Stefan Bratzel, CAM
Es ist zu befürchten, dass E-Mobilität zu einem
Bedeutungsverlust des Standorts Deutschland
führen wird. (Bild: Claus Dick)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Beim VW-Konzern wird die Batterietechnologie immer noch als Zulieferthema geführt, der Antrieb als OEM-Thema. Ein Fehler?
Zumindest ein Punkt, den man kritisch hinterfragen muss. Fakt ist, dass die Differenzierungsmöglichkeiten im Bereich des Antriebs von Elektrofahrzeugen weit geringer sind als beim Verbrenner. Der Wertschöpfungsschwerpunkt beim E-Fahrzeug liegt bei der Batterie und insbesondere bei der Batteriezelle. Da haben wir strategisches Defizit. Und das liegt eben daran, dass europäische Player das Thema Batteriezelle bislang noch nicht beherrschen. Das ist ein kritischer Punkt, denn es geht nicht nur um Kosten sondern die Zelle und das Funktionieren der Zelle wird ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Wenn man da nicht aktiv ist, läuft man Gefahr in starke Abhängigkeit von den großen Playern aus Korea, Japan und China zu geraten; vielleicht kommen noch Tesla mit Panasonic hinzu. Es ist aus meiner Sicht dringend geboten, den bereits bestehenden Rückstand schrittweise auszugleichen. Das ist aber nicht innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre möglich. Ich denke, dass wir von acht bis zehn Jahren sprechen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bedeutet, dass man jetzt den Grundstein legen muss, um in der nächsten Batteriegeneration wieder dabei zu sein?
Bratzel: Das wäre mein Vorschlag und mein Rat an die Branche: Jetzt stark in die Entwicklung und den Aufbau einer Batteriezellproduktion zu investieren. Das aber nicht jeder OEM für sich, sondern in einer Art konzertierte Aktion zwischen Industrie-Akteuren, ähnlich wie bei Airbus. Denn es stecken erhebliche Risiken in einem solchen Unterfangen. Es ist ja nicht gesagt, dass ein solches Vorhaben erfolgreich ist. Die heute schon starken Player schlafen auch nicht. Dazu kommt ein hohes finanzielles Risiko. Wir sprechen nicht von Investitionen in Millionenhöhe, sonder von Milliardenbeträgen, vermutlich im zweistelligen Bereich. Es ist schon eine Herkules-Aufgabe im Bereich der Batteriezelle in eine führende Position zu kommen. Aber es ist absolut notwendig, will man den Automobilstandort oder Mobilitätsstandort Deutschland/Europa sichern.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Abhängigkeit ist ein schönes Stichwort. Sie haben in einer großen Studie zur Marktpositionierung der OEM die große Abhängigkeit von China unter kritische Faktoren geführt. Was stört sie daran, der Erfolg in China ist doch wesentlicher Faktor für den globalen Erfolg deutscher Marken?
Wenn Volkswagen 40 Prozent seiner Fahrzeuge im chinesischen Markt verkauft, bedeutet das auch ein hohes Verwundbarkeitsrisiko. Der Markt hat in den vergangenen 15, 20 Jahre enormes Wachstum erlebt. Was aber, wenn die Konjunktur ins Stottern gerät? Nehmen Sie den aktuellen Handelskonflikt mit den USA, das könnte durchaus zu wirtschaftlichen Problemen in China führen. Darauf muss man gewappnet sein, dass so etwas passieren kann. Das ist der eine Punkt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Die chinesische Regierung verfolgt eindeutig das industriepolitische Ziel, der eigenen Autoindustrie zu globaler Bedeutung zu verhelfen wie jetzt beim Thema Elektromobilität vor Augen geführt wird. Wie hoch ist das Risiko, dass die globalen OEM irgendwann erkennen müssen, dass sie in China nur geduldet sind?
Der politische Aspekt spielt in der Tat eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ganz klar zielt die Industriepolitik darauf ab, der chinesischen Autoindustrie über die Elektromobilität zu einer führenden Position in China und zu verhelfen. Wir haben es ja erlebt, dass in den letzten Jahren China mit relativ kurzem Vorlauf Regularien mit sehr kurzem zeitlichen Vorlauf erlassen hat und das umgekehrt etwa, bei der Batterieproduktion, ausländische Batterieproduzenten in China massiv in ihrer Entwicklung behindert wurden und man die Zeit genutzt hat, eigene Unternehmen ebenso massiv zu fördern. Es gibt eine Reihe Beispiele, die unterstreicht, dass ein Stück weit vom Goodwill der chinesischen Institutionen. Das wird ein bisschen dadurch gemildert, dass auch China eingebunden ist im Welthandel und sich auch die Chinesen an die Gepflogenheiten des Welthandels halten müssen. Das ist ja das Argument, das Donald Trump ins Feld führt.


