AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Dr. Wendt, als Sie dieser Tage in Brüssel den EFQM Excellence Award entgegengenommen haben, sagten Sie: “Wir tun die richtigen Dinge. Und wir tun die Dinge richtig.” Was also ist besonders charakteristisch für die Organisation und die Produktionsprozesse im BMW Werk Regensburg?
Wir haben vor sechs Jahren die Reise in Richtung Exzellenz angetreten und uns dabei stark am Managementmodell der European Foundation for Quality Management orientiert. Dabei geht es im Kern darum, wie eine Organisation wirtschaftlich erfolgreich bleiben kann und was sie beachten muss, um besser zu werden. Die Auszeichnung mit dem EFQM Excellence Award ist eine wertvolle Anerkennung unserer getroffenen Maßnahmen und eine objektive Bestätigung dafür, unter den Besten zu sein. Sie markiert für das BMW Werk Regensburg einen Zwischenstand auf dem Weg zur Exzellenz – denn diese Reise geht immer weiter. Ausgangspunkt war eine kritische Selbstreflexion. Wir haben uns gefragt, wie wir uns positionieren müssen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein und wie wir Nutzen stiften können für den Konzern. Das hat dazu geführt, dass wir aus eigenem Antrieb viele Anforderungen verschärft, Standards neu definiert und unseren Qualitätsanspruch in den Prozessen der Serienfertigung und in der Anlaufkompetenz deutlich gesteigert haben.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Das EFQM-Modell erweitert also den Betrachtungswinkel für Verbesserungen?
Natürlich geht es um die kontinuierliche Verbesserung der Schlüsselergebnisse. Die Frage ist das “Wie”: Das BMW Werk Regensburg achtet darauf, alle Interessensgruppen ausgewogen und nachhaltig miteinander in Einklang zu bringen. Die Erwartungen von Partnerfirmen, gesellschaftlichen Institutionen und Nachbarn berücksichtigen wir genauso wie die von Mitarbeitern und Kunden. Wir produzieren täglich 1.100 Fahrzeuge und haben trotzdem jeden einzelnen Kunden im Blick. Auswertungen von Indikatoren und Produktionskennzahlen sind das eine – die ganz spezifische Wahrnehmung des Kunden von seinem individuellen Fahrzeug das andere. Mit einer solchen Erweiterung des Betrachtungswinkels fordern und verbessern wir uns Tag für Tag. Wir stellen unsere Prozesse regelmäßig auf den Prüfstand. Wir schaffen die notwendigen Freiräume, um den Bedarf an Verbesserungen zu erkennen und deren Umsetzung zu ermöglichen. Ein Beispiel: Nachdem sich herausgestellt hatte, dass viele Meister mit über 60 Mitarbeitern immer weniger Zeit für den direkten Dialog hatten, wurde die zusätzliche fachliche Führungsebene der Vorarbeiter eingezogen. Sie sind direkter Ansprechpartner am Band, helfen bei Störungen und beim aktiven Verbessern von Prozessen. Die Werte, an denen sich das Management orientiert, sind klar definiert und werden von den Führungskräften vorgelebt. Zu dieser Vorbildkultur gehört, Mitarbeiter zum Mitmachen zu ermutigen, Konflikte zuzulassen und gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was steht im Mittelpunkt der Abläufe?
Im Mittelpunkt steht der Kunde, der Mitarbeiter – der ja in gewisser Weise “Kunde” der Führungsleistung ist – und der Prozess. Es ist sichergestellt, dass Prozesse konsequent gestaltet, kritisch hinterfragt, gelenkt und verbessert werden. Jeder Prozess ist einem Verantwortlichen zugeordnet. Und die Ergebnisse werden nachvollziehbar gemessen.
Zur Person Der promovierte Maschinenbauingenieur Andreas Wendt wechselte im Jahr 2002 nach einer Dekade in verschiedenen Führungsaufgaben bei der Robert Bosch GmbH zu den Bayerischen Motorenwerken und übernahm dort für ein Jahr die Leitung der „Strategieentwicklung BMW Group Produktion.“ Zwischen 2003 und 2006 war Wendt Leiter Produktion “Fahrwerks- und Antriebskomponenten” der BMW Group. Dieser Bereich wurde 2005 mit dem „Ludwig-Erhard-Preis“ der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) und 2006 mit dem “European Quality Award” der EFQM für exzellente Geschäftsprozesse ausgezeichnet. Im Zeitraum Mai 2006 bis Mai 2009 zeichnete Wendt als Geschäftsführer der BMW Motoren GmbH in Steyr (Oberösterreich) verantwortlich. Seit Juni 2009 ist Dr. Andreas Wendt Leiter des BMW Werks Regensburg. |
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was waren Meilensteine in der Entwicklung der Prozesse im Werk Regensburg?
