Schafflers Technikchef Peter Gutzmer im Interview

"Wer erst jetzt anfängt, sich tiefergreifend mit Elektromobilität zu befassen, für den könnte es eng werden", so Schafflers Technikchef Peter Gutzmer im Interview für die Sonderausgabe "Top 100 Automotive Suppliers 2017". (Bild: Max Etzold/Schaeffler)

Herr Prof. Gutzmer, wann hat man bei Schaeffler zum ersten Mal realisiert, dass der sich jetzt abzeichnende Mobilitätswandel tiefer greifen könnte, als das jemals zuvor der Fall war und wie ist das Unternehmen damit umgegangen?
Da möchte ich in zwei Stufen antworten. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass es „Klick“ macht und man legt den Schalter um. Ganz grundsätzlich ist es bei Schaeffler – wie auch bei unseren Wettbewerbern – Teil der strukturellen Arbeit, sich permanent damit zu beschäftigen, wie sich Märkte und Umfeld aufgrund von sozialen, politischen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen verändern. Das ist die eine Welt. Schon in dieser ist viel Vorausentwicklungsdenken und -handeln gefragt. Zum zweiten fördern wir konsequent und systematisch kreative Ideen und Projekte, die außerhalb unseres aktuellen Produkt- und Angebots-Portfolios rangieren.

Und ab wann mündet dieses Umfeld-Scanning in konkretes Handeln?
Das läuft im Prinzip parallel. Bei der Schaeffler-Marke LuK beispielsweise beschäftigte man sich seit Ende der 90er Jahre mit der Entwicklung von Hybridlösungen. Auslöser waren zwei Ereignisse: Zum einen die freiwillige Vereinbarung zur Absenkung des CO2-Ausstoßes. Und zweitens die Erkenntnis, dass Toyota eine Hybrid-Lösung an den Markt bringen wird. Konkret kann diese Vor-Phase bis zu den ersten Serienprojekten bis zu zehn Jahre – in Einzelfällen auch länger – dauern.

Sie sprechen vom Prius 1, der von Toyota im Jahr 2000 auch außerhalb Japans eingeführt wurde. Was hat das Modell so wichtig aus Ihrer Sicht gemacht?
Das war schon eine einschneidende Geschichte. Stellen Sie sich vor: Da kommt ein Fahrzeug, das möglicherweise gar keine Kupplung mehr braucht und damit ein zentrales Produktfeld von uns verändert oder sogar ganz in Gefahr bringt. Da liegt es doch in der Verantwortung der Führung des Unternehmens, sich permanent einer solchen Aufgabenstellung in aller Ernsthaftigkeit anzunehmen. Schließlich haben wir Verantwortung, den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und die Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern. Wir haben das bereits Anfang 2000 getan, um bei dem Beispiel Hybrid zu bleiben, indem wir mit Kunden bewusst auch andere Formen von Hybridtechnologien entwickelt haben. Seither fokussieren wir sehr stark auf das Thema „Elektrifizierung des Antriebes“. Und wir haben uns kontinuierlich weiterentwickelt und systematisch Wissen aufgebaut, zum Beispiel auch durch eine größere Anzahl von Konzeptfahrzeugen. Angesichts der deutlich wachsenden Bedeutung des Umweltthemas war uns früh klar, dass dies in einen großen Mobilitätswandel münden könnte. Das zahlt sich jetzt aus.

Wie ist bei Schaeffler so ein Prozess organisiert. Läuft so eine Entwicklung wie Ihr Ur-Hybrid im Rahmen der bestehenden F&E-Strukturen ab oder haben sie eine Art Elite-Truppe, die sich permanent mit Zukunftsthemen befasst?
Als ich 2001 zu Schaeffler kam, hatten wir so etwas, das Sie als "Elite-Truppe" bezeichnen, noch nicht. Was wir aber hatten, waren begabte Leute und auch kleinere kreative Gruppen, die sich mit solchen Zukunftsthemen befassten. Inzwischen haben wir konsequent ein Innovationsmanagement aufgebaut, das systematisch Marktanalysen betreibt, die sich mit dem Thema Zukunft aus verschiedenen Sichtfeldern intensiv beschäftigt und die daraus dann Strategievorschläge und Konzepte entwickelt. Diese werden dann parallel in einer weiteren Organisationseinheit, nämlich der Gruppe der kreativen Erfinder, in konkrete Produktideen umgesetzt. Diesen Prozessablauf haben wir vor gut zehn Jahren konkret etabliert und seither konsequent weiterentwickelt.

Zur Person: Prof. Dr. Peter Gutzmer

Peter Gutzmer kam 2001 von Porsche zu Schaeffler und übernahm dort zunächst die Geschäftsleitung für den Bereich Technische Produktentwicklung. Von 2002 bis 2006 war er außerdem Vorsitzender der Geschäftsleitung der LuK in Bühl. Von 2009 bis 2011 übernahm er erneut eine weitere Verantwortung und leitete den Geschäftsbereich Motorsysteme im Bereich Powertrain bei der Continental AG. Mit der Umfirmierung zur Schaeffler AG im Jahr 2011 wurde er zum Vorstand Technologie berufen. Im Juni 2014 wurde der aus Leonberg stammende Manager zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Schaeffler AG bestellt. Der 63-Jährige ist seit 2004 Lehrbeauftragter und Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

In Ihrer Organisationsstruktur gibt es nach dieser Aufbauarbeit keine Sparte Elektromobilität. Warum nicht?
Da haben wir eine ganz pragmatische, praxisorientierte Entscheidung getroffen. Ja, wir hatten die ersten rund 500 Mitarbeiter, die bis in die Jahre 2010-2012 Elektromobilität aufgebaut haben, weitgehend zentral organisiert. Das war unser Systemhaus E-Mobilität. Es lag unter meiner Verantwortung und diente uns zum Aufbau von Konzepten und Kompetenzen. Die große Aufbauarbeit ist nun abgeschlossen, nun sind wir erfreulicherweise in der Industrialisierungsphase. Da die Lösungen und Produkte für die E-Mobilität nah am Getriebe stattfinden, haben wir die Themen in die dafür bestehende Division delegiert, dort ist unsere gesamte Industrialisierungskompetenz gebündelt. Ergänzend haben wir übergreifende Kompetenzen für Fahrzeugkonzepte und Antriebssysteme geschaffen.

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