Jetzt fehlt nur noch der Schnee, dann fühlen sich die Schweden in South Carolina heimisch. Denn der Weg zur Fabrik im Berkeley County, rund 45 Fahrminuten von Charleston entfernt, führt durch lange gerade Strecken und schier endlose Wälder. Aber wie Wand aus über 35 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit erstickt die nordeuropäische Heimatgefühle im Keim, sobald man aus dem Auto steigt. Doch in der klimatisierten Fabrikhalle herrscht eitel Sonnenschein. Volvo-Chef Hakan Samuelsson steht vor einer Gruppe von Mitarbeitern, die sich wie ein Gospelchor hinter einer knallroten S60 Limousine aufgebaut haben. "Endlich sind wir in den USA", jubelt der Volvo-Chef und läutet das Zeitalter des schwedisch-chinesischen Autobauers als global Player ein.

Die Fertigungsstätte in den USA bildet zusammen mit den Fabriken in China und in Europa ein weltweites Dreieck, dass die wichtigsten Märkte umspannt. Dass in South Carolina erst mit dem S60 eine Limousine ab Herbst vom Band läuft und keine SUV, hat handfeste Gründe. "Ich bin der Meinung, dass wir Limousinen im Modell-Portfolio brauchen", erklärt Lex Kerssemakers, der Vice-President der EMEA-Region und ehemalige Volvo USA-Chef und fügt hinzu: "In den USA kaufen vor allem junge Menschen auch Limousinen." Es ist sicher nicht ganz unerheblich, dass in China, der Heimat der Volvo-Mutter Geely die klassischen Limousinen nach wie vor gefragt sind. Der Plan für die Fabrik im Süden der USA geht noch viel weiter. Schließlich hat Volvo für den Bau der Produktionsstätte 1.1 Milliarden Dollar in die Hand genommen.

Nach dem S60 wird ab 2021 der nächste XC90 hier die Hallen verlassen, den es auch als reinen BEV mit autonomen Fahrfunktionen geben wird. Diese Zeichen der Zeit werfen bereits ihre Schatten voraus. Die Schweden kooperieren mit Uber und Google, bald sollen die Autos Teil des Google Android-Kosmos werden. Und wie schaut es mit einer Zusammenarbeit mit Mercedes aus? Schließlich hält Volvo-Eigentümer Li Shufu 9,7 Prozent der Daimler Aktien und hat durchaus ein Wort beim deutschen Autobauer mitzusprechen. Hakan Samuelsson grinst vielsagend: "Wir sind für alles offen." Aber aktuell wolle man sich auf die Autos konzentrieren, die in letzter Zeit vorgestellt wurden. Diese Verschleierungstaktik gehört zum Einmaleins eines jeden Chefs eines Autobauers, doch sich einen starken Partner ins Boot zu holen, würde für die Schweden Sinn ergeben. So ließen sich die finanziellen und technologischen Herausforderungen, wie zum Beispiel das autonome Fahren leichter stemmen.

Volvo S60 markiert Zäsur

Insgesamt sollen es dann 150.000 Autos im Jahr sein, die von 4.000 Menschen gebaut werden. Dann soll die Hälfte der produzierten Fahrzeuge exportiert werden, während die anderen 50 Prozent in den USA bleiben. Andere Modellvarianten sind momentan nicht geplant auch kein SUV Coupé oder kein viertüriger GT. "Sag niemals nie", schmunzelt Kerssemakers und sagt "Wir müssen jetzt erst einmal die Autos bauen, die wir vorgestellt haben." Das ergibt Sinn, denn das Modellportfolio der Schweden ist extrem jung - der XC90, der seit gut zweieinhalb Jahren auf dem Markt ist, bildet da schon den Familienältesten.

Der S60 markiert in der Volvo-Historie eine Zäsur. Er ist das erste Modell, bei dem es keinen Dieselmotor mehr im Angebot gibt und nach der Limousine wird jedes Auto der Schweden elektrifiziert sein. Sei es als Mild-Hybrid, PHEV oder BEV. Aktuell sind 15 Prozent aller verkauften Volvos "Twin-Engine"-Modelle, bei denen ein Elektromotor den Verbrenner unterstützt. "Es könnten sogar noch mehr sein", verrät Hakan Samuelsson, doch die Schweden kommen mit dem Bauen der Autos nicht hinterher. Ab 2025 darf es solche Probleme nicht mehr geben, denn dann soll die Produktpalette der Schweden jeweils zur Hälfte aus rein elektrischen BEVs und Plug-in-Hybriden bestehen.

Im Hintergrund wird schon an dieser technischen Zukunft gefeilt. Die nächste Version der Scalable Product Architecture (SPA 2, die 2021 eingeführt wird, wird für die Elektromobilität fit gemacht. Dabei verliert der Leichtbau durch Carbon, der vor wenigen Jahren noch als der Schlüssel zum Stromern galt, zunehmend an Bedeutung. "Wir setzen auf eine Mixtur aus hochfestem Borstahl und einen größeren Aluminium-Anteil als bisher", verrät Technikchef Henrik Green. In Zukunft dreht sich bei Volvo alles um die Elektrifizierung, die Batteriezellen kaufen die Schweden bei Zulieferern ein, wollen aber bei der Entwicklung der Akkus eng mit den Lieferanten zusammenarbeiten und sich vor allem um das Zellmanagement und das Integrieren des Akkus kümmern.

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