Volkswagen hat sich viel vorgenommen. Käfer, Golf, TDI-Trend und Dieselskandal war einmal - innerhalb der nächsten zehn Jahre wollen die Wolfsburger zur Elektromarke werden. Die Ziele sind hoch gesteckt, denn bis 2025 sollen 15 bis 20 Prozent der eigenen Modelle elektrisch fahren. Das Erstlingswerk ist der I.D., der intern mit dem Namensannex Neo versehen ist. Bis März soll geklärt werden, wie das Kompaktklassemodell im Kundengebrauch endgültig heißen soll. Die Wolfsburger verfahren bei der Einführung ihrer Elektrofamilie anders als die meisten Konkurrenten, denn während Hyundai, Audi, Tesla, Jaguar oder Mercedes zumeist mit elektrischen SUV starten, geht Volkswagen einen völlig anderen Weg. Der kompakte VW I.D. Neo soll nach seiner offiziellen Weltpremiere im Herbst kommenden Jahres und dem internationalen Marktstart im Frühjahr 2020 der Startschuss für eine ganze Familie aus knapp zehn Elektrofahrzeugen sein. Dass man das rund 4,25 Meter lange Elektromodell dabei nahezu parallel mit der achten Golf-Generation auf den Markt bringt, ist herausfordernd und gefährlich zugleich. Auf der einen Seite wirkt der neue Golf gegen die frech und mutig gestylten I.D. Neo bei vergleichbaren Dimensionen geradezu hausbacken; auf der anderen Seite ist es schwerer ein elektrisches Kompaktklassemodell zu positionieren, als einen größeren SUV. Schließlich soll die I.D. Familie mit dem Neo-Startmodell direkt Geld verdienen und kein grünes Feigenblatt sein, mit dem man das neu gestaltete Markenlogo in die automobile Welt herausträgt.

„Das Preissegment ist anspruchsvoll“, erläutert VW-Entwicklungsvorstand Frank Welsch, „aber wir wollen den I.D. zum Preis eines vergleichbar ausgestatteten Golf Diesel auf den Markt bringen. Es wird verschiedene Akkupakete geben, die nach dem WLTP-Zyklus Reichweiten von mindestens 330 Kilometern ermöglichen sollen.“ Welsch macht mit seinem Entwicklungsteam einen Jahresendausflug ins sonnige Südafrika. Mit dabei eine ganze Horde von geheimen Prototypen, wovon die Elektromodelle mit dem I.D.-Signet besonders im Fokus stehen. „Insgesamt testen wir hier in Südafrika rund vier Wochen“, ergänzt Chefentwickler Frank Bekemeier, der sich mit einer weißen Kappe gegen die Sonne schützt, „danach geht es dann mit den Fahrzeugen in den kalten Winter.“ Der VW I.D. ist dabei eine komplette Neuentwicklung. Aus dem Konzernregal stammen nur Türgriffe, die 12-Volt-Batterie und das Selbstverständnis, was ein Auto können muss.

Der Zeitplan ist straff, der Anspruch hoch und das ist rund eine halbe Stunde östlich von Kapstadt zu spüren. Die Entwickler haben allenfalls bei den kleinen Wechselpausen einmal die Chance, einen Blick auf das Meer und die sehenswerten Felsformationen zu werfen. Das Tagesprogramm ist voll gespickt mit Messungen und Fahrprofilen; so fährt der Tross nach einem kollektiven Schluck aus der Wasserflasche weiter auf der Küstenstraße Richtung Hermanus. Schon als es zuvor über die R310 aus dem urbanen Stellenbosch hinaus aufs Land ging, überraschte der elektrische Prototyp mit dem ungewöhnlichen Kennzeichen ABC 110 in der Windschutzscheibe. Obwohl der mit wilder Tarnfolie verzierte Proband nach Aussagen des Entwicklungsteams ausschließlich die Themen Antrieb und Klimatisierung bespielen soll, fährt sich das rund 1,6 Tonnen schwere Kompaktklassemodell überraschend erwachsen. Erstmals seit Käfer-Zeiten ist wieder ein Volkswagen mit einem Heckmotor unterwegs. Und auch wenn die Leistungsdaten noch gehütet werden, ist davon auszugehen, dass der Prototyp, der in deutschen Landen das Kennzeichen BS – EU 980 E trägt, maximal bis zu 150 kW / 204 PS und deutlich mehr als 300 Nm maximales Drehmoment an seine Hinterachse bringen kann.

