Eine weiße Karosse eines Porsche wird im Werk Leipzig von einem Roboter bewegt.

In der Montage stehen vor allem die Wünsche und Vorstellungen der Porsche-Kunden im Mittelpunkt. (Bild: Porsche)

Automobil Produktion Kongress 2024

Automobil Produktion Kongress 2024

Am 16. und 17. Mai 2024 treffen sich auf dem Automobil Produktion Kongress in München auch in diesem Jahr wieder Fach- und Führungskräfte, um über die Automobilfertigung der Zukunft zu sprechen. Gemeinsam streben Hersteller, Zulieferer und Dienstleister eine smarte, flexible sowie nachhaltige Produktion mit transparenter Lieferkette an. Seien Sie dabei und profitieren Sie von kollektiven Branchenwissen. 🎫 Jetzt Ticket sichern!

Das Kaiserwetter passt ins Bild. Umrahmt von Klängen aufheulender Motoren, die auf der angrenzenden Teststrecke ihren Fahrern das Adrenalin in die Venen schießen, keine Wolke am strahlend blauen Himmel, bewegen wir uns auf die frischgebackene Fabrik des Jahres zu. Hier bei Porsche in Leipzig, so scheint es, ist die Welt in Ordnung. Das erst seit 2002 bestehende Werk des Premium-Autobauers hat sich in 22 Jahren beachtlich entwickelt. Fünfmal wurde der Standort seitdem erweitert. 2018 hatte der Aufsichtsrat der Porsche AG entschieden, die nächste Generation des Macan in Leipzig zu fertigen. Und genau von dieser vollelektrischen Variante des Porsche Macan dürfte das weitere Schicksal des Leipziger Werks stark abhängen. Denn der E-Macan soll – genau wie der Audi Q6 e-tron – auf der schon lange erwarteten PPE-Plattform kommen, deren Start schon des Öfteren verschoben wurde. Wie groß die Anspannung deshalb ist, zeigt allein die Tatsache, dass sämtliche Fragen rund um das neue Modell unbeantwortet bleiben sollen. Als börsennotiertes Unternehmen ist Porsche verständlicherweise vorsichtig mit Aussagen zu einem Modell, das derart hohe Erwartungen mit sich bringt. Ohnehin soll dieser Artikel primär einen Blick in die Werkshallen liefern und zeigen, was den Standort ausmacht.

Geschichte des Porsche-Werks Leipzig

2002: Werkseröffnung und Produktionsstart des Cayenne
2003: Produktionsstart Carrera GT
2004: Erste Werkserweiterung
2005: Produktion des 100.000sten Cayenne
2006: Start Werkserweiterung zur Produktion des Panamera
2009: Produktionsstart Panamera
2010: Produktionsstart der zweiten Generation des Cayenne
2011: Start Werkserweiterung zur Produktion des Macan
2012: Produktion des 500.000sten Porsche in Leipzig
2013: Produktionsstart Macan
2014: Werkserweiterung für die zweite Generation Panamera
2016:Produktionsstart der zweiten Generation Panamera
2019: Grundsteinlegung Werkserweiterung für den E-Macan Nachfolger
2023: geplanter Produktionsstart für den E-Macan

Aktuell werden pro Tag rund 500 Fahrzeuge des Kompakt-SUV Macan sowie der Sportwagenlimousine Panamera produziert. Zuvor wurde wurde von 2002 bis 2017 der Cayenne  in Leipzig gebaut. Heute arbeiten in den Gewerken Karosseriebau, Lackiererei und Montage sowie den Bürobereichen mehr als 4.300 Mitarbeiter. Ort unserer Factory Tour war der Karosseriebau, in dem Porsche mit einer eigens in Leipzig entwickelten Anwendung namens SPOC für effizienteres Arbeiten sorgen will.

Die Grafik zeigt die Halle, in der die Karosse des Panamera gebaut wird – Ort unserer Factory Tour.
Die Grafik zeigt die Halle, in der die Karosse des Panamera gebaut wird – Ort unserer Factory Tour. (Bild: Porsche)

SPOC digitalisiert Prozesse im Karosseriebau

Die Abkürzung steht für „Smart Production Online Cockpit“ – welches sich auf einem Tablet wiederfindet. Das Programm soll den Mitarbeitern im Karosseriebau Zugang zu Informationen rund um die Produktion – inklusive Live-Daten ermöglichen. Dabei ist das SPOC mit dem Fabriknetzwerk verbunden und zieht sich die passenden Daten nahezu in Echtzeit. Egal ob Anlagenbediener, Instandhalter oder auch Logistiker – für jeden soll das smarte Online Cockpit die passenden Daten bereitstellen. Bevor das System eingeführt wurde, gab es noch viele Papierprozesse im Karosseriebau. Ausdrucken, verteilen, abarbeiten, unterschreiben, einsammeln, abheften – das gehört nun der Vergangenheit an. SPOC hat all diese Arbeitsschritte digitalisiert. Ebenso sei dadurch die Transparenz in Richtung Schicht- und Gewerkeleiter erhöht worden, erklärt Jonas Schaubeck, Product Owner für Digitalisierungsprojekte im Leipziger Porsche-Werk. Die Mitarbeiter würden sich nun viele Laufwege sparen und hätten so während ihrer Schicht mehr Zeit für andere Aufgaben.

