AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Giesler, auf der CES hat Elektrobit anhand von Modellautos das autonome Fahren gezeigt. Unterstützt wurden die Fahrzeuge lediglich von Ultraschallsensoren. Die Intelligenz dahinter steckt in der so genannten EB robinos Software. Was leistet die?
EB robinos ist eine Komponenten-Softwarearchitektur für das hochautomatisierte Fahren. Der Grundgedanke ist, dass Architekturen für automatische Systeme in der Robotik bereits seit 1985 in den Lehrbüchern stehen und ein alter Hut sind. Das heißt, jeder der automatisiertes Fahren macht, baut eine irgendwie ähnlich geartete Architektur auf, niemand legt sie aber offen. Dies halten wir für einen Fehler. Wenn in der Architektur selber kein Mehrwert steckt, dann steckt zumindest die Information drinnen, was man tun muss, um ein automatisch fahrendes Auto sicher zu machen. Die Fragen lauten: Welche Redundanzen und welche Verarbeitungsschritte muss ich einbauen? Wir wären gerne in der Lage, mit der Industrie und auch mit den Gesetzgebern auf einem deutlich technischeren Level als aktuell zu diskutieren. Mit EB robinos legen wir eine solche Architektur offen, etablieren damit einen Quasi-Standard und bieten der Industrie das Gespräch an. In der Hoffnung, irgendwann gemeinsam einen Standard entwickeln zu können. Wir sind gerade dabei, ein Konsortium aus verschiedenen Firmen aufzubauen, die daran mit uns arbeiten wollen. Wir werden damit 2017 an die Öffentlichkeit gehen.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Geht es dabei auch um Machine Learning? Braucht es nicht eine gänzlich neue Architektur fürs automatisierte Fahren?
Wir glauben, dass es Sinn ergibt, für einzelne Module Machine Learning einzusetzen. Zum Beispiel sind das die Programmteile, die prüfen, in welcher Situation sich das Fahrzeug gerade befindet. Aber es sind nach wie vor Module, und als solche haben sie ihren Platz in der Architektur, ob sie nun von Hand codiert oder durch ein neuronales Netz realisiert sind. Dies ist erst einmal von der Architekturfrage abgekoppelt. Mit Machine Learning kommt man schnell zu sehr guten Ergebnissen, ohne dass man viel dafür programmieren muss. Das System lernt aus wenigen Beispielen zu generalisieren und in Situationen zu handeln, die es noch nicht gesehen hat. Die Frage lautet aber: tut es auch das Richtige? Daher benötigt man immer noch eine Absicherungsebene. Die kann selber auch gelernt sein, aber sie muss redundant sein. Man muss prüfen können, was das Hauptsystem gerade macht, wie ein Fahrlehrer, der neben dem Fahrschüler sitzt. Ich denke, dass Machine Learning einen Platz hat. Ist es aber die Komplettlösung für autonome Fahrzeuge? Persönlich glaube ich das nicht.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Wo gilt es den großen Hebel anzusetzen, um beim automatisierten Fahren weiterzukommen? Ist dies womöglich nur über Kooperationen stemmbar?
Wir arbeiten im Moment typischerweise in Projekten, die viele Unternehmen miteinander verflechten. Gesteuert von einem OEM, einer Reihe von Hardware-Herstellern , also Tier1, auf der ersten Ebene und einer Reihe von Algorithmen-Lieferanten auf der zweiten Ebene. Die Struktur ist im Moment so, dass derjenige, der die Hardware zur Verfügung stellt, die Software integriert. Wenn Sie autonom Fahren möchten, bekommen Sie große Schwierigkeiten, weil es keinen Tier1 gibt, der aktuell das komplette Hardwareportfolio bringen kann - der eine hat keinen Laserscanner, dem anderen fehlt ein Radar. Für uns als Softwarefima bedeutet dies, dem OEM, der die Integrationsarbeit machen muss, zu helfen, indem wir Hardware und Software voneinander trennen. Und anfangen, die Software direkt als Integrationskomponente zu verwenden. Es interessiert ja nicht so sehr, wo die Sensoren sind, es geht vielmehr um Fahrzeugfunktionalitäten, und die werden durch Software dargestellt. Aktuell ist in der Automobilindustrie der Spieß noch umgedreht: Man will bestimmte Funktionalitäten und redet erst einmal über die Sensoren und Steuergeräte, danach erst über die Software. Dies macht uns langsam, teuer und schlecht aufgestellt gegenüber den Teslas und Googles, denen die Software heute schon viel wichtiger ist als die Hardware. Von der Softwareseite einzusteigen, also die Funktionsbeschreibung über die Software auf die Hardware herunterzubrechen, würde uns deutlich schneller machen. Da sind wir als Elektrobit genau an der richtigen Position. Über Software könnten wir sehr viel Geld und Zeit sparen und wir wären deutlich schneller auf dem Markt. Und in der Lage, dem Kunden ein Auto zu geben, das nicht über 15 Jahre hinweg die gleiche Funktionalität bietet - so wie es ein Tesla bereits heute zeigt.