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(Bild: Facesbyfrank)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie gehen Sie in der Antriebsfertigung mit dem Thema Hochvoltmontage um? Gibt es innerhalb der Werke Teams, die sich nur um E-Mobilität kümmern und wieder andere, die nur Verbrenner montieren? Oder können alle alles?
Heute müssen noch nicht alle alles können. Teilweise sind die Produktionsstandorte ja physisch voneinander getrennt. In China wiederum ist die Batteriefabrik direkt am Motorenwerk angedockt. Das heißt, wir versuchen im Wesentlichen einen Stamm an Mitarbeitern auf die Elektromobilität auszurichten und dort, wo notwendig, nutzen wir die Flexibilität der Mitarbeiter aus der Produktion der Verbrennungsmotoren. Wichtig ist für die Antriebsfertigung Mitarbeiter nicht von irgendwo her zu rekrutieren, sondern Mitarbeiter mit dem Erfahrungswissen der Großserie weiterzuentwickeln. Dass wir sie dann mit diesem Erfahrungsschatz in die E-Mobilität bringen, hilft enorm. Viele Prozesse sind ja durchaus vergleichbar, etwa die Instandhaltung von Anlagen. Auch mit Blick auf die Anlauferfahrung ist es relativ egal, ob es sich um einen Verbrennungsmotor oder um einen elektrischen Antrieb handelt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie gehen Sie auf etwaige Zukunfts-Sorgen von Beschäftigten im Verbrennungsbereich ein? Und gibt es womöglich so etwas wie eine Wanderbewegung vom „D“- zum „E“-Team?
Man sollte diese Diskussion erst gar nicht aufkommen lassen und eher dafür sorgen, beide Welten in eine wirkliche Co-Existenz und gemeinsame Verantwortung zu führen. Ganz klar sehen sich die Mitarbeiter an, was in der Elektromobilität passiert. Andere achten mehr darauf, was sich in der verbrennungsmotorischen Welt ereignet. Mittlerweile gibt es einen hohen Personalaustausch zwischen den beiden Bereichen, bei dem sehr viel Wissen hin- und hertransportiert wird. Viel Energie entsteht auch durch die Frage von Mitarbeitern, was sie aus dem Wissen der Großserie im verbrennungsmotorischen Umfeld in die Elektromobilität einbringen können. Ein praktisches Beispiel dafür ist die mechanische Bearbeitung des Gehäuses unseres E-Antriebs im Werk Steyr. Dies kam auf Initiative der Mitarbeiter zustande. Dieses Bauteil ist ähnlich komplex wie ein Kurbelgehäuse. Die Steyrer wiesen dabei auf ihre Kompetenzen hin und sagten: „Das machen wir!“

AUTOMOBIL PRODUKTION: Der WLTP ist gerade mit Blick auf die Kürze der Umstellungszeiten ein großes Thema für die OEMs, etwa bei den Mild-Hybriden. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Hier sind andere Abteilungen eher in der Lage, dies zu beantworten; es gibt hierfür einen gesteuerten Prozess. Den Beitrag, den wir als Antriebsproduktion leisten können, ist der, dass wir mit unserer Flexibilität die entsprechenden Veränderungen gestalten und dort, wo es temporär Angebotsunterbrechungen gibt, diese mit anderen Derivaten oder anderen Motortypen ersetzen können.

