VW ID.4 Fertigung

VW setzt in Zukunft voll auf Elektromodelle wie den ID.4. Laut Herbert Diess könnten im Zuge der Transformation zur Elektromobilität allerdings tausende Stellen wegfallen. (Bild: Volkswagen)

Die Sektgläser klirren wieder in den Vorstandsetagen in München, Stuttgart-Untertürkheim und Wolfsburg. Grund: Das Geld fließt wieder und die Auftragsbücher sind gefüllt. Volkswagen hebt im Überschwang der Gefühle nach einem starken ersten Halbjahr die Prognose der operativen Rendite des Konzerns für das Gesamtjahr 2021 auf 6,0 bis 7,5 Prozent an, was einem Plus von 0,5 Prozentpunkten entspricht.

Der Automobilbereich stimmt in die Fanfarenklänge mit ein und meldet einen sehr hohen bereinigten Netto-Cash-flow von 12,3 Milliarden Euro sowie einen Anstieg der Netto-Liquidität auf 35 Milliarden Euro. Die Kassen sind wieder voll! Ähnliches hört man aus München. „BMW Group mit deutlichem Absatzwachstum per September“, schallt es freudestrahlend aus dem Vierzylinder-Gebäude am Petuelring aufgrund eines Absatzzuwachses von plus 17,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Es geht voran. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens EY haben die 16 größten Autobauer zwischen Januar und Ende Juni Betriebsgewinne von zusammen 71,5 Milliarden Euro ein. Rekord! Und das, obwohl die Nachwehen der Coronakrise die Branche nach wie vor heftig erschüttern und der weltweite Pkw-Absatz nach wie vor unter dem Vor-Corona-Niveau liegt.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres brachten die Autobauer laut der Studie nur 33,5 Millionen Fahrzeuge an den Mann. Das sind elf Prozent weniger als in der ersten Hälfte des Jahres 2019. Zudem bremst auch die Halbleiterkrise die Produktion massiv. Den Bilanzen tut das kaum einen Abbruch. „Das Konzern-EBIT verbesserte sich dank eines günstigeren Produktmix, einer hohen Umsatzqualität und einer konsequenten Fixkostendisziplin“, verkündet Daimler.

Harter Sparkurs sorgt für gute Zahlen

Was im Buchhalterdeutsch euphemistisch als „Fixkostendisziplin“ umschrieben wird, ist nichts anderes als ein rigoroser Sparkurs. Also auch bei den „Human Ressources“ – den Mitarbeiten. Eine Kündigungswelle schwappt durch die Industrie – sie erfasst Hersteller genauso wie Zulieferer. Aktuell diskutiert man bei BMW den Wegfall von 6.000 Stellen, bei BASF sollen es bis Ende 2022 rund 2.000 sein. Auch bei anderen Zulieferern geht der Arbeitsplatz-Sensenmann um: Schaeffler will trotz voller Auftragsbücher weiterhin rund 4.400 Arbeitsplätze abbauen – fast ausschließlich in Deutschland.

Aktuell versuchen die Automobilhersteller die Einschnitte möglichst geräuschlos über die Bühne zu bringen. Den Mitarbeitern werden großzügige Abfindungsangebote unterbreitet oder der Schritt in die Altersteilzeit mit opulenten finanziellen Kompensationen schmackhaft gemacht. Laut dem Magazin Business Insider sollen rund 3.500 Daimler-Mitarbeiter diesen „goldenen Handschlag“ angenommen haben. Weit weniger weich fallen Angestellte beziehungsweise Leiharbeiter, die von externen Dienstleistern an die Firmen verpachtet werden. Sie müssen in schlechten Zeiten zumeist als Erstes den Hut nehmen. Im Mercedes-Benz-Werk in Rastatt sollen 600 Leiharbeiter entlassen werden und es regt sich Widerstand. Bei anderen Herstellern läuft es vermutlich ähnlich.