Wir fahren derzeit neun zum Teil sehr unterschiedliche Fahrzeuge im stabilen Takt auf einer Linie. Wir takten also den BMW 1er als Drei- und Fünftürer, den 2er Gran Tourer, die 3er Limousine, die M3 Limousine, das 4er Cabrio, das M4 Cabrio, den X1 und den Z4 Roadster – alles über ein Hauptmontageband. Wir sind in der Lage, Fahrzeuge reibungslos in die Serienproduktion zu integrieren. Um diese Anlaufkompetenz beneiden uns viele. Damit wir diese Kompetenz erreichen, sind wir tief in die einzelnen Prozesse eingestiegen und haben jedes Detail im Produktionsprozess beleuchtet und hinterfragt. Dabei haben wir uns eine Null-Fehler-Strategie zum Ziel gesetzt. Das kann laut EFQM-Jury als Benchmark betrachtet werden.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Qualifiziert der EFQM-Award das Werk Regensburg für eine Vorreiterrolle innerhalb der BMW Group?
Alle Werke tauschen sich aus und teilen miteinander Best-Pratice-Lösungen. Aber natürlich spielt jedes einzelne seine besondere Rolle. Wir zum Beispiel arbeiten an einem ganzheitlichen Modell einer exzellenten Fabrik, dessen Kern die kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse ist. Dafür haben wir die sogenannte Befähiger-/Ergebnismatrix entwickelt. Sie bildet die Kenngrößen ab, die ein Werk zu erreichen hat und gibt gleichzeitig eine Übersicht dafür vorgesehener Verbesserungsinitiativen. Für die Matrix gilt der EFQM-Satz: Kein Befähiger ohne messbares Ergebnis. Kein messbares Ergebnis ohne Befähiger. Das Besondere daran ist, Befähiger führen zu Ergebnissen, die ihrerseits dazu beitragen, die Befähiger zu verbessern.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Kennzahlen haben sich im Werk Regensburg konkret verbessert?
Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist messbar gestiegen. Das kann man an traditionellen Parametern festmachen wie Qualitätskennzahlen, Zeit pro Einheit, Durchlaufzeit, an der Gesamtanlageneffektivität oder an Kriterien der ökologischen Nachhaltigkeit. Nicht zu unterschätzen sind die „weichen“ Faktoren wie Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen, Rückmeldungen aus der Gesellschaft, wie wir als Unternehmen und Arbeitgeber wahrgenommen werden. Auch hier haben wir uns verbessert.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Rolle spielt der Technologie-Einsatz beim Erreichen der Optimierungsziele?
Natürlich sind auch effiziente Technologien und deren Instandhaltung wichtig. Das gilt für alle Gewerke wie Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei oder Montage. Ein praktisches Beispiel: Solange der Sprühnebel, der beim Lackieren von Karosserien entsteht, mit Wasser gebunden wurde, fiel Sondermüll in Form von Lackschlamm an. Inzwischen wurde mit der sogenannten Trockenabscheidung ein Prozess entwickelt, bei dem überschüssige Farbpartikel mit Steinmehl aufgefangen und zu Betonsteinen „gebacken“ werden. Das Ergebnis reduziert gleichermaßen die Kosten und bringt für die Umwelt einen messbaren Fortschritt: Im neuen Prozess wird weniger Wasser und weniger Energie eingesetzt; die Umwelt wird nachhaltig entlastet. Doch Technologie-Einsatz ist nicht alles. Denn technische Projekte sind immer auch im Kontext der persönlichen Verantwortung zu sehen. Wir haben den gesamten Finishbereich nach WPS-Kriterien ausgerichtet. So haben wir eine etwa 300 Meter lange Kurzprüfstrecke eingeführt. Diese 100 Prozent-Prüfung bringt uns und den Kunden unheimlich viel. Jedes Auto in der Finish-Prüfung wird durchgehend von einem bestimmten Mitarbeiter betreut und geht nicht durch wechselnde Hände. Jeder Mitarbeiter denkt und arbeitet so, als ob es um sein eigenes Fahrzeug ginge. Das ist die Haltung, die wir verankern wollen.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie müssen ja den Anker ein bisschen weiter auswerfen – in den Bereich der Zulieferer. Wie binden Sie auch wichtige Partner in die Optimierung der Prozesse ein?
Das ist ein ganz elementarer Punkt. Wir sind grundsätzlich mit Just-in-Sequence- und Just-in-Time-Synchronisationen und vielen anderen Instrumenten sehr gut aufgestellt, was unsere Partner im Netzwerk anbetrifft. Da ist eine ähnliche Denke und ein gemeinsames Verständnis von Qualität hilfreich. Dabei hat Qualität nicht in erster Linie mit Geld zu tun, primär auch nichts mit Prüfeinrichtungen oder mit Kameraüberwachung. Sie hat damit zu tun, dass sich ein Partner, genauso wie wir mit seinen Prozessen intensiv auseinandersetzt und Qualität zum obersten Maßstab macht. Das ist die beste Voraussetzung, um auch Kosten zu reduzieren.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was haben Sie weiter auf der Agenda?
Wir denken, dass Themen wie Digitalisierung der Fabrik, Industrie 4.0 oder Big Data für uns enorme Chancen bieten. Es geht dabei um beherrschbare Technik von Menschen für Menschen – dem Kunden dienend und der Stabilität. Wovon ich wenig halte ist, eine Welle von technischen Einzelmaßnahmen loszutreten, die in eine Erhöhung der Komplexität mündet.
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Das Interview führte Christian Klein