Bolzenkontrolle mit Augmented Reality

Egal, mit wem man am Leipziger Porsche-Standort ins Gespräch kommt – immer wieder wird von einem besonderen Spirit der Belegschaft gesprochen. Ein Grund sind sicherlich solch eigens entwickelte Projekte wie SPOC. Nur wenige Meter weiter wartet mit Robin Bergmann der nächste Kollege, sichtlich stolz auf das, was er präsentieren wird. Bergmann ist CAx- und IT-Koordinator für die Planung im Karosseribau. Auch er ist mit einem Tablet in der Hand ausgestattet und zeigt, wie dieses zum digitalen Kollegen mit ausgeprägtem Prüfblick mutiert.

Mithilfe einer AR-Anwendung können Bergmann und andere Beschäftigte anhand eines CAD-Modells auf dem Tablet Abweichungen von Bolzenschweißverbindungen an der Karosserie ermitteln. Somit können bereits im Anlauf zeitaufwendige Nacharbeiten in der Montage vermieden werden. In einem weiteren Use Case dient das CAD-Modell in der AR-Anwendung TWYN als digitale Schablone und ersetzt die bisherige analoge Bolzenschablone. Damit wird der Prozess bei Änderungen und die Handhabung für den Mitarbeiter verschlankt und digitalisiert.

Produktionsvorstand Albrecht Reimold im Interview

Karossen werden in Leipzig separat gebaut

Ob Panamera, Macan oder bald auch der E-Macan – der Karosseriebau der Modelle ist in Leipzig in auf die Modelle spezialisierte Hallen unterteilt. Doch egal, um welches Derivat es sich handelt, die Karosse wächst in vier Abschnitten von unten nach oben. Ein Transponder mit spezifischem Identifizierungscode beinhaltet alle Details des Fahrzeugs. Nach dem Unterbau folgt der Aufbau, sprich die Seitenwände und das Dach. Der dritte Abschnitt komplettiert das Karosseriegerippe mit Türen, Motorhaube und Heckklappe.

Die Produktionshalle des Panamera hat eine Fläche von rund 68.000 Quadratmetern und besteht aus drei Ebenen: eine Fertigungsebene, eine Fördertechnik-Ebene und ein Entkopplungsmodul für circa 280 Karossen. Die Photovoltaikanlage auf dem Dach ermöglicht an sonnigen Tagen einen autarken Betrieb des MSB-Karosseriebaus. Knapp 500 Roboter und rund 200 Mitarbeiter pro Schicht fertigen im Porsche Werk Leipzig die neue Generation des Panamera auf Basis des flexiblen Modularen Standard Baukastens (MSB) mit einer Fertigungstiefe von mehr als 90 Prozent. Die komplette Außenhaut des Panamera besteht ausschließlich aus Aluminium. Insgesamt hat die Karosse einen Aluminiumanteil von 45 Prozent und ein Gesamtgewicht von 400 Kilogramm.

Aus rund 430 Einzelteilen entsteht durch mechanische und thermische Fügeverfahren die Karosserie mit einem Multimaterialmix. Unter anderem werden 600 Flowdrill-Schrauben pro Karosse verarbeitet. Dabei schneiden fließlochformende Schrauben ihr Gewinde selbst und verbinden Stahl und Aluminium miteinander. Daneben werden die Verfahren Rollfalzen im Gegenrollprinzip, Kleben, Stanznieten, Alu-Laserschweißen und Clinchen eingesetzt. In der Finishlinie findet die Abnahmekontrolle des Fahrzeugs statt, wobei Fügeverbindungen, Oberflächenqualität und Spaltmaße überprüft werden. Sind alle Qualitätsanforderungen erfüllt, erfolgt die Übergabe an die Lackiererei.

Fabrik des Jahres: Kongress im März

Fabrik des Jahres

Die Fabrik des Jahres zählt zu den renommiertesten Industrie-Wettbewerben Europas. Auf dem gleichnamigen Kongress werden jedes Jahr die Sieger des Benchmarks ausgezeichnet. Der nächste Kongress findet am 14. und 15. März in Leipzig statt.

 

In einer Sonderfolge von Industry Insights sprechen Anja Ringel und Julia Dusold mit Prof. Günther Schuh über die Fabrik des Jahres und nachhaltige Produktion.

 

Weitere Informationen zur Fabrik des Jahres finden Sie auf der Website des Wettbewerbs.

