Eine Straßenkarte mit grünen E-Autos als Aufstellern.

Die Anzahl der Elektroautos könnte die Stromversorgung aus regenerativen Quellen überlasten. (Bild: AdobeStock / bluedesign)

Die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen ruft noch immer Zweifler auf den Plan. Bereits im vergangenen Jahr reagierte das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel auf zwei „geschönte“ Studien, die den zusätzlichen Stromverbrauch nicht berücksichtigen würden. Allein im deutschen Pkw-Bereich führe eine vollständige Umstellung auf Elektromobilität demnach zu einem 20 Prozent höheren Strombedarf. De facto würden E-Autos heutzutage mit 100 Prozent Kohlestrom fahren, monierte IfW-Forscher Ulrich Schmidt damals.

„Erst wenn die Energiewende weit fortgeschritten ist und der Strom nahezu ausschließlich aus erneuerbaren Energien besteht, ist das Elektroauto klimafreundlicher als moderne Diesel-Fahrzeuge“, so Schmidt. Bis dahin sei es klimaschonender, mittels erneuerbaren Energien den Anteil fossiler Energieträger im Strommix zu senken, als damit Elektroautos zu betanken. Die Kritik folgte prompt: Methodik und Berechnungen seien mangelhaft, betonte Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in einer Stellungnahme. Forscher der Technischen Universität Eindhoven korrigierten die Berechnung der CO2-Emissionen ebenso und entlarvten die Grenzstrom-Rechnung als zu subjektiv. Eine spezifische Energiequelle beim Ladevorgang auszumachen, sei schlicht nicht möglich.

Klimabilanz ist eine Frage des Strommixes

Ende Juni dieses Jahres nahm die Diskussion erneut Fahrt auf. Anlässlich der EU-Pläne, die CO2-Vorgaben für neu zugelassene Autos noch einmal zu verschärfen, wandte sich Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemeinsam mit 170 Wissenschaftlern in einem offenen Brief an die EU-Kommission. Der Strommix sei falsch berechnet worden. „Die Zahlen suggerieren ein Einsparpotenzial, das wir nicht haben“, betonte Koch. Die CO2-Emissionen seien durch einen vereinfachten Mittelwertansatz viel zu niedrig berechnet worden, schließlich hemme der steigende Bedarf den Wandel zu „saubererem“ Strom. In 6.000 von 8.760 Stunden im Jahr werde es neben Ökostrom somit mehr Strom aus fossilen Kraftwerken brauchen.

Jakob Wachsmuth vom Fraunhofer ISI äußert – in einem Sammelbeitrag des Science Media Centers – Verständnis für diese Ansicht. Der CO2-Ausstoß könne vom Strommix insgesamt sowie vom Grenzstrommix – dem zusätzlich nötigen Strom im Vergleich zu einer Welt ohne E-Autos – abhängen. Es gäbe Argumente für beide Positionen. Wissenschaftlicher Standard in der Ökobilanzierung sei aber die Verwendung der Durchschnittsemissionen, da sich Grenzstromemissionen nicht klar zuordnen ließen. Angesichts der eingeplanten Kapazitäten beim Ausbau erneuerbarer Energien, fehle ihm der energie- und klimapolitische Kontext der Studie. Sobald E-Autos als mobile Speicher in das Energiesystem integriert werden, könne der Marginaleffekt überwunden werden, ergänzt Patrick Jochem vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Koch zumindest einen validen Punkt zugesteht, auch wenn die Ergebnisse zu kurz greifen würden.

Forscher bezeichnet offenen Brief als Lobbyistenschreiben

Wesentlich kritischer zeigt sich Christian Rehtanz von der TU Dortmund. „Der Brief ist hochgradig peinlich. Es ist ein wissenschaftlich verbrämtes Lobbyistenschreiben, welches krampfhaft versucht, die Kolbenmaschinen zu retten.“ Koch beschreibe ein Henne-Ei-Problem, denn selbstverständlich müsse die erneuerbare Stromproduktion insoweit erhöht werden, dass künftige Bedarfe gedeckt werden. „Es ist aber völlig richtig, dass ein extrem schneller Hochlauf der Elektromobilität, mit dem der Ausbau der Erneuerbaren nicht Schritt hält, deutlich weniger CO2-Minderungen bringt, als wenn erneuerbare Energien schnell damit Schritt halten“, ergänzt Rehtanz. Ziel einer ganzheitlichen Energiesystemplanung müsse es sein, die erneuerbaren Energien durch ein flexibleres Lademanagement möglichst optimal zu nutzen.

