AUTOMOBIL PRODUKTION: "Innovationskultur schaffen" und "Kreativität fördern" sind ja schöne Schlagworte. Wie schafft man den Sprung von der Theorie in die Praxis?
Indem man als Führungskraft vorangeht und diese Ziele im täglichen Tun vorlebt, zeigen wir den Mitarbeitern, dass es eben nicht nur Worthülsen sind. Arbeiten ist nicht auf die Zeit vor dem Bildschirm beschränkt, sondern im Forschungscampus wird Raum für Kreativität geschaffen. Beispiel: Heute ist Dienstag, der Tag unserer Concept Time. Heißt: Jeder Forscher und jeder wissenschaftliche Mitarbeiter hat zehn Prozent seiner Arbeitszeit zur freien Verfügung. Er kann an Themen forschen und arbeiten, die ihn bewegen und interessieren und sich dazu mit Kollegen austauschen. Nach meiner Überzeugung und Erfahrung hat Innovation sehr viel mit Freiraum zu tun und einer entsprechenden Umgebung. Das haben wir hier ganz gezielt umgesetzt. Mit unseren Kommunikationsinseln, den Teichen auf dem Campus und den Sitzplätzen im Freien. Der gesamte Campus ist ein Arbeitsplatz, mit WLAN in allen Bereichen. Zudem muss jeder Forscher im Schnitt nur zehn Meter bis zum nächsten Besprechungsraum laufen. Den zeitlichen Rahmen am Dienstagvormittag haben wir vor dem Hintergrund der Vernetzung gesetzt. Denn zur Vernetzung müssen die Kollegen erst mal Zeit haben und dann müssen sie zur gleichen Zeit verfügbar sein. Ich persönlich beteilige mich gerne an den Runden und diskutiere mit den Kollegen über ihre Ideen.

Zur Person
Dr.-Ing. Michael Bolle
Der promovierte Nachrichtentechniker startete seine Laufbahn 1992 als Trainee in der Forschung und Vorausentwicklung, also in jenem Bereich, den er seit April 2014 auf Konzernebene leitet. Bis sich der Kreis schloss, hat der 55-jährige viel Forscher- und Unternehmergeist bewiesen. So gründete er u.a. 1999 die Systemonic AG, bevor ihn Bosch 2006 zurück ins Unternehmen holte.

 

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ausdrücklich betont wird im Zusammenhang mit der neuen Innovationskultur, dass man auch das Scheitern zulassen müsse. Wie findet man da die Balance aus wissenschaftlicher Freiheit und wirtschaftlichem Druck?
Wir ermutigen unsere Mitarbeiter, mutig zu sein. Schauen sie auf die Automobilindustrie. Dort stehen bahnbrechende Veränderungen an, die wir mit der hier geleisteten Arbeit unterstützen müssen. Technologische Lösungen für große Veränderungen zu finden, wohnt aber auch immer das hohe Risiko des Scheiterns inne. Das heißt umgekehrt: Wenn wir das Scheitern eines Projektes nicht zulassen, werden sich unsere Forscher an derartige Aufgaben erst gar nicht heranwagen. Was letztlich dazu führen wird, dass man nicht mehr bekommt als kleine Fortschritte. Wir müssen die Kollegen ermutigen, sich die großen Themen vorzunehmen, und wir müssen ihnen vermitteln, dass ein gestopptes Projekt keine Niederlage ist, sondern Teil eines Lernprozesses. Wichtig ist, dass man Konsequenzen aus den gemachten Erfahrungen zieht und sich neu aufstellt. Das ist Start-up-Spirit. Man nimmt sich etwas Großes vor und wenn der ursprüngliche Ansatz nicht trägt, dann erfindet man sich neu, mit noch mehr Kraft. Diese Kultur wollen wir im Forschungscampus etablieren.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das Ziel einer Forschung ist dennoch der Erfolg. Gibt es für Sie gesetzte Rahmenbedingungen, wie etwa eine Zahl abgeschlossener Projekte?
Der entscheidende Ansatz ist die Vernetzung, die auf ganz vielen Ebenen stattfindet. Wir haben erstens die Vernetzung unter den Forschern mit dem Ziel, neue Projekte kompetenzübergreifend zu entwickeln. Zweitens haben wir die Vernetzung in die Geschäftsbereiche hinein mit dem Ziel, neue Technologien so schnell wie möglich in den Markt zu bringen und dadurch zum wirtschaftlichen Erfolg von Bosch beizutragen. Ganz wichtig ist dabei, dass der Kontakt zwischen Vorausentwicklung, Forschern und Produktentwicklung intensiviert wird. Gerade in der Transferphase, also wenn wir eine Technologie oder einen Produktprototypen entwickelt haben und es nun darum geht, das serienreif zu machen, arbeiten wir ganz eng mit den Geschäftsbereichen zusammen. Natürlich wird die Zahl der Projekte, die wir übergeben, gemessen. Das ist eine der wichtigen Kenngrößen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Stichwort Vernetzung: Sie haben ja auch Zulieferer. Wenn nun ein solcher mit einer Superidee kommt, ihm aber das Entwicklungs-Know-how fehlt, kann er dann zum Campus kommen und um Unterstützung bitten?
Ja, definitiv. Das machen wir heute schon. Die Öffnung der Forschung für Hochschulen und auch andere Unternehmen ist – wenn Sie so wollen – die dritte Ebene der Vernetzung. Natürlich sind wir offen für Vorschläge von unseren Lieferanten. Es geht ja auch darum, unsere Antennen auszufahren für neue Entwicklungen und Trends, die es weltweit gibt. Deshalb haben wir rund um den Globus Forschungszentren, zum Beispiel in Kalifornien, in Singapur und in Indien. Das Zentrum ist Renningen. Dank unserer Antennen da draußen bekommen wir in Renningen mit, was im Silicon Valley passiert.

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