Klaus Zehender, Einkaufsvorstand Mercedes-Benz Cars

Klaus Zehender, Einkaufsvorstand MBC: "Wir brauchen jetzt die Partner, die 2020/21 nicht nur die Innovationen auf die Straße bringen, sondern auch in der von uns geforderten Qualität." (Bild: Daimler)

Herr Dr. Zehender, der Mobilitätswandel beherrscht die Schlagzeilen in der Automobilindustrie. Wie viel von dieser Zukunft, die bei Daimler unter den vier strategischen Säulen CASE (Connectivity, Autonomous, Shared & Services und Electric) zusammengefasst ist, kommt bei Ihnen als Einkaufschef bereits an?
Sehr viel. Wir leben das Thema ja heute schon. Wir kaufen jetzt ein, was wir erst in vier Jahren in unseren Fahrzeugen sehen. Unsere Einkäufer und Qualitätsingenieure müssen jetzt die Trends der Zukunft erkennen. Das macht dann eine neue S-Klasse oder die Fahrzeuge unserer neuen Produkt- und Technologiemarke EQ aus. Das heißt, wir wählen heute die Lieferanten aus, die diese Innovationen dann gemeinsam mit uns entwickeln.

Das heißt, die Mobilitätszukunft ist in ihrem Alltag bereits Gegenwart?
Beruflich betrachtet lebe ich im Jahr 2021 und 2020 ist fast schon Vergangenheit. Wir brauchen jetzt die richtigen Partner, die dann nicht nur die Innovationen auf die Straße bekommen, sondern auch in der von uns geforderten Qualität.

Wie darf ich mir das in der Praxis vorstellen?
Nehmen Sie das Beispiel Displays. Wie sehen diese zukünftig aus, welche Lieferanten können uns andere geometrische Formen als das einfache Rechteck anbieten und auch andere Technologien wie OLED darstellen? Dafür sind wir weltweit unterwegs, gehen nach Korea, gehen nach China und sprechen mit verschiedenen Lieferanten, wie LG und Samsung. Zweites Beispiel autonomes Fahren: Hier ist der Einkauf zurzeit unterwegs, die Hochtechnologie-Komponenten des autonomen Fahrens zusammenzustellen. Da reden wir mit Prozessor-Lieferanten wie Intel, Nvidia. Ohne diese Rechenleistung fährt kein Fahrzeug zukünftig autonom. Kameras sind ebenfalls ein Riesenthema: Wir brauchen verschiedenste Kameras, Sensorik und die neue Lidar Technologie, 360 Grad Rundumerkennung usw. Für diese Technik brauchen sie hoch innovative Partner. Und das nicht in zwei, drei oder vier Jahren, sondern jetzt.

Bei den Technologien, für die Sie jetzt auf Sourcing-Pirsch gehen, ist ja vielfach noch nicht klar, welche sich letztlich durchsetzen wird. Sie können aber nicht einkaufen, was man am Ende nicht braucht. Wie handeln Sie das?
Das steuern wir durch flexible Vergaben. Wir sourcen die Komponenten der Elektrofahrzeuge von denselben Lieferanten, von denen wir auch die klassischen Komponenten beziehen. Ein Beispiel: Die Displayumfänge. Das heißt, wenn sich Volumenschwankungen ergeben, können wir innerhalb einer Teilegruppe zwischen Verbrenner und Elektrofahrzeug atmen. Das bringt einmal Flexibilität, zum anderen aber auch entsprechende Skaleneffekte beim Volumen.

Bedeutet letztlich aber, dass der Zulieferer beides bedienen können muss.
Ja. Es gibt natürlich Komponenten, die es nur in Elektrofahrzeugen gibt. Alle anderen Komponenten, die unabhängig vom Antrieb eingesetzt werden können, wie beispielsweise Türverkleidungen, sollten vom selben Lieferanten kommen. Diese Flexibilität hilft uns und dem Zulieferer.

Aber nehmen wir das Beispiels Sitze/Innenraum: Wenn man auf das Thema autonomes Fahren blickt, dann ergeben sich ja ganz andere Möglichkeiten, was die Innenraumnutzung des Fahrzeugs anbelangt. Die bisherige Struktur wird aufgelöst, dazu kommen integrierte technologische Lösungen. Das sind Themen, wo Sie Ihre Supplier bereits haben?
Selbstverständlich. Die Vergaben für die nächsten Fahrzeug-Generationen laufen bereits. Und ja, wir versuchen, diese zwischen den klassischen Fahrzeugen und den kommenden Elektrofahrzeugen zu bündeln. Das hat für den Lieferanten Vorteile, weil er entsprechende Skaleneffekte erzeugen kann – nicht nur in der Produktion, sondern möglicherweise auch in der Entwicklung. Und für uns hat das genau die gleichen Vorteile. Selbst wenn beispielsweise die Sitze eine andere Form oder Oberfläche haben, bedeutet das nicht, dass sich die innere Sitzstruktur grundsätzlich unterscheiden muss.

Zur Person: Dr. Klaus Zehender

ist seit März 2014 Mitglied des Bereichsvorstandes Mercedes-Benz Cars, Einkauf & Lieferantenqualität – so der offizielle Titel. In dieser Rolle ist der kürzlich 50 gewordene Manager nicht nur erster und wichtigster Ansprechpartner für die Lieferanten, er ist auch oberster Hüter der Qualitätsstandards. Diese Aufgabe nimmt Zehender mit der Ernsthaftigkeit eines Gralshüters wahr. Der Schwabe mit McKinsey-Vergangenheit, bevor er 1996 zu Daimler kam, ist diplomierter Wirtschaftsingenieur und hat an der Universität Stuttgart in Betriebswirtschaft promoviert.

Machen die CASE-Themen Ihr Geschäft sehr viel komplizierter als es jetzt ist?
Eigentlich nicht. Wir bringen seit 130 Jahren Innovationen in unsere Fahrzeuge. Der Einkauf hat immer die gleiche Rolle, so jetzt auch für die CASE-Themen. Wir finden die richtigen Player für die kommenden Innovationen und machen sie fit für die Serienqualität.

Aber dort kommen völlig neue Dinge hinzu, Software, Apps…
Keine Frage. Da geht es für uns ganz stark darum, die Qualität immaterieller Dinge wie Software und Apps abzusichern. Zur Qualitätssicherung bei der Entwicklung von Software haben wir einen Methodenkoffer entwickelt – als erster OEM überhaupt. Das heißt, wir versuchen das Thema Software-Entwicklung in der gleichen Weise qualitativ zu steuern, wie wir das auch von den physisch greifbaren Teilen gewohnt sind, nach einem standardisierten Auditierungsprozess zusammen mit den Lieferanten.

Entwickeln Sie das aus sich heraus oder gehen Sie da auf Softwareunternehmen zu, die das machen?
Software ist ja nichts prinzipiell neues, nur die Intensität nimmt zu. Deswegen bauen wir natürlich mehr Kompetenz in diesem Thema auf. Wir nutzen das Know-how unserer IT-Dienstleister und Lieferanten, aber der Auditierungsprozess wird von uns vorgegeben.

Steht der schon?
Für die Head-Units gibt es bereits hinterlegte Prozesse und für unsere neuen Software-Generationen sind wir schon sehr weit beim Aufbau entsprechender Software-Audits.

Sie möchten gerne weiterlesen?