Während die Basisversion mit wohl rund 110 kW / 150 PS und 300 Nm auf 19-Zöllern rollt, ist der Testwagen mit dem größeren 20-Zoll-Radsatz unterwegs, der einen Durchmesser von 705 Millimetern hat. „Für unsere größeren Modelle wie die SUV mit Allradantrieb sind sogar bis zu 750 Millimeter Raddurchmesser drin“, erläutert Frank Welsch, „auch das ermöglicht die neue MEB-Plattform, die wir vielfältig skalieren können.“ Der Entwicklungsvorstand, der vor gut drei Jahren von Skoda zu Volkswagen kam, war bei der Entstehung der Elektrofamilie von Anfang an dabei. „Derzeit beschäftigen wir uns in der Entwicklung zu rund 40 Prozent mit den I.D.-Modellen. Einiges müssen wir immer wieder neu testen, da wir nicht wie beim MQB auf entsprechende Grundlagen zurückgreifen können.“ Überaus flott hängt das elektrische Integrationsstufenfahrzeug am Gas und beschleunigt gerade aus geringen und mittleren Tempi immer wieder dynamisch, ehe man auf dem rauhen Asphalt der Küstenstraße R44 auf den nächsten Toyota Corolla Mietwagen auffährt. Module wie Lenkung, Bremsen und Fahrwerk machen bei dem Testmodell, der seine schwarze Kunststoffheckklappe hinter der weiß-schwarzen Folie verbirgt einen guten Eindruck. Selbst Wind- und Abrollgeräusche passen angesichts des groben Fahrbahnbelags. Das Platzangebot des Neo ist deutlich üppiger als beim ähnlich dimensionierten Golf. Grund sind der rund zehn Zentimeter längere Radstand und der fehlende Verbrennungsmotor, der das Armaturenbrett deutlich nach vorne rutschen lässt und wertvolle Zentimeter im Fond freiräumt.

Nachdem erste Komponententräger und frühe Prototypen schon zwei kalte Winter hinter sich gebracht haben, ist dieser Erprobungswinter der entscheidende für die Qualität der I.D.-Familie. Nicht nur die Elektroantriebe müssen abgestimmt werden, sondern Modelle wie der Neo müssen erst einmal zu einem Auto gemacht werden, das den Qualitätsansprüchen eines VW genügt – der Antrieb kommt da allenfalls als zweites. „Wir sind in Deutschland, hier in Südafrika und in kalten Winterregionen gerade mit rund 100 Fahrzeugen unterwegs, die Daten sammeln“, erklärt Dr. Frank Welsch, während er die nach dem Prinzip der Blockschokolade im Boden des I.D. verbauten Akkumodule erklärt. Der I.D. Neo selbst geht einen anderen Weg wie seinerzeit BMW mit dem i3. „Der Wagen besteht zu 99 Prozent aus Stahl“, sagt Frank Bekemeier, „Aluminium und andere Komponenten wurden in erster Linie in den Crashstrukturen verbaut. Das Thema Gewicht ist nicht derart entscheidend; auch weil wir davon bei der Rekuperation profitieren und das maximale Drehmoment vom Start anliegt.“ 

Es gibt noch einiges zu testen – und zu verbessern. Das dynamische Frank-Doppel als Welsch und Bekemeier ist unzufrieden mit den Reifen, die zu laut abrollen, das Head-Up-Display strahlt unter der südafrikanischen Sonne noch nicht lichtstark genug und dann ist das noch diese kleine Anfahrschwäche beim Ampelstart, die Frank und Frank stört. Hier muss man kurzfristig noch einmal an die Leistungselektronik ran. Zufriedene Gesichter scheint es bei den Pouch-Zellen des Akkupakets zu geben. Die kleine Tankanzeige ist nicht einmal auf 50 Prozent und zeigt auch nach längerer Fahrt noch über 140 Kilometer an. Das Akkuthema scheint man bereits im Griff zu haben. Der Fahrer kann die einzelnen Fahrstufe ähnlich des BMW i3 über einen Knauf rechts vom Instrumentendisplay anwählen. In der Fahrstufe D rollt man auf der Bundesstraße R44 lässig vor sich hin, während die B-Stellung eine Rekuperation garantiert und den Einsatz der Bremse minimiert.

Nach dem Marktstart sollen Modelle wie der I.D. Neo daheim nicht nur über einen Stecker, sondern auch induktiv geladen werden können – mit bis zu 11 kWh. Das wäre die Hälfte von dem, was eine heimische Ladebox bringen soll. An Hochgeschwindigkeitsladesäulen, bekommen die Akkus mehr Dampf und sollen sich mit etwa 120 kW erstarken lassen. Doch auch hieran wird noch eifrig geprobt.

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