Die Szenerie an der “Steilen Wand” im sächsischen Meerane hat südländische Dimensionen. Die heiße Luft flirrt förmlich. Gut 500 Zuschauer säumen die legendäre gut 250 Meter lange Kopfsteinpflaster-Straße und feuern jeden Teilnehmer, jedes Vehikel der Sachsen Classic 2015 an: Wimmerndes Tröten-Gejaule fängt sich in den Häuserwänden entlang der Strecke, Kinder schwenken Fahnen und Traditionalisten pfeifen lautstark auf zwei Fingern. Der Grund für dieses Spektakel ist schon im Namen dieses Streckenabschnitts beschrieben: Mit einer Steigung von rund zwölf Prozent quälen sich die Fahrzeuge den Hügel hoch. Kein Wunder, dass diese Straße bei so manchem Fahrradrennen als Scharfrichter gebraucht wird, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Groß und Klein belagern die Autos

Auch wenn die Strapazen für die vierrädrigen maschinengetriebenen Vehikel geringer sind, schnauft ein 33-PS-starker “Hudson 33 mile a minute raceabout”, der 103 Jahre auf dem Buckel hat, ganz schön, wenn es in Meerane zur Sache geht. Da ist der Applaus der Zuschauer, die dicht gedrängt die Straße säumen, mehr als gerechtfertigt. Die spektakuläre Kraxeltour ist ein Höhepunkt beim Stelldichein der Nobel-Karossen. Die 628 Kilometer lange Strecke führt durch das Erzgebirge, die böhmische Schweiz in Tschechien, durch Sachsen Anhalt, Thüringen und sogar über den Sachsenring.

Egal, wo die rollenden Preziosen auftauchten, standen Menschen an der Straße und kamen zu Hunderten zu Marktplätzen, um den 180 Fahrzeugen zuzujubeln. Das Ganze bei brütender Hitze. Wer diese Begeisterung für die Automobile aus über hundert Jahren erlebt, weiß, warum die Sachsen Classic oft als die “Deutsche Mille Miglia” bezeichnet wird. Nur ist die Strecke in Ostdeutschland und Tschechien um rund 1.000 Kilometer kürzer, als das italienische Original. Den Fans, die am Straßenrand die Fähnchen schwenkten und die Ausfahrt zu einem Volksfest machen, ist das egal. Sogar ziemlich. Sie feiern sich und freuen sich über die Autos. Vor allem bei den Zwischenstopps oder bei den Zieleinläufen der Tagesetappen, wie etwa auf der Augustusbrücke in Dresden herrscht ein reger Menschenandrang.

Sieger fahren einen BMW 328

Da belagern Groß und Klein die aufgereihten Blech-Schönheiten. “Schau Papi, das ist ein Horch”, strahlt ein Dreikäsehoch mit weißer Baseballkappe auf dem Kopf, der kaum über die fein geschwungenen Kotflügel und die lang gestreckte Motorhaube des Horch 853 A aus dem Jahre 1937 reicht. Fotos werden geschossen, Selfies mit den Autos und deren Besitzern werden geschossen, Autogramme erobert und natürlich gefachsimpelt. Der zeitlos schöne Zweisitzer des Zwickauer Automobilbauers, der ins Lateinische übersetzt “Audi” heißt, ist nicht die einzige Rarität. Ein blauweißer Neumann-Wartburg-Sportwagen wird genauso bewundert, wie der DeLorean DMC-12 mit seinen charakteristischen Flügeltüren, den viele aus dem Film-Klassiker “Zurück in die Zukunft” kennen.

Ein rollender Querschnitt durch die gesamte Automobilgeschichte schlängelte sich drei Tage lang durch den Osten Deutschlands. Ein DDR-Golf, ein Skoda 430 (aus dem Jahr 1926), ein Porsche 356 war ebenso am Start, wie eine Lancia Aurelia oder ein Jaguar MK II. Gewonnen hat die Wettfahrt das italienische Duo Gianmaria Aghem und Rosella Conti in einem BMW 328, Baujahr 1938. Aber jeder der Teilnehmer darf sich als Sieger fühlen. Die Rallye führte auf traumhaften Straßen durch pittoreske Landstriche und das Wetter spielte bis kurz vor Schluss ebenfalls mit. In der böhmischen Schweiz fühlten sich die Piloten und ihre Beifahrer in die Märchenwelt der Gebrüder Grimm versetzt. Inmitten dichter Wälder standen verwinkelte Holzhäuschen, aus denen jeden Moment eine alte Hexe aus der Tritt und mit knochigen Fingern wedelnd fragt: “knusper, knusper knäuschen, wer knabbert an meinen Häuschen?”

Doch die Oldtimer-Rallye im Osten Deutschland ist weit mehr als eine Kaffeefahrt wohlhabender Herrenfahrer. Verschiedene Wertungsprüfungen bilden das Salz in der Suppe: Bei diesen Herausforderungen geht es nicht um pures Tempobolzen, sondern um Gleichmäßigkeit. Eine Strecke zwischen zwei Messpunkten muss in einer vorgegebenen Zeit zurückgelegt werden. Jedes Hundertstel Abweichung gibt ein Strafpunkt. Wie hoch das Niveau bei der Sachsen Classic des Jahres 2015 war, zeigt die Tatsache, dass die Sieger nach 25 Wertungsprüfungen lediglich 17 Strafpunkte hatten, bei den Zweit und Drittplatzierten waren es jeweils 21 Punkte.

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