Die gelb eingefärbte Halle zeigt die Lackiererei des Porsche-Werks Leipzig
Die gelb eingefärbte Halle zeigt die Lackiererei des Porsche-Werks Leipzig (Bild: Porsche)

KI gibt Tipps, welche Farben nacheinander lackiert werden

In einem mehrstufigen Lackierungsprozess erhält die Karosse in 15 Stunden ihren Anstrich. Die Leipziger Lackiererei bietet ein großes Farbspektrum: Neben den 16 Standardfarben kann die Karosserie in jede denkbare Individualfarbe gekleidet werden. Ein neuartiges Abscheidesystem für Lacknebel soll die Emissionen von umweltschädigenden Lösemitteln im Lackierprozess senken. 80 Prozent des Wärmebedarfs in der Lackiererei werden laut Porsche CO2-neutral gedeckt. Zur Kontrolle des Lacks durchlaufen alle Macan und Panamera einen besonderen LED-Lichttunnel, dessen Licht über Spiegel auf die Karosserie projiziert wird. Dabei entsteht ein Streifenlicht, in dem jede noch so kleine Lackunebenheit erkennbar werden soll. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz kam man in Leipzig bereits zu der Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, bestimmte Farben nacheinander zu lackieren, da spezielle Farbreihenfolgen für weniger Fehler gesorgt haben, als andere.

Grundsätzlich durchläuft die Karosserie sechs Phasen. Zuerst wird sie gereinigt, entfettet sowie in eine Zinkphosphatlösung getaucht, die für eine optimale Haftung des nachfolgenden Korrosionsschutzes sorgt. Dieser wird in der kathodischen Tauchlackierung aufgetragen. Dazu taucht die gesamte Karosserie in ein Becken mit elektrisch leitfähigem Tauchlack auf Wasserbasis und wird als Kathode geschaltet. Eine zur Gegenelektrode angelegte Gleichspannung von 380 Volt sorgt dafür, dass die im Lack enthaltenen Festkörper elektrophoretisch an der Karosserieoberfläche abgeschieden werden, daran haften bleiben und eine geschlossene und gleichmäßige Beschichtung entsteht.

Anschließend werden Schweißnähte und Flansche mit speziellen PVC-Materialien abgedichtet und die Schweißnähte an Türen, Motorhaube und Heckklappe versiegelt, um einem Wassereintritt vorzubeugen. Zudem wird ein Unterbodenschutz aufgetragen, bevor die Karosserie die eigentlichen Lackschichten erhält: Füller, Decklack und Klarlack. Der elastische Füller soll den Decklack vor Beschädigungen schützen und Struktur und spätere Brillanz verbessern. Anschließend wird der Decklack in der vom Kunden gewünschten Farbe aufgetragen. Nach einem Zwischentrocknen versiegelt ein Klarlack die Karosserie.

Die Grafik zeigt die Halle, in der sich die Montage befindet.
Die Grafik zeigt, wo sich die Montage im Leipziger Porsche-Werk befindet. (Bild: Porsche)

Eine Montage für alle Fahrzeuge

Künftig werden Benzin-, Hybrid- und Elektrofahrzeuge in Leipzig auf einer Linie montiert. Dafür wird unter anderem eine neue Hochzeit errichtet. Bereits 2010 wurde für den Cayenne der erste Hybridantrieb in die Linie integriert, später dann auch für den Panamera. Grundsätzlich werden in der Montage zuerst die Türen entfernt, die in einer eigenen Linie komplettiert werden. Parallel dazu erhält die Karosserie ihr Interieur – hier verschmelzen industrielle Fertigung und Handarbeit. Nachdem das Interieur eingebracht ist, wechselt das gefertigte Fahrzeug sein Transportmittel: Statt des bis dahin verwendeten Hubtisches kommt ein Drehgehänge zum Einsatz, das ein ergonomischeres Arbeiten am Unterboden ermöglichen soll, um Bremsleitungen und Tank einzubauen. Durch die folgende Exterieurlinie läuft das Fahrzeug wieder auf einem Hubtisch, dessen Höhenverstellbarkeit ebenfalls ergonomischeres Arbeiten möglich machen soll. Die Exterieurlinie umfasst beispielsweise den Einbau von Windschutzscheibe, Heckscheibe, Hauptscheinwerfern und Sitzen. Außerdem werden die Türen wieder montiert und das Porsche-Wappen wird auf der Karosserie angebracht.

Nach Hochzeit und Motorverkabelung erfolgen auf der Endmontagelinie abschließende Arbeiten wie das Befüllen von Flüssigkeiten, Montage der Räder, Inbetriebnahme und die Endkontrolle des Fahrzeugs. Nach einer Prüffahrt erfolgt die Endabnahme, und das Fahrzeug verlässt die Fertigung. Eine wichtige Qualitätssicherungsmaßnahme ist das Audit, in dem einzelne Fahrzeuge aller Varianten einer umfassenderen Prüfung unterzogen werden.

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