Andreas Wendt, BMW

Andreas Wendt, Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk BMW Group. (Bild: Rainer Häckl/BMW)

Automobil Produktion: Herr Dr. Wendt, Sie haben sich bei BMW vor allem einen Namen als Produktionsexperte gemacht. Kam die Berufung zum Einkaufsvorstand für Sie eigentlich überraschend?
So schnell kann mich beruflich eigentlich nichts mehr überraschen. Ich denke, dass ich die Erfahrungen, die ich bei meinen Positionen zuvor gemacht habe, in der neuen Funktion sehr gut einbringen kann.

Automobil Produktion: Früher war Einkauf in erster Linie ein kaufmännisches Thema. Inwieweit spiegelt sich in Ihrer Berufung der Umstand wieder, dass dem Einkauf und vor allem auch dem Bereich Lieferantennetzwerk im Lichte des Mobilitätswandels zunehmend strategische Bedeutung zukommt?
Das ist sicherlich so, aber nicht erst seit meiner Berufung. In seinen Grundzügen besteht das Ressort bei BMW seit 2007. Unser Einkaufsressort kauft seit vielen Jahren nicht nur ein. Es ist durch das erfolgreiche Zusammenwirken von Einkauf, der hauseigenen Komponentenfertigung und dem Qualitätsmanagement der Teile seit vielen Jahren auch ein wichtiger Treiber des Unternehmenserfolgs. Diese Konstellation ist einzigartig und sehr hilfreich im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit. Durch das Zusammenspiel von internem und externem Know-how haben wir ein tiefes Prozessverständnis und können Best Practice-Standards im weltweiten Netzwerk übertragen und umsetzen. Die strategische Rolle, die dem Einkauf im engen Schulterschluss mit der Entwicklung und Produktion zukommt, hat sich über Jahre bewährt. Das kommt uns jetzt, in Zeiten des Mobilitätswandels und der damit verbundenen Herausforderungen, zu Gute.

Automobil Produktion: Inwieweit ist Ihr tiefgreifendes Produktionswissen hilfreich für Ihre Rolle als EK-Vorstand?
Als Produktionsverantwortlicher und Werkleiter lernt man, sich stark in die Perspektive des jeweils Nächsten in der Prozesskette zu versetzen – und damit auch in die Perspektive des Vertriebs und des Endkunden. Bereits als Werkleiter war ich für die optimale Umsetzung der Entwicklungsvorleistung und all der Faktoren verantwortlich, die zur Produktentscheidung geführt haben – und letztlich dafür, ein Auto auf die Straße zu bringen, das die Kunden begeistert. Das kann man nicht erreichen, wenn man ein Fahrzeug als die Kombination von Teilen sieht. Die Erfahrung als Werkleiter ist sicherlich eine sehr gute Schule in Richtung Prozessorientierung, aber auch in Richtung Führungsverantwortung. Ein für mich wichtiger Punkt. Denn technische Prozesse nur deterministisch zu beherrschen, ist nicht die Lösung. Sie müssen die Menschen erreichen. Das gilt für Führung, für Verantwortung. Was in einem Werk hilft, ist auch wichtig für den Umgang mit Lieferanten.

Automobil Produktion: Freuen sich eigentlich Lieferanten darüber, wenn ein Produktionsexperte Einkaufsvorstand wird, weil der möglicherweise mehr Verständnis für die Themen aufbringt mit denen sich die Zulieferer herumschlagen?
Da müssen Sie die Lieferanten fragen. Die ersten Rückmeldungen sind, dass unsere Partner verstehen, dass das fachlich-qualitative Interesse an den gemeinsamen Themen und die gleichzeitige Beachtung der betriebswirtschaftlichen Erfordernisse eine gute Mischung ist. Wichtig ist mir, einen wertschätzenden Umgang zu pflegen, der sich am Ende daran bemisst, dass wir unsere Kunden begeistern.

Automobil Produktion: Unter Ihrem Vorgänger wurde angesichts der Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Mobilitätswandel vor drei Jahren damit begonnen, die Bereiche Entwicklung, Einkauf und Produktion noch enger zu verzahnen, was auch zu organisatorischen Veränderungen führte. Ist der Prozess abgeschlossen?
Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der sehr konstruktiv läuft. Wir wissen alle, dass wir das Thema Integrationsleistung nur gemeinsam erfolgreich umsetzen können. Jeder hat in dieser Konstellation seine spezifischen Aufgaben. Es ist mir sehr wichtig, dass wir alle Belange des Einkaufs perfekt umsetzen. Gleichzeitig suche ich immer die Diskussion mit meinen Prozesspartnern und gehe in die Abstimmung mit den anderen Unternehmensbereichen. Umgekehrt ist das genauso und so kommen wir am Ende zu einem perfekten Gesamtergebnis.

