Stefan Bratzel, Direktor Center of  Automotive Management (CAM)

Stefan Bratzel, Direktor Center of Automotive Management (CAM): "Es ist eine
Herkulesaufgabe, bei der Batteriezelle in eine führende Position zu kommen. Aber es ist absolut notwendig, das zu erreichen." (Bild: Center of Automotive Management)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Professor Bratzel: Wenn Sie auf die bisherige Marktentwicklung 2018 blicken, wie würden Sie das Jahr einordnen?
Bratzel: Zunächst einmal mit der Feststellung, dass sich die Automobil-Konjunktur in einer Hochphase befindet. In den USA gab es zuletzt kleine Ermüdungserscheinungen, ebenso wird immer wieder orakelt, wie lange und wie stark China noch wächst. Dabei darf man nicht übersehen: das sind Märkte, die über Jahre sehr gut gelaufen sind und dieses hohe Niveau nun weiter halten. Nicht zu vergessen Europa, wo es gut läuft.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Dennoch ist es ja ein bisschen wie in der Politik. Die gefühlte Lage ist deutlich schlechter als die Wirklichkeit. Wie kommt das?
Ich würde sagen, dass es schon eine Diskrepanz im Moment gibt. Das hängt zum einen natürlich daran, dass es zwar schön ist, wenn man im Hier und Jetzt Milliardengewinne einfährt. Damit ist aber längst nicht gesagt, wer bei den großen Transformationsthemen auf dem richtigen Weg ist. Zum anderen ist da die spezielle Art wie die Autoindustrie in Deutschland diskutiert wird.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist daran speziell?
Ich denke schon, dass neben den eindeutig zu verurteilenden Betrügereien und dem Ausnutzen von Graubereichen bei Abgasgrenzwerten in Deutschland etwas zu stark in Vergessenheit gerät welch enorm hohe Bedeutung die Autoindustrie für den Standort Deutschland hat. Die hohen Gewinne und die große Nachfrage die wir auf den globalen Märkten nach deutschen Fahrzeugen erleben, ist eben auch Ergebnis von gelungener Innovation und auch von sehr guter Arbeit, was Produkt- beziehungsweise auch Prozessinnovationen anbetrifft. Und das muss man sich bei aller berechtigten Kritik schon vor Augen beim Umgang mit der Autoindustrie. Diese Erfolge sind nicht selbstverständlich.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und sie werden in Zukunft noch weniger selbstverständlich sein?
Nein, selbstverständlich angesichts der Tiefe des Wandels vor dem die Industrie steht nichts. Erinnert sei an das Beispiel Nokia. 2007/2008 hatte das Unternehmen einen Marktanteil von 40 Prozent und war der Vorzeige-Technologiekonzern schlechthin. Ein paar Jahre später waren sie mit dem Wandel zu den Smartphones weg vom Fenster. Ähnlich ist die Situation in der Autoindustrie jetzt. In den Transformationsthemen steckt enormes disruptives Potenzial.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie gut sind denn die deutschen Hersteller auf die Disruption vorbereitet? Es gibt ja eine Reihe Kritiker, die darauf verweisen, dass die deutschen OEM ihre Innovationskraft im Feld der klassischen Technologien haben, bei Elektromobilität und autonomem Fahren aber den Anschluss zu verlieren drohen gegenüber den in den Markt drängenden Technologieunternehmen.
Das würde ich ganz so nicht unterschreiben. Wir stellen schon zwar schon auch über unsere empirischen Erhebungen fest, dass die deutschen Autobauer den Verbrennungsmotor, auch was Innovationen anbetrifft, noch ein bisschen stärker im Blick haben als die neuen Player. Das liegt aber im Natur der Sache, schließlich wird damit das Geschäft am Laufen gehalten. Da unterscheiden sich die deutschen OEM nicht von allen anderen globalen Hersteller. Ein neuer Player, der keine Historie im Verbrennerbereich hat, muss sich mit diesem auch nicht auseinandersetzen. Warum sollte er auch?

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber passiert denn umgekehrt genug in den neuen Themenfeldern?
Das muss man differenziert betrachten. Ich sehe schon, dass die deutschen Hersteller in vielen neuen Themen sehr gut unterwegs sind. Das gilt für mich auch für das Thema Connectivity, Fahrassistenzsysteme, autonomes Fahren. Wenn man hier die etablierten Player vergleicht, sind die schon vorne mit dabei. Eine Ausnahme würde ich im Bereich rein elektrischer Mobilität machen. Ich würde nicht sagen, dass sie hier hinterher fahren, aber da sind sie eher im Mittelfeld.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Aber sie sind noch nicht zu spät?
Nein, zu spät sicher nicht. Das ist ein wichtiger Punkt, weil das Thema E-Mobilität aus unserer Sicht erst ab den 2020er Jahren erst richtig relevant wird. Aber es gibt Aufholbedarf in wichtigen Bereichen. Zuvorderst im Bereich rein elektrischer Fahrzeuge und da in der Batterietechnologie.

Prof. Dr. Stefan Bratzel

Prof. Dr. Stefan Bratzel ist Direktor und Gründer des unabhängigen Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Nach einem abgeschlossenen Politik-Studium an der FU Berlin und der anschließenden Promotion wurde Bratzel in und um die Automobilbranche aktiv. Hier durchlief der 1967 geborene Wissenschaftler unter anderem Stationen als Produktmanager bei Smart, als Programm Manager Product Line Automotive bei Group3G und als Leiter Business Development Automotive bei PTV. Als Dozent und Studiengangsleiter für Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach und als Direktor des ortsansässigen Auto-Instituts ist Bratzel seit April 2004 tätig.

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