Vita Ilka Horstmeier
Vita Ilka Horstmeier

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie sprachen das Pilotwerk zwischen Entwicklung und Motorenproduktion an. Wo ist das und gibt es aufgrund der neuen Komplexitäten andere, womöglich intensivere Formen der Zusammenarbeit?
Die Pilotwerkstatt und das Kompetenzzentrum für die E-Mobilität befinden sich in München in der Nähe unseres Forschungs- und Innovationszentrums. Dort arbeiten die Kollegen der Entwicklung, der Produktion und des Einkaufs unserer Teil-Prozesskette elektrische Antriebe zusammen auf einer gemeinsamen Fläche. In der Pilotwerkstatt im Untergeschoss – dem „innovativsten Keller Münchens“ – findet auch die Prototypenfertigung statt. Dort ist die Zukunftsschmiede für die Elektromobilität, in der wir gemeinsam mit den Entwicklungskollegen Produkt- und Prozessentwicklung betreiben. Für mich ist es immer wieder faszinierend zu sehen, dass die Kollegen aus der Entwicklung mit ihrer Idee an die Anlagen gehen und sagen: „Hey, wie geht das? Kann man das so umsetzten?“ Und umgekehrt gehen meine Mitarbeiter zu den Entwicklungskollegen und sagen: „Hey, aus dem Fertigungsprozess lässt sich noch etwas rausholen. Könnt ihr vielleicht am Produkt noch dies oder jenes ändern?“ Dieser Austausch und diese Möglichkeiten in einem Gebäude, sind zwar keine Neuigkeit, aber offensichtlich ist es doch immer wieder wichtig, die Mitarbeiter an einem Ort zusammenzubringen und die Pilotwerkstatt direkt dabei zu haben.
Ich glaube, dass es in einem Produktionsnetzwerk enorm wichtig ist, dass jeder seine Rolle hat. Die wichtigste Aufgabe ist, dass alle zusammenarbeiten und gesamthaft denken. Die Entwicklung von solitären Standorten, die solitäre Motoren in eigenen Produktionssystemen bauen, hin zur Baukastenmotorenwelt, ermöglichte eine ganz andere Form der Zusammenarbeit.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Eine solitäre Fertigung ist also passé?
Die solitäre Fertigung ist ein Auslaufmodell. Das haben wir zwar noch bei den V-Motoren, ja. Aber ansonsten arbeiten wir im Netzwerk und haben einzelne Standorte spezialisiert: Im Werk München ist unser Pilotwerk für Otto-Motoren, in Steyr unser Pilotwerk für Dieselmotoren. Wir haben das Pilotwerkt für die elektrischen Antriebe in München in, das ergänzt wird um ein neues Kompetenzzentrum für Batteriezelltechnologie und das Kompetenzzentrum E-Antriebsproduktion in Dingolfing. Das Wissen aus diesen Standorten wird dann ins Netzwerk übertragen. Gleichzeitig werden Produktionsinnovationen in einzelnen Werken erprobt und dann das Innovationswissen wieder an die anderen Standorte weitergegeben. So spielt jeder seine Rolle. Das Werk Hams Hall in England hat beispielsweise im Wesentlichen die Aufgabe, die Quermotoren im Erstanlauf zu befähigen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die anderen Werke zu übertragen. Alle Werke haben in der Regel eine Lieferbeziehung zueinander. In einem solchen Netzwerk ist es extrem hilfreich, wenn jeder auch Lieferant des anderen ist, zumindest auf der mechanischen Seite - das lehrt Zusammenarbeit.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie sieht Ihre Rolle dabei aus?
Meine wichtigste Aufgabe in den letzten Jahren war es, genau diesen Produktionsverbund zu formen und die Vernetzung zwischen den Standorten zu stärken. Das Ergebnis ist ein mittlerweile veritabel zusammengeschweißter Produktionsverbund, in dem jeder seine Stärken hat und diese auch in das Netzwerk einbringt.
Die Kunst liegt darin, Kooperationen zu stärken, aber natürlich auch den sportlichen Wettbewerb zuzulassen. Gerade wenn Sie wie beim Baukastenmotor vier Produktionsstandorte haben, die sehr ähnlich sind, dann liegt es mit Blick auf die Optimierung nahe, einen sportlichen Ehrgeiz zu zeigen, dieses System weiter zu entwickeln. Entscheidend ist, das Wissen zu teilen und ganz schnell auch woanders hin zu transferieren. Bei Innovationen setzen wir auch auf die guten Ideen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wenn eine Lösung aus einem Standort ins gesamte Produktionsnetzwerk ausgerollt wird, ist der betreffende Kollege oder die Kollegin zu Recht stolz. Das ist eine enorme Stärke in einem Baukastensystem, auch auf der Produktionsseite. Und ganz nebenbei macht das auch Spaß.

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