Automobil Produktion: Die BMW Group setzt bei dem Wandel Richtung Elektromobilität auf ein hochflexibles Produktionssystem. Aus Sicht des Einkaufs wäre es doch aber erst perfekt, wenn die Zulieferer ebenso hochflexible Systeme haben, um beispielsweise bei einem schnelleren Hochlauf der E-Mobilität die Lieferumfänge ebenso flexibel hochfahren zu können und die Verbrennerumfänge nach unten anzupassen. Wie dringlich ist das Thema aus Ihrer Sicht?
Generell ist die weitere Flexibilisierung ein Thema. Aus BMW Group Sicht sehe ich es relativ entspannt. Wir haben bereits sehr früh, im Jahr 2007 mit der Entwicklung des BMW i3 begonnen. Inzwischen sprechen wir über die fünfte Generation von elektrischen Antrieben, die 2021 kommen wird. Das heißt: Der Wandel zur E-Mobilität kommt für uns nicht überraschend. Wir haben gewachsene Strukturen. Generell ist Flexibilität für uns ein Key-Enabler, egal ob in der Entwicklung, der Produktion oder dem Einkauf und Lieferantennetzwerk. Unsere Partner tragen die Veränderungen sehr konstruktiv mit. Auch wir selbst haben diese gut bewältigt, wenn Sie etwa an die Abtauschflexibilität in unserer Motorenfertigung denken oder die Integration von Elektrofahrzeugen in unsere bestehenden Fabriken.

Automobil Produktion: Wenn Sie auf einer Skala darstellen müssten, wo Sie bei den Flexibilitätszielen stehen und wo Sie hinwollen, wo sehen Sie BMW da?
Ich glaube, es wäre unseriös, Ihnen einen Zahlenwert zu nennen. Vielmehr muss man sich die Frage stellen, ob die Entwicklungsgeschwindigkeit stimmt. Denn wenn man schnell genug ist, wird jede Revolution zur Evolution und das ist letztlich unser Ziel.

Automobil Produktion: Sind sie schnell genug?
Geschwindigkeit liegt in unseren Genen.

Automobil Produktion: Und in den Genen der Zulieferer auch?
Es hilft Ihnen nichts, selbst die Entwicklungsgeschwindigkeit für die E-Mobilität zu verschärfen, wenn die Lieferanten nicht Schritt halten… Natürlich sind die Zeiten für alle Beteiligten fordernd, aber auch chancenreich. Und ich sehe genügend Partner, die die Chancen erkennen und danach handeln. Hinzu kommt, dass sich durch den Mobilitätswandel der Markt für neue Player öffnet. Nehmen Sie beispielsweise die Bereiche IT oder Consumer Electronics. Unternehmen aus diesen Branchen sind eine höhere Geschwindigkeit gewohnt, weil deren Innovations- und Produktzyklen in der Regel deutlich kürzer sind als im Automotive Umfeld. Da können wir einiges lernen, was die Geschwindigkeit anbelangt. Umgekehrt müssen die Partner lernen, dass in unserem Umfeld die Qualitätsanforderungen sehr hoch und entscheidend sind.

Regionale Verteilung des Einkaufvolumens der BMW Group im Jahr 2018

Regionale Verteilung des Einkaufvolumens der BMW Group im Jahr 2018
Für eine größere Ansicht bitte auf die Grafik klicken. Quelle: BMW

Automobil Produktion: Ein zumindest in seiner Dimension auch für Sie neues Thema dürfte der Batterieeinkauf sein. Wie gehen Sie damit strategisch um? Es hat ja durchaus seine Tücken, wenn man jetzt mit Sicht auf die nächsten fünf bis zehn Jahre Batteriezellen sourct und damit Technologie einkauft, die erst am Anfang der Entwicklung steht...
Trivial ist das nicht. Batterien sind ein betriebswirtschaftlich wie technisch anspruchsvolles Produkt. Eine wichtige Rolle spielt unsere hausinterne Hochvoltspeicherfertigung. Dort fertigen wir fast alle elektrischen Antriebskomponenten selbst und kümmern uns auch im Detail um die Systemintegration. Damit stellen wir sicher, dass unsere Fahrzeuge zu 100 Prozent unserem Premiumanspruch gerecht werden. Auf der anderen Seite der Prozesskette beschäftigen wir uns auch intensiv mit der Rohstoffabsicherung, was auch im Hinblick auf Preisstabilität entscheidend ist. Zur Sicherung der Technologieführerschaft verfügen wir über ein eigenes Kompetenzzentrum für die Entwicklung der Batteriezelle, um die Beurteilungskompetenz im Haus zu halten. Ab Sommer 2019 bündeln wir unser in-house-Fachwissen zur kompletten Wertschöpfungskette in einem neuen Kompetenzzentrum in München. Wir beschäftigen dort 200 Mitarbeiter.

