Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich am Dienstag mit den Granden der Autobranche. (Bild: Bundesregierung/Bergmann)

Kanzlerin und Minister sprechen mit Managern, Gewerkschaftern und Ministerpräsidenten. Nach allem, was man hört, sieht es in weiten Teilen der Industrie nicht gut aus: Die zu Beginn der Pandemie fast komplett eingebrochenen Autoverkäufe ziehen inzwischen wieder etwas an. Doch von Erholung kann insgesamt noch keine Rede sein. Zudem überdeckt die kurzfristige Absatzkrise die langfristig wirkenden Strukturbrüche in dem Wirtschaftszweig. Vor den als Videoschalte geplanten Beratungen flammen zahlreiche Brennpunkte auf.

Das Virus und der Nachfrageschock

So gut wie alle Autohersteller und vor allem die Zulieferer sind infolge der lahmenden Verkäufe unter enormen Kostendruck geraten. Vielerorts gibt es nach wie vor Kurzarbeit, Stellenstreichungen drohen oder wurden teils schon ausgeweitet. Auch wichtige Investitionen müssen gekappt werden.

Im August lagen die Pkw-Neuzulassungen in Deutschland noch um ein Fünftel unter dem Vorjahreswert. Über den gesamten Verlauf 2020 beträgt der Rückgang bisher sogar 29 Prozent. Außer Wohnmobilen, die wegen des Trends zu selbstorganisiertem Reisen mit geringeren Infektionsrisiken deutlich stärker nachgefragt sind, blieben alle Segmente tief im Minus. Aber es zeigen sich Verschiebungen zugunsten alternativer Antriebe: Während zuletzt knapp drei Viertel der Neuwagen Benziner oder Diesel waren, lag der Anteil reiner E-Autos inzwischen bei 6,4 und der von Hybridfahrzeugen bei 18,4 Prozent.

Das Strukturproblem

Genau hier liegt derzeit jedoch auch noch der größte wunde Punkt in der deutschen Autoindustrie. Der schrittweise Abschied von der klassischen Verbrennertechnik bedeutet, dass ganze Belegschaften umgeschult werden müssen. Manchmal läuft das schon recht gut, aber nicht alle Mitarbeiter können oder wollen diesen Weg mitgehen. Außerdem kommen Digitalisierung, Vernetzung und Dienstleistungen als weitere Bestandteile des gigantischen Umbaus hinzu. Amerikaner und Chinesen geben hier zunehmend den Takt vor.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln warnt: Autos "Made in Germany" - über Jahrzehnte Garanten für Wachstum und Jobs - könnten nicht mehr automatisch Hauptmotor der deutschen Volkswirtschaft sein. Es gibt zeitgleiche Verwerfungen auf der Angebotsseite und bei der Nachfrage. Die Chefin des Branchenverbands VDA, Hildegard Müller, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Lage vieler Unternehmen ist weiterhin angespannt."

Bisherige Rezepte, neue Vorschläge

Im Juni hatten Regierung und Industrie einen anteilig finanzierten Ausbau bestehender Kaufprämien für Elektro- und Hybridautos beschlossen. Moderne Verbrenner blieben dabei - auf Druck von SPD und Umweltverbänden - allerdings außen vor. Zudem soll die Senkung der Mehrwertsteuer die Nachfrage ankurbeln.

Nun sind Zusatzhilfen in der Diskussion, die Vorschläge unterscheiden sich aber erheblich. Während Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) neben der stärkeren Förderung alternativer Antriebe weiter auch Kaufanreize für CO2-ärmere Benziner und Diesel fordert, will Stephan Weil (SPD) aus Niedersachsen diesen Punkt nicht ein zweites Mal in die Debatte bringen. Auch von Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg heißt es, dieses Thema sei vom Tisch.

"Wir können beim Auto nicht auf Zeit spielen", sagte Söder der dpa. "Es handelt sich um den zentralen Lebensnerv unserer Wirtschaft." Auch ein Recycling-Modell sei möglich. Ähnliches hatte etwa VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ins Spiel gebracht.

In Branchenkreisen heißt es, die "Autoländer" mit den Hauptsitzen von VW, BMW und Daimler könnten ein aufgestocktes Konjunkturpaket vorschlagen. Auch Steuererleichterungen gelten als mögliches Hilfsmittel. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sprach sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für einen staatlichen "Mittelstands- und Transformationsfonds" aus, der sich an Firmen in Not beteiligt. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol unterstützte dies. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte der FAS: "Wir müssen Mittelständlern und Zulieferern Zeit verschaffen."

Große Fische, kleine Zulieferer

Nicht jedes Unternehmen trifft die Absatz- und Strukturkrise gleich heftig. Bei VW etwa nimmt die Nachfrage wieder zu, und in wenigen Tagen soll der Verkauf des Elektro-Hoffnungsträgers ID.3 starten. Noch scheint der Konzern eher Opfer des Erfolgs der E-Kaufprämie zu sein: Beim Kleinwagen Up müssen Kunden lange auf die Auslieferung der E-Variante warten, einen E-Golf gibt es nicht mehr. Solche Kapazitätsengpässe sollen dank weiterer Milliardeninvestitionen bald der Vergangenheit angehören.

Ganz anders sieht es bei etlichen Zulieferern aus. Die Großen wie Continental haben Reserven – Vorstandschef Elmar Degenhart warnte mit Blick auf die Gesamtbranche aber schon vor "Herzstillstand". Vor allem die Kleinen haben Überkapazitäten bei klassischen Technologien, während gleichzeitig Geld für den Umbau fehlt. In einer VDA-Umfrage erklärten rund 60 Prozent der teilnehmenden Zulieferer, aufgrund der Corona-Krise mehr Personalabbau zu planen. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis betonte, "insbesondere die Zulieferer, die zumeist nicht über die finanziellen Ressourcen wie Hersteller verfügen", drohten "unter die Räder zu kommen". Er schlug einen Schutzschirm vor.

Hausgemachte Baustellen und externe Nöte

Die Gesamtnachfrage ist von den Unternehmen kaum zu beeinflussen, viele Verbraucher halten sich wegen der hohen Unsicherheit weiter mit größeren Anschaffungen zurück. Die weltweite Autokonjunktur stürzte ab. Im August sanken die deutschen Pkw-Exporte gegenüber dem Vorjahr um beinahe ein Drittel.

Doch Kritiker werfen der Branche - ähnlich wie Stromkonzernen bei der Energiewende - vor, zu lange zu wenig für den Wandel getan zu haben. Auch Vorreiter wie BMW mit dem Kompaktwagen i3 hätten zu spät mit neuen E-Modellen nachgelegt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erklärte, ein per Verbrenner-Prämie angepeilter Abverkauf der Lagerbestände nütze nur finanziell gut dastehenden Autokonzernen. Und LobbyControl fordert, auch die Zivilgesellschaft einzuladen und keinen "Auto-Klüngelgipfel" zu veranstalten.

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dpa