AUTOMOBIL PRODUKTION: Höre ich da Lob für den US-Präsidenten heraus?
Es ist nicht alles Humbug und nicht alles weit hergeholt, was Trump sagt. Dass sich China Regeln herausnimmt, die im Welthandel einzigartig sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Und das die chinesische Regierung beim Joint-Venture-Zwang eine Kehrtwende eingeleitet hat, sehe ich durchaus als Ergebnis des wirtschaftspolitischen Kurses von Donald Trump. Wobei der US-Präsident weder mit der von ihm gewählten Rhetorik noch mit der Politik der Strafzölle ein Vorbild für den Welthandel ist.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie haben gerade gesagt, dass die globalen OEM aufpassen müssen, in China nicht erpressbar zu werden. Aber sind sie das nicht längst angesichts der Bedeutung Chinas für die Autoindustrie. Dieter Zetsche muss sich ja schon für eine Werbung mit einem Spruch vom Dalai Lama in den Staub werfen, um den Absatz von Mercedes in China nicht zu gefährden.
Bis zu einem gewissen Grade ist das so. Man kommt an China nicht vorbei. Da wird viel Geld verdient, es ist ein Riesenmarkt, aber auch ein autoritär geführtes Land, entsprechend muss man sich den dortigen Bedingungen anpassen, wenn man dabei sein will. Da kann man nun lange diskutieren, Fakt ist, dass es sich kein globaler OEM und kein Zulieferer leisten kann, nicht in China zu sein. Umso wichtiger ist es, sich die Risikofaktoren bewusst zu machen und sich strategisch so flexibel aufzustellen, um nicht zu erpressbar zu sein durch eine zu große Abhängigkeit von China.

Grafik Innovationen CAM
Im Ranking der innovationsstärksten Premiumhersteller liegen BMW, Mercedes und Audi vorn. Aber Newcomer wie Tesla und NIO rücken immer näher. Quelle: CAM

