Dirk Oliver Haller Vorstand Deutsche Finetrading DFT

DFT-Vorstand Dirk Oliver Haller rechnet damit, dass OEMs und Zulieferer größere lokale Lagerbestände aufbauen. (Bild: DFT)

Herr Haller, wie wird sich die Konjunktur in Deutschland bis Jahresende entwickeln? Liegt der Tiefpunkt der Corona-Rezession bereits hinter uns?

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau und auch die Automobilindustrie reagieren auf Krisen traditionell zeitversetzt. Die Lage, die sich augenblicklich abzeichnet, wird sich in den kommenden Monaten sicher noch einmal deutlich verschärfen. Als Exportnation sind wir stark mit Partnern auf der ganzen Welt verwoben. Sind Unternehmen beispielsweise in Spanien und Italien nicht mehr lieferfähig und werden in solchen Ländern längere Zeit weniger Fahrzeuge verkauft, bleibt es problematisch.

Wie stabil schätzen Sie die globalen Produktions- und Lieferketten ein, angesichts nach wie eingeschränkter Handelsströme und stark verringerter Kapazitäten bei Ocean- und Airfreight-Carriern?

Aktuell ist das Frachtraumangebot knapp, egal, welchen Transportweg man nachfragt. Der Trend, dass Unternehmen Lagerbestände aufbauen und systemrelevante Komponenten und Bauteile stärker bevorraten als in der Vergangenheit, verschärft die Situation im grenzüberschreitenden Handel zusätzlich. Viele Anfragen, die wir derzeit bearbeiten, verfolgen das Ziel, sich gegen Materialengpässe abzusichern.

Glauben Sie, dass in Zukunft regionale Beschaffungsszenarien lange, globale Lieferketten ersetzen werden?

Nein, das glaube ich nicht. Die Automobilindustrie ist international aufgestellt und bedient Märkte auf der ganzen Welt. Dementsprechend ausgefeilt sind die Sourcing-Strategien bei OEMs wie Zulieferern. Die Lieferketten werden sich vermutlich schon bald wieder synchronisieren. Was wir aber sehen werden sind größere lokale Lagerbestände, mit denen sich künftig ein Produktionsstillstand vier bis sechs Wochen lang vermeiden lässt.

Stimmt es, dass Automobilzulieferer bei der Geschäftsfinanzierung zu stark am traditionellen Hausbankmodell festhalten?

Vor allem mittelständisch geprägte, kleine und inhabergeführte Familienbetriebe arbeiten mit klassischen Bankenfinanzierungen. Sie tun das, weil sie keine Alternativen kennen und oft Nachholbedarf in puncto Konditionenvergleich haben. Factoring und Leasing wirkten in den 1970-er Jahren exotisch, heute sind diese Instrumente fester Bestandteil im unternehmerischen Finanzierungsmix. Auch Finetrading muss man als sinnvolle bankenunabhängige Ergänzung und als Baustein einer soliden Geschäftsfinanzierung sehen. Er basiert auf einem Handelsgeschäft, wird über das Zahlungsziel gesteuert und kann auf einfache und flexible Weise genutzt werden – nicht nur bei der Finanzierung größerer Wareneinkäufe.

Firmen in der Autoindustrie veranschlagen mehr als 20 Monate, bis das Vor-Corona-Niveau erreicht ist. Teilen Sie diese Ansicht?

Die Prognose erscheint mit realistisch. Die Bremsspuren, die Corona in der Branche hinterlässt, werden auf jeden Fall bis Ende 2021 sichtbar bleiben.

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