AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie sprechen vom Wandel von der Mensch-Maschine-Interaktion hin zur Mensch-Maschine-Kooperation, die immer größere Daten produziert und daher der computergestützten Datenanalyse, dem Data Mining, bedarf. Demnach werden immer neue Funktionen möglich, andererseits aber auch eine Bedrohung der Privatsphäre …
Das Fahrzeug wird zunehmend zum Datenproduzenten. Non-connected, not online - diese Zeiten sind vorbei! Das Auto ist heute eine unglaubliche Datensammelmaschine. Um diese Daten auch und gerade über eine riesige Anzahl von Fahrzeugen und Fahrern zu analysieren und das Wissen nutzbar zu machen, braucht es Big Data-Algorithmen, entsprechende Analyseverfahren und Software, die dabei helfen, daraus Wissen zu generieren. Ein Wissen, das im Übrigen extrem verblüfft, da man mit ihm Verbindungen zwischen Dingen herstellen kann, die auf den ersten Blick überhaupt nicht verbunden zu sein scheinen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein Beispiel?
Aus einem bestimmten Fahrverhalten kann man schießen, ob eine Frau schwanger ist oder nicht. Das große Unternehmen zur Vermittlung von Fahrdienstleistungen hat mit Big Data Fremdgehkarten erstellt. Wo wird wann am meisten fremdgegangen. Aus riesigen Datenmengen schälen sich Individuen heraus, Daraus ergibt sich das Ende des Mittelwertes, das Ende des Mittelmaßes, das Ende des Durchschnitts, denn nun kann man alles spezifisch an den jeweiligen Menschen anpassen. Auf der anderen Seite handelt es sich dabei um einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre. Jeder muss für sich selber entscheiden, wie er damit umgeht. Ganz aus diesem Thema kann sich heute aber keiner mehr herausnehmen. Das HMI kann dabei Services bieten, die auf Big Data beruhen. Und die muss man im Fahrzeug anzeigen. In Form spezieller Icons auf der Karte, spezieller Listeneinträge, in der Menüsortierung. Ich sehe da keine unüberwindbaren Hürden mit den Werkzeugen und Mitteln, die wir heutzutage haben.

beyond HMI, Rößger
„Das gesamte Armaturenbrett wird zur Display-Area und da gibt es im Prinzip kaum noch Platz für mechanische Interaktionselemente.“ (Bild: beyond HMI)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Die heranwachsende Generation der „Digital Natives“ stellt zunehmend andere Anforderungen an ein Auto. Gehört die Zukunft den Displaysteuerungen und Apps?
Wahrscheinlich ja. Wir haben es mit mehreren Tendenzen zu tun, die parallel laufen. Die eine ist, dass die Digital Natives sehr stark an ihren persönlichen Devices hängen. Digitale Nomaden arbeiten und leben ortsunabhängig. Sie haben ihr Tablet oder Smartphone und da ist alles drauf. Informationen sind allgegenwärtig, sie liegen auf einem zentralen Server, in Clouds, bei entsprechenden Firmen. Die Herausforderung ist, dass die Menschen Informationen überall zugänglich haben wollen. Einfach gesagt: Sie finden sich nicht damit ab, dass ihr digitales Leben endet, nur weil sie in ein Auto einsteigen. Verschärfend kommt die Bewegung zur Sharing Economy hinzu: man besitzt kein Auto mehr, sondern möchte einfach nur Mobilität haben, in Form öffentlicher Verkehrsmittel, von Carsharing. Und in all diesen Nutzungskontexten möchte die junge Generation gerne ihre Daten verfügbar haben. Dementsprechend möchte man auch die HMI vorfinden - mit eigenen Funktionen, vorkonfiguriert, personalisiert dargestellt. Das wird sowohl die Fahrzeugelektronik-Architektur als auch die gesamte HMI-Entwicklung schwer beeinflussen. Wir werden HMIs entwickeln müssen, die für die gesamten Nutzungskontexte, in denen sich Digital Natives bewegen, gleichermaßen geeignet sind.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sehen Sie sich dabei als eine Art Mittler zwischen den Welten OEM - Zulieferer und den Anbietern aus der Welt der Consumer Elektronik?
Ja, die Brücke zu bauen und auch den Blick zu weiten. Und die strategischen Herausforderungen zu erkennen, die sich dahinter verbergen, wenn super schnelle App-Entwickler plötzlich auf eher langsame Automobil-Entwickler mit ganz anderen Innovationszyklen und Prozessen treffen. Ich denke, dies ist eine Rolle, die beyond HMI heute bereits einnimmt und in Zukunft vermehrt einnehmen wird.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wenn man den Siegeszug von Displays und Displaysteuerungen beobachtet, kommt man zum Schluss, dass Hersteller mit einem klassischen Portfolio an Schaltern und Reglern aussterben werden.
Definitiv. Das wird kommen. Wir werden sicher noch einige haptische mechanische Schalter im Fahrzeug haben. Deren Anzahl wird jedoch ganz stark zurückgehen. Wenn man alleine die Fahrzeug-Konzepte anschaut, wie sie etwa auf der CES zu sehen waren, stößt man überall auf interaktive Bildschirme. Das gesamte Armaturenbrett wird zur Display-Area und da gibt es im Prinzip kaum noch Platz für mechanische Interaktionselemente. Ich würde den entsprechenden Firmen daher empfehlen, sich in der neuen digitalen Welt zurechtzufinden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist mit HMI für die zunehmend alternde, westliche Gesellschaft? Ist sie ein Auslaufmodell, oder liegt in ihr nicht auch ein erhebliches Produkt-Potenzial?
Wenn wir beide alt sind, dann werden wir nicht die Alten sein, wie es sie heute gibt. Denn wir sind nicht mehr wie unsere Eltern. Wir haben alle bereits unsere Windows-Erfahrungen, unsere Erfahrungen mit Apple und Android gemacht und die bleiben uns. Ja, wir werden Einschränkungen erleben, wie etwa durch Altersweitsichtigkeit. Aber genau da sehe ich die Stärken der displaygestützten und digitalen HMI-Welt, weil wir mit ihr Anpassungen vornehmen können, wie etwa im Display nur noch wenige Menüpunkte und eine größere Schrift. Ein Problem haben sie doch immer dann, wenn sie ein Produkt altengerecht gestalten. Solche Produkte sind uncool. Die wird keiner kaufen wollen. Denken Sie nur an diese altengerechten Handys und Telefone, die keiner haben will. Wenn sich aber bestimmte Dinge automatisch anpassen, ist das wiederrum ein Coolness-Faktor, der positiv belegt ist. Dies wird definitiv kommen und es werden uns natürlich dann auch Themen wie display- oder App-gesteuerte HMIs ganz erheblich helfen.

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