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie haben eben kritisch die 40 Prozent Absatzanteil von VW in China erwähnt. Von welchem Hersteller würden Sie denn sagen: hier stimmt die globale Marktverteilung?
Ich denke, am ehesten Toyota, auch Hyundai hat eine relativ gute Mischung auf den globalen Märkten mit einer relativ gut balancierten Marktpositionierung in allen Weltregionen. Toyota hat ein gewisses Übergewicht in den USA. Ansonsten sind die Japaner relativ ausgeglichen unterwegs bis hin zu Südostasien, wo sie stark sind.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und von den Deutschen?
Da sticht das starke Position des Volkswagen-Konzerns in China heraus. Das ist so lange positiv, so lang dieser Markt sehr stark ist. Wenn es dort aber Problem geben sollte, dreht sich diese Stärke relativ schnell ins Negative. Die 40 Prozent Absatzanteil in China beinhaltet eindeutig ein Risiko. Bei Daimler und BMW hält sich das vergleichsweise noch im erträglichen Bereich. Beide verkaufen etwa 25 Prozent ihrer Fahrzeuge in China. Das passt noch. Für den Volkswagen-Konzern wäre es aus meiner Sicht schon geboten, insbesondere Nordamerika zu stärken, um die Rolle Chinas etwas zu kompensieren.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Im Schatten der wachsenden China-Dominanz kommt das Europa-Geschäft wie ein Beifang daher. Dennoch haben die deutschen OEM eine hohe Entwicklungs- und Fertigungstiefe in Deutschland. Wird der Produktionsstandort Europa vor dem Hintergrund der Elektromobilität, die ja ein noch höheres Maß an Lokalisierung verlangt, leiden?
Es ist zu befürchten. Es gibt ja seit zehn, 15 Jahren die Entwicklung, Fahrzeuge dort zu bauen, wo man diese verkauft. Davon ausgehend, dass China der führende Elektroautomarkt der Welt werden wird und die globalen OEM mit chinesischen Batteriezell-Produzenten zusammen arbeiten müssen, wird das dazu führen, dass noch mehr in China gefertigt wird. Das wird ein stückweit zu Lasten der Produktion in Deutschland gehen. Denn gerade die Premiumhersteller haben einen noch relativ hohen Exportanteil nach China. Das wird durch die E-Mobilität schrittweise weniger werden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Und umgekehrt auf den Elektro-Trend blickend: wird es chinesischen Autobauern gelingen, über das Thema global Fuß zu fassen?
Die Chancen stehen nicht schlecht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welchen chinesischen Autobauern trauen Sie hier am meisten zu?
Geely wird hier sicher eine Rolle spielen, wobei die Zhejiang Geely Holding über Volvo ja bereits global unterwegs ist. Die größten Chancen bei den bislang rein chinesischen Unternehmen sehe ich bei BYD und BAIC. Wer sich von den Startups durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Nio und Byton haben schon tolle Technologien, was sie in unserer jüngsten Innovations-Studie relativ weit nach vorne gebracht hat. Ob sie ihre Ideen auf die Ebene der industriellen Produktion transportieren können, ist noch nicht raus. In jedem Fall eröffnet sich durch Transformation der Branche die Chance, dass sich neue Akteure als globale Player positionieren und gegen die etablierten Player auch Marktanteile gewinnen können.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wird Tesla am Ende zu diesen neuen Global Playern gehören?
Das ist aus meiner Sicht Stand heute noch unheimlich schwer zu beurteilen. Ich glaube, dass die Marke Tesla Bestand haben wird. Aber wer künftig bei Tesla das Sagen haben wird? Das ist völlig offen, vielleicht steigt ja Apple groß ein. Tesla könnte auch in anderen Herstellern aufgehen oder Elon Musk schafft es tatsächlich, die Marke unabhängig zu halten. Ich habe immer gesagt, der Lackmus-Test wird das Massenmodell Tesla 3 sein. Und das wissen wir heute noch nicht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist birgt vorausblickend die größte Unwägbarkeit, wenn Sie auf das Jahr 2019 schauen, ist es der Handelskonflikt?
Der Handelskonflikt birgt in der Tat erheblichen Sprengstoff. Wenn sich das hochschaukelt, dann haben wir ein ganz großes Problem. Ein Ausufern des Handelsstreits könnte sich negativ auf die chinesische Wirtschaft auswirken.

AUTOMOBIL PRODUKTION: 2019 wird das Jahr 1 der NEV-Quote. Wird es durch diese schon im ersten Jahr Verwerfungen geben oder wird das Thema erst in den folgenden Jahren spannend?
Ich glaube eher letzteres. Das Thema haben die meisten Hersteller im Blick. Das ist identifiziert. Es sind ja eher die Verbrauchsthemen, die vielleicht noch drastischer sind als die Quote im ersten Jahr. Aber in den Folgejahren könnte das schon ein sehr relevantes Thema werden, vor allem wird interessant werden, etwa was die elektrische Reichweite von Plug-in-Hybriden anbelangt. Und ein für China wichtiges Thema ist die Infrastruktur. Das Fördern und Einfordern von Elektromobilität ist ja nur die eine Seite. Die andere ist der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur. Da hat China noch einige Herausforderungen zu stemmen, will man sich nicht den Unmut der Elektroauto-Käufer zuziehen.

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