Auf den ersten Blick verwundert dieses Gebaren. Das Geld fließt wieder in die Kassen und dennoch werden die Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Allerdings sind diese Entlassungen nur die Ouvertüre zum eigentlichen Kahlschlag. Denn bei der Transformation zur Elektromobilität werden noch deutlich mehr Arbeitsplätze wegfallen, als das bisher der Fall ist. So seltsam es klingt, vermutlich hat die COVID-19-Pandemie in dieser Hinsicht den Autobauern sogar in die Karten gespielt, um die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Doch die Einschnitte werden in den nächsten Jahren noch drastischer.

Mercedes Benz Rastatt
Im Mercedes-Benz-Werk in Rastatt soll für 600 Leiharbeiter Schluss sein. (Bild: Daimler)

Transformation zur E-Mobilität kostet hunderttausende Jobs

Laut einer Studie der Denkfabrik Agora Verkehrswende und der Boston Consulting Group (BCG) kostet die Umstellung der Autobauer auf die Elektromobilität bis zum Jahr 2030 in der klassischen Automobilindustrie unterm Strich rund 180.000 Arbeitsplätze. Andere Analysten kommen auf höhere Zahlen, bis hin zu einem Minus von 410.000 Jobs. Bis es so weit ist, vergehen noch rund neun Jahre, in denen etliche Beschäftigte in Rente gehen und so denn Stellenkahlschlag etwas abfedern. Die Jobs werden einfach nicht nachbesetzt und damit die Auswirkungen für den Rest der Belegschaft gemildert.

Genau mit diesem Thema hat sich eine Studie des Ifo-Institutes im Auftrag des Automobilverbandes VDA beschäftigt und genau die nächsten neun Jahre unter die Lupe genommen. Demnach gehen bis 2030 immerhin 147.000 Mitarbeiter aus der Automobilproduktion in Rente, davon 73.000 im Fahrzeugbau. Das Entscheidende jedoch ist, dass bis 2030 noch 215.000 Menschen Jobs haben, die letztendlich von Verbrennungsmotoren abhängen. Es sind also deutlich mehr Arbeitsplätze gefährdet, als Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Die Konsequenz aus dieser Analyse lassen die Alarmglocken in den Chefetagen der deutschen Autobauer lauter schrillen als die Sektgläser klirren. Ein radikaler Stellenabbau wird in den nächsten Jahren Realität.

Autobauer stoßen auf Widerstand in der Belegschaft

Nur so lassen sich Herbert Diess‘ Äußerungen erklären, dass bei der Transformation zur Elektromobilität bis zu 30.000 Jobs bei VW gefährdet sein könnten. Mit den Aussagen hatte Diess Belegschaft und Aufsichtsrat irritiert und einen handfesten Streit mit der Betriebsratschefin Daniela Cavallo heraufgeschworen, der Wochen andauern sollte.

Auch in Rüsselsheim könnte die Unruhe derzeit größer nicht sein, seit Opels Mutterkonzern Stellantis begonnen hatte, laut über eine Ausgliederung der Werke Rüsselsheim und Eisenach aus dem Opel-Verbund und eine Überführung in eigenständige Rechtsorganisationen nachzudenken. Zwar konnte man sich mit der IG Metall letztlich auf einen Verbleib der Standorte unter dem Opel-Dach einigen. Ob das dem deutschen OEM langfristig Ruhe beschert, bleibt unter dem knallharten Konzernchef Tavares fraglich.

Bei Daimler kredenzt auch CEO Ola Källenius der Belegschaft das bittere Getränk der Entlassungen, die bei der Transformation zu Elektromobilität unumgänglich sind. Konsequenterweise plant der schwäbische Konzern einen massiven Stellenabbau, von dem einige Tausend Mitarbeiter betroffen sind. Und das, obwohl in der Zukunftssicherung 2030 noch unter Källenius‘ Vorgänger Dieter Zetsche die betriebsbedingte Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen wurden. Ausgerechnet der COVID-19-Virus soll laut der WirtschaftsWoche nun ein Schlupfloch aus dieser Vereinbarung ermöglichen. Denn das Abkommen kann ausgehebelt werden, sobald sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens drastisch ändert. Und genau das war während der Pandemie der Fall.

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