Automobil Produktion: Dabei geht es aber nicht um den Einstieg in eine eigene Zellfertigung oder?
Nein. Es geht darum, die Entwicklung der Batteriezelltechnologie in der Tiefe zu verstehen und zu begleiten, um die Beurteilungskompetenz im Hinblick auf die besten gegenwärtig und künftig verfügbaren Technologien im Haus zu haben. Das kann man nur, wenn man diese versteht. Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, ob wir eine Technologie am Markt einkaufen oder selbst in eine Zellproduktion einsteigen. Es geht aber nicht nur darum, ob man produzieren lässt oder nicht. Es geht auch darum, wo man produziert. So haben wir uns für CATL als großen Zelllieferanten entschieden und wir sind stolz, dass wir mit dazu beitragen konnten, dass dieses Werk nach Deutschland kommt.

Automobil Produktion: Ich habe Sie aber schon richtig verstanden, dass es sich BMW offenlässt, selbst in die Zellfertigung einzusteigen?
Unsere bisherige Strategie, keine eigene Serienproduktion für Batteriezellen aufzubauen, hat sich bewährt. Natürlich stellen wir das Thema regelmäßig strategisch und betriebswirtschaftlich sowie im Hinblick auf die Arbeitsplätze auf den Prüfstand. Angesichts der momentanen Strukturen am Markt, der hohen Investments, die getätigt werden müssen, und der hohen Dynamik bei der Zellentwicklung sehen wir momentan keine Veranlassung, selbst in großem Stil in die Zellfertigung einzusteigen.

Automobil Produktion: Ein bereits sehr aktuelles Thema ist die Rohstoffbeschaffung. Es gibt eine Reihe kritischer Rohstoffe wie Lithium und Kobalt, die in den Batterien verbaut werden und die zum Teil unter menschenverachtenden Bedingungen gewonnen werden oder deren Abbau umweltpolitisch sehr kritisch gesehen wird. Wie gehen Sie vor, um sicherzustellen, dass die Rohstoffe aus möglichst sauberen Quellen kommen?
Grundsätzlich sourcen wir Rohstoffe nur aus zertifizierten Unternehmen. Beim Einkauf für saubere Elektromobilität ist das Thema Rohstoffbezug sicherlich noch einmal differenzierter zu betrachten und das tun wir auch. Wir haben deshalb beschlossen, mit dem Start der fünften Generation unserer Elektrofahrzeuge ab dem Jahr 2020/21 Kobalt nicht mehr aus dem Kongo zu beziehen. Was wir dort allerdings machen werden, ist ein Projekt mit BASF, Samsung SDI, Samsung Electronics sowie der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit zur Förderung einer Kleinstmine. Mit dem auf drei Jahre angelegten Pilotprojekt wollen wir einen Beitrag leisten, dass Bergbau in kleinen, artisanalen Strukturen unter menschenwürdigen Bedingungen erfolgen kann und so hoffentlich eine wirtschaftliche Grundlage für diese Form von Kleinstbergbau gelegt werden kann.

Automobil Produktion: Woher wollen Sie dann künftig das benötigte Kobalt beziehen?
Gerade bei Kobalt wird stark über die Abhängigkeit vom Kongo diskutiert. Dabei rückt in den Hintergrund, dass durch neue technische Entwicklungen der Bedarf an Kobalt bereits gesunken ist und weiter sinken wird. Und es besteht ja kein Ressourcenmangel per se. Es gibt genügend Vorkommen, die noch nicht exploriert sind. Das wird aber kommen.

Automobil Produktion: Bis neue Ressourcen erschlossen sind, dauert es noch. Was unternehmen Sie bis dahin, um sicherzustellen, dass Ihnen nicht Schlagzeilen a la „Kinderarbeit für grüne Mobilität“ um die Ohren fliegen?
Das stellen wir dadurch sicher, dass wir Rohstoffe aus zertifizierten Unternehmen außerhalb der Demokratischen Republik Kongo sourcen. Darüber hinaus setzen wir uns intensiv mit der Rohstoffgewinnung vor Ort auseinander. Es dürfte faktisch keinen Minenbetrieb geben, der nicht von einem unserer Einkaufsmitarbeiter besucht und intensiv begutachtet wurde. Es ist uns wichtig, uns selbst einen Eindruck von den Verhältnissen vor Ort zu verschaffen.

