BWA-Chef Müller verweist auf Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, nach denen allein in der Herstellung der Antriebe bis zum Jahr 2030 jede zweite Stelle wegfallen soll. Das entspricht einem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen, wobei laut Fraunhofer im gleichen Sektor etwa 25.000 neue Stellen geschaffen werden sollen.
„Dieses Verhältnis von 100 zu 25 dürfte für die Beschäftigungssituation in weiten Teilen der Automobil- und der Zulieferindustrie gelten“, befürchtet Müller. Er erklärt: „Von den gewohnten Autobatterien über herkömmliche Bremsen bis hin zu Getrieben wird nichts mehr benötigt, was bislang für die Automobilbranche produziert wurde. Aber an der Branche hängen direkt mehr als 800.000 Arbeitsplätze. Wenn tatsächlich ein Viertel davon wegfällt, stellt das nicht nur für die Betroffenen eine Katastrophe dar, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für den sozialen Frieden hierzulande.“
BWA-Chef Harald Müller räumt ein, dass parallel zu dieser Entwicklung neue Arbeitsplätze entstehen, etwa beim Aufbau und Betrieb neuer Infrastrukturen für E-Mobilität oder bei mobilen Diensten. „Aber der Transferaufwand ist enorm“, meint Müller, und gibt ein Beispiel: „Sie können jemanden, der bisher in der Getriebemontage tätig war, nicht nach einem kurzen Umschulungskurs an einen Computerbildschirm setzen und erwarten, dass das reibungslos funktioniert.“
Müller weiß aus der Praxis: „Die meisten Unternehmen führen keine Personalmatrix, wissen also nichts über die spezifischen Fähigkeiten, aber auch Hemmnisse, ihrer Beschäftigten. Sie besitzen keine systematischen Kenntnisse über die Potenziale ihrer Arbeitnehmerschaft und sind daher überhaupt nicht in der Lage, zu erkennen, wer für eine Umschulung bereit und dazu auch in der Lage wäre, und wer eben nicht.“ Die Ursachen hierfür sieht Müller darin, dass in vielen Personalabteilungen das Recruiting und die Personalverwaltung im Vordergrund stehe, während die Personalentwicklung vernachlässigt werde.
Harald Müller: „Die politisch, gesellschaftlich und letztlich industriell gewollte Umstellung auf E-Mobilität bringt alle diese Probleme ans Tageslicht, und die Autohersteller und Zulieferer sind teilweise überfordert bei der Bewältigung.“
Bis 2020 will die deutsche Autobranche ihr Angebot an E-Fahrzeugen in etwa verdreifachen auf 100 Modelle, hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) angekündigt. Die Hersteller haben ihre Absicht erklärt, bis dahin rund 40 Mrd. Euro in E-Mobilität zu investieren. „Die Branche wäre gut beraten, einen Gutteil davon in die Weiterbildung der Beschäftigten zu stecken, aber auch für Sozialpläne bereitzuhalten“, sagt BWA-Chef Harald Müller.
Harald Müller verdeutlicht: „Bei einem E-Auto werden 200 Teile verbaut, während es bei einem Wagen mit Verbrennungsmotor noch 1.200 Teile waren. Dadurch sinkt die Montagezeit pro Auto von 20 Stunden auf unter 15 Stunden. Es muss also dringend ein Plan her, um die Beschäftigten bei dieser Entwicklung mitzunehmen. Das sind wir nicht nur den betroffenen Menschen schuldig, sondern das ist auch für den sozialen Frieden in Deutschland eine unabdingbare Voraussetzung.“