Die Klimabilanz steht und fällt also hauptsächlich mit der Menge an Ökostrom – aber auch den Möglichkeiten rund um die Smart-Grid-Technologie. Zurecht warnt die Arbeitsgruppe der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) somit, dass eine Verschärfung der Grenzwerte „einen nochmals deutlich schnelleren Hochlauf erforderlich machen“ kann. Und auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) gibt Schützenhilfe: „Der Appell der Wissenschaftler an die EU-Kommission macht einmal mehr deutlich, wie dringlich der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist.“

Gibt es genügend Ökostrom für E-Autos?

Damit unterstreichen das Beratungsgremium der Bundesregierung sowie der Automobilverband, dass die Sorgen mancher Wissenschaftler sowie der Autohersteller nicht vollständig unbegründet sind. So mahnte Volkswagen-Chef Herbert Diess auf der Bilanzpressekonferenz, dass die Umstellung auf E-Antriebe keinen großen Sinn ergebe, wenn die Fahrzeuge mit Strom aus Kohle oder Öl geladen werden. Auch BMW-Chef Oliver Zipse äußerte im Interview mit dem Donaukurier Bedenken. Er habe „große Sorge“, ob es genug Ökostrom geben werde. „Ein moderner Diesel ist klimafreundlicher als ein Elektrofahrzeug, das mit Kohlestrom geladen wird.“ Eine Aussage, die geradezu an IfW-Forscher Ulrich Schmidt erinnert. Dieser hatte verlautbart, dass Elektroautos erst klimafreundlicher als moderne Diesel werden, wenn die Energiewende weit fortgeschritten ist und der Strommix nahezu ausschließlich aus erneuerbaren Energien besteht.“

Darüber hinaus ist ein grundsätzlicher Stromengpass laut dem ADAC jedoch nicht absehbar. Basierend auf der aktuellen Situation des Strommarktes seien mittelfristig keine größeren Probleme zu erwarten. Zehn Millionen Elektrofahrzeuge würden demnach zu einem zusätzlichen Bedarf von 5,6 Prozent beziehungsweise 30 TWh führen. Dem gegenüber stehe 2002 ein exportierter Überschuss von 18 TWh. Allerdings müssten im Hinblick auf den Atom- und Kohleausstieg durchaus größere Strommengen kompensiert werden, beschreibt der Automobilclub die Herausforderung. Die von der Bundesregierung geplanten zehn Millionen E-Autos bis 2030 könnten somit ausreichend versorgt werden. Mittlerweile rechnen Regierungsberater jedoch mit vier Millionen zusätzlichen E-Pkw, da die Grenzwerte bis dahin einen Anteil von 80 Prozent an den Neuzulassungen erfordern könnten.

Eine Grafik des Bundesumweltministeriums zur Ökobilanz von E-Autos.
E-Autos führen laut dem Bundesumweltministerium zu weniger CO2-Emissionen. (Bild: BMU Daten: ifeu)

Erneuerbare Energien sind auf dem Vormarsch

Doch welchen Anteil haben erneuerbare Energien aktuell am Strommix? Aktuell decken sie – laut Zahlen des Umweltbundesamts – rund 45 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland. Bis 2030 sollen es mindestens 65 Prozent sein. Zum Vergleich: In der Europäischen Union liegt der Wert laut einer Analyse momentan bei rund 38 Prozent. Selbst in Zeiten von bis zu 14 Millionen E-Fahrzeugen auf den Straßen wäre die Bundesrepublik somit keineswegs unabhängig von fossilen Energieträgern.

Trotzdem würden Elektroautos schon mit dem aktuellen Strommix deutlich klimafreundlicher sein als Verbennerfahrzeuge, schreibt das Bundesumweltministerium und beruft sich dabei auf Daten des Instituts für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg. Die Tendenz sei im Zuge der fortschreitenden Energiewende, einem besseren Lademanagement und den Fortschritten bei der Batterieproduktion steigend. Beendet ist die Debatte damit wohl nicht, doch letzten Endes ist klar: Die Klimabilanz der Elektromobilität hängt nicht von Studien und Mathematik, sondern politischen Taten und den Energieversorgern ab.

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dpa