beyond HMI, Herr Rößter

"Die Menschen wollen Informationen überall zugänglich haben. Sie finden sich nicht damit ab, dass ihr digitales Leben endet, nur weil sie in ein Auto einsteigen." (Bild: beyond HMI)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Dr. Rößger, was macht beyond HMI?
beyond HMI ist ein strategischer Partner in den Bereichen HMI, Usability und User Experience. Eine Seite dabei ist es, Wissen zu erzeugen, zu sammeln und Studien, wie auch Marktanalysen zu erstellen. Es geht zum Beispiel um Datenerhebung in Märkten und bei speziellen Zielgruppen. Oder um Usabilitystudien und -analysen. Der zweite Bereich ist Wissen zu verteilen, es nutzbar zu machen. Dies in Form von Reports, die spezifisch für Kunden angefertigt werden, wenn die etwa Einblick in einen speziellen Markt suchen. Ich schaue dann auf gesellschaftlichen Tendenzen, technologische Entwicklungen und auf Trends in der Fahrzeugindustrie und schreibe einen Report. In dem sage ich einem Kunden etwa: Hier stehst du, dies sind die Lücken in deinem Portfolio und das musst du noch hinzunehmen, um dich auf die nächste Stufe weiter zu entwickeln. Hinzu kommen Bücher, Online Kurse, Workshops und Vorträge. Ein weiterer Block ist dann das Nutzen dieses Wissens, HMIs und Konzepte zu entwickeln und die Implementierung zu begleiten, Ideen in eine Software, in ein Produkt, in einen Service umzuwandeln, der dann Nutzern zur Verfügung steht. Meine Interessenlage und Leidenschaft ist in etwa 80 Prozent Autoindustrie und 20 Prozent andere Dinge - wie Transportation, Industrie 4.0 und Software-Produkte.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was zeichnet eine gute HMI aus?
Natürlich gibt es ISO-Normen und Checklisten und bestimmte Experten - wie etwa einen Donald Norman -, die erklären, wie HMI aussehen muss. Eine gute HMI zeichnet sich für mich dadurch aus, dass sie dem Nutzer das Gefühl gibt, dass er die Kontrolle hat. Für mich ist das absolut entscheidend! Wenn ein Nutzer mit einer Technologie, einem technologischen Artefakt arbeitet und das Gefühl hat, es ist schlauer als er, dann ist es eine schlechte HMI. Wenn er jedoch sagen kann „ich habe die Kontrolle, ich beherrsche das und sitze im Fahrersitz der Interaktion“, dann haben wir es mit einer guten HMI zu tun. In einem nächsten Schritt kann man dann über verschiedene Dinge diskutieren, wie etwa Screen- und Interaktions-Designs und über Eingabe-, Ausgabemodalitäten, oder die Positionierung im Fahrzeug und das Thema Fahrerablenkung und Fahrerermüdung. Alles Themen, die sich direkt aus der Kontrolle, die der Nutzer über das Artefakt hat, ableiten lassen.

HMI Experte. HMI Guru. HMI Punk.

Peter Rößger (52) studierte Maschinenbau und Psychologie und promovierte an der TU Berlin. Er bezeichnet sich selber unter anderem als HMI Guru mit 25 Jahren
Expertise in der HMI-Entwicklung. Berufliche Stationen führten ihn vom Zentrum-Mensch-Maschine-Systeme der TU Berlin zur Daimler AG, zu Harmann Automotive sowie zur TES Electronic Solutions. beyond HMI gründete er 2015.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie fordern, dass Entwickler bei Produkten und Services den Menschen in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns stellen sollen. Welche Methoden sollen dazu eingesetzt werden?
Eine HMI-Entwicklung hat drei grobe Schritte. Der erste ist die Analyse. Hier schauen wir, wer ist das Zielpublikum, welche Funktionen sind da, wer nutzt die in welchem Kontext, was sind die Aufgaben, die mit einem bestimmten Artefakt gelöst werden müssen? Im Fahrzeug etwa die Navigation oder eine Primärfunktion, wie ein digitales Clusterinstrument. Dann gilt es die Märkte zu betrachten, zu fragen, ob ein Fahrzeug weltweit verkauft wird und welche Ländervarianten es gibt. Und dann gibt es den juristischen Bereich mit den wichtigen Rahmenbedingungen, mit ISO-Normen, Guidelines. Meistens gehört es auch dazu, etwas zu benchmarken und zu schauen, was gibt es denn bei anderen und welche Vorgängerprodukte gibt es? Ich habe es bislang nur ein Mal erlebt, dass ich eine HMI auf einem komplett weißen Papier entwerfen konnte.

Wenn man diese Analysephase abgeschlossen hat, geht man in die kreative Phase, in die Erschaffens-Phase. Dann erschafft eine HMI z.B. auf Basis einer Persona. Die bekommt einen Namen, ein Alter, einen Beruf, Hobbies: Sagen wir Karl-Heinz, 67 Jahre alt, frisch pensioniert; von der letzten Abfindung kauft er sich ein dickes Auto mit Navigationssystem. Was macht er damit eigentlich? Wie oft nutzt er das technologische Artefakt? Was ist sein mentales Modell vom System? Man lässt nun Aspekte der Marktforschung, generisches Wissen einfließen. Man kann ein Brainstorming betreiben. Das führt meistens zu einer Feature-Explosion. Oder man setzt auf Systematic Innovative Thinking - das genaue Gegenteil. Eine Art des Denkens, alles stark zu reduzieren, um auf den Kern des Produktes zu kommen. Dann beginnt die Arbeit mit allgemeinen Handskizzen, Story-Boards, man skizziert einen Menübaum. In dieser Phase kann man Leute reinholen, um zu diskutieren und Feedback zu erhalten. Ein frühes Usability Feedback. Dann wird es immer konkreter, es fließen Aspekte aus Usability-Tests mit ein, bis man am Ende zu Themen gelangt wie der Spezifikation, der Erstellung von Grafiken, zu Fragen des Toolings, des Prozesses und des Vorgehens. Verbunden mit der Frage: reichen 30 Seiten Foliensatz oder braucht man 1500 um das Thema so zu spezifizieren, dass man es Implementieren kann? Die Implementierung ist dann die dritte Phase, in der das Ganze in eine Software, in eine Hardware, in ein Produkt gegossen wird.

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