Zur Person: Andreas Wendt, BMW Group

1992 Nach dem Studium der Fotografie, anschließendem Maschinenbaustudium an der TU München und Promotion mit Auszeichnung über „Qualitätssicherung in flexibel automatisierten Montagesystemen“ Berufseinstieg bei der Robert Bosch GmbH
2002 Wechsel zur BMW Group, dort bis 2003 Leiter Strategieentwicklung Produktion
2003-2006 Leiter Produktion Fahrwerks- und Antriebskomponenten
2006-2009 Geschäftsführer BMW Motoren GmbH, Steyr
2009-2017 Leiter BMW-Werk Regensburg
2017- 2018 Leiter BMW-Werk Dingolfing
Seit 1. Oktober 2018 Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk BMW Group

Automobil Produktion: Ein anderes Feld mit hohem Risikopotenzial sind die schwelenden Handelskonflikte. Wie plant man denn im Einkauf, wenn man nicht weiß, welche Zölle demnächst wo erhoben werden?
Das hält uns in Atem. Bezüglich des Brexits sind wir seit über einem Jahr dabei, zusammen mit unseren Partnern alle Möglichkeiten zu durchdenken, um für jegliche Szenarien gewappnet zu sein.

Automobil Produktion: Nun ist ja der Ton aus der Industrie Richtung Politik deutlich rauer geworden, unverhohlen steht die Drohung verschiedener Hersteller im Raum, Produktion aus Großbritannien abzuziehen, respektive zu reduzieren. So weit ist man bei BMW noch nicht, oder?
Zwei von unseren drei Marken haben ihre Wurzeln in England, insofern haben wir eine nicht unerhebliche Verbundenheit zum englischen Markt. Zudem ist England unser viertgrößter Einzelmarkt. Insofern hoffen wir und können nur an die Politik appellieren, dass bald wieder Stabilität und Planungssicherheit einziehen.

Automobil Produktion: Über das Hoffen auf Vernunft hinaus, geben Sie mir bitte ein Beispiel, wie ein pragmatischer Lösungsansatz aussieht, um die etwa die Produktion und Teileversorgung aufrecht zu erhalten.
Unser Einkaufsvolumen in Großbritannien liegt bei etwa 700 Millionen Euro im Jahr, wovon etwa 500 Millionen innerhalb UK bleiben und in unsere Fabriken dort fließen. Umgekehrt „importieren“ wir jährlich Einkaufsumfänge in einer Größenordnung von fast zwei Milliarden Euro nach Großbritannien. Was wir konkret gemacht haben ist, in unzähligen Gesprächen und Veranstaltungen mit unseren Lieferanten ganz praktische Hilfestellungen, zum Beispiel zu Zolldeklarationen, zu geben. Und wir haben die Werksferien in unseren britischen Werken auf die Wochen nach dem 29. März, dem Stichtag für den Brexit, gelegt, um etwas Zeit zum Einrütteln der Verhältnisse zu gewinnen. Außerdem haben wir an strategisch wichtigen Punkten Läger aufgebaut, um über einen gewissen Zeitraum hinweg handlungsfähig zu bleiben.

Automobil Produktion: Das heißt, Sie haben in den vergangenen Monaten verstärkt Komponenten nach Großbritannien in diese Lager gebracht, um die Fertigung zu überbrücken, bis nachhaltigere Lösungen gefunden sind.
So ist es.

Automobil Produktion: Und wenn Sie noch einen Satz zu dem schwelenden Handelskonflikt mit den USA sagen…
Die BMW Group steht für weltweiten Freihandel. Wir verfügen als Unternehmen über ein weltweites Produktionsnetzwerk und einen globalen Absatzmarkt. Und wir nutzen die globalen Einkaufsmärkte. Barrierefreier Marktzugang ist ein entscheidender Faktor nicht nur für uns, sondern für die gesamte globale Wirtschaft. Wir hoffen, dass es zu keiner weiteren Eskalation des Handelskonflikts kommt.

Automobil Produktion: Woher rührt die Zuversicht?
Freier Handel hat die Erfolgsstory von BMW in den USA erst möglich gemacht. Unser Vorteil ist unser großes Werk in Spartanburg und dass wir durch den Standort einen erheblichen Beitrag zur Handelsbilanz der USA leisten. Zudem haben wir einen relativ hohen Lokalisierungsgrad an Komponenten und Vorprodukten, die wir im NAFTA-Raum einkaufen.

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