, aber wer hat schon einen Serienstern als Lowrider? Eine echte Show ist auch das Freirütteln im Sand. Ein Druck auf den Bildschirm und der getarnte GLE schüttelt sich wie ein nasser Hund. Technische Notwendigkeit, deutsches Over-Engeneering oder Spieltrieb der Ingenieure?   

„Das Gewicht ist im Vergleich zum Vorgänger gleich geblieben“, erklärt Rudi Rutz, während er auf dem Offroadparcours die nächste Runde dreht, „aber wir haben mehr Ausstattung und sind bei den Abmessungen deutlich gewachsen. Die Karosserie ist zudem nennenswert steifer als die des Vorgängers. Das war uns wichtiger, als vielleicht die letzten 20 Kilogramm aus dem Auto herauszubekommen. Komfort und Wertigkeit sind zwei zentrale Attribute bei Mercedes.“ Die Wertigkeit ist selbst bei dem Vorserienmodell der Vorabserie zu spüren. Das große Digitalcockpit mit zwei 12,3-Zoll-Bildschirmen sorgt mehr noch als bei E- und S-Klasse für Eindruck. Auch weil sich der Zentralbildschirm Dank Bediensystem MB-UX nunmehr per Touch bedienen lässt. Der Touch-Controller auf der breiten Mittelkonsole ist da, aber schlicht überflüssig. Die Schalterleiste – aus der neuen G-Klasse entliehen – bleibt dabei ebenso Geschmacksache wie das Quartett der Lüftungsdüsen in der Mittelkonsole.

Erstmals lassen sich beim Mercedes GLE nicht nur die Vordersitze klimatisieren und elektrisch verstellen, sondern auch die Fondinsassen bekommen den kompletten Reisekomfort. Auf Wunsch gibt es den GLE erstmals auch als Siebensitzer – das Platzangebot für die Reihe drei erscheint jedoch vergleichsweise mickrig. Wer hier Ambitionen hat, sollte lieber auf die großen Brüder GLS und Maybach GLS warten, die jeweils 5,20 Meter lang sind und noch mehr Reisekomfort bieten sollen. Der Mercedes GLE ist mit Felgengrößen zwischen 18 und 22 Zoll zu bekommen. „Dazu gibt es erstmals auch zwei Raddurchmesser“, ergänzt Dr. Rüdiger Ruth, der auf dem Handlingparcours eben noch zeigt, die schnell sich der Zwei-Tonnen-SUV im Grenzbereich bewegen lässt. 

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