Ola Källenius mit der neuen Daimler-Vertriebschefin Britta Seeger händeschüttelnd in Detroit bei der Stabübergabe.
Eisiger Wind, freundliche Stabübergabe: die neue Daimler-Vetriebschefin Britta Seeger und
Ola Källenius in Detroit. (Bild: Oliver Schwarz)

Mastermind hinter der operativen Umsetzung ist Källenius. Seine Berufung jetzt zum Entwicklungsvorstand dient nicht nur dem Zweck, ein weiteres Häkchen im Praxis-Casting zur Zesche-Nachfolge zu setzen. Vielmehr ist sie bereits logische Folge des Wandels zum digitalen Konzern, in dem nicht auf der einen Seite Autos entwickelt und gebaut und auf der anderen verkauft werden. Strukturell hat man daraus die Konsequenzen gezogen: „Das Silodenken ist aufgelöst“, sagt Källenius gegenüber AUTOMOBIL PRODUKTION und spricht mit Blick auf sein Rollenverständnis als Entwicklungschef von einem „Produktgestaltungsauftrag“ der weit über „vier Räder, Motoren und Blech“ hinaus gehe. Deshalb hat man im Zusammenhang mit CASE  die Strukturen geändert. So berichtet der Leiter der App-Entwicklung sowohl an den Entwicklungsvorstand wie an den Vertriebschef, pardon, die Vertriebschefin. Die heißt seit 1. Januar Britta Seeger, eine Managerin mit 27 Jahren Daimler in der Vita, reichlich internationaler Erfahrung und ausgeprägt digitaler Denke. Die neue Vertriebschefin hatte ihren ersten Auftritt ebenfalls in Detroit, was sich aber auf eine überaus herzliche Begrüßung durch Dieter Zetsche, die Verkündung der Rekordzahlen 2016 und intensive Gespräche mit US-Händlern beschränkte.

 

Strategisch liegen Seeger und Källenius auf einer Linie. Die lautet nicht  nur, die meisten Autos unter den Premiumherstellern zu verkaufen, sondern das am schnellsten wachsende Ökosystem aus attraktiven Autos und neuen Dienstleistungen zu entwickeln. Hier sieht Highperformance-Freund  Källenius die Schwaben in der Pole-Position und nennt als Beispiel autonomes Fahren. Die technische Entwicklung sei so weit, dass es nun „richtig losgehen“ kann. Habe man mit dem Drivepilot der ersten Generation 80 Prozent der Anforderungen auf der Autobahn erfüllt, so schaffe man mit dem großen Update des in der E-Klasse vorgestellten Systems, das 2017 in der S-Klasse kommt, 80 Prozent der komplexen Anforderungen auf der Landstrasse. Erstmals habe man nun auch hochauflösende Karten mit der Fahrzeugsensorik verknüpft. Durch die Verknüpfung weiß das Auto, wo es bewegt wird und passt beispielsweise die Geschwindigkeit autonom auf die Kurvenradien an. Erprobt wurde das in Kalifornien. In Deutschland ist seit geraumer Zeit eine kleine Flotte vollautonomer V-Klassen im Raum Stuttgart unterwegs – was mit der Nähe zu Zulieferer Bosch zu tun hat. In Summe sieht der 47jährige Schwede Daimler vorn in der Entwicklung.

Damit hat er freilich kein Alleinstellungsmerkmal. Nahezu wortgleich fallen Zielsetzungen und Standortbestimmung von Audi bis Volvo aus. Wie das Rennen ausgehen wird, dazu wagen angesichts der massiven Umwälzungen in der Autoindustrie und vor dem Hintergrund neu in den Markt drängender Unternehmen selbst gestandene Branchenexperten keine Aussage. Anhänger aus dem IT-Umfeld des Silicon Valley und Zukunftsforscher wie Sven Gabor Janszky hegen erhebliche Zweifel, ob die konservativ strukturierten Autobauer den intern notwendigen Wandel schaffen, um mit den deutlich schneller agierenden IT-Konzernen Schritt halten zu können.

So viel jedenfalls lässt sich sagen: Dank der glänzenden Geschäfte mit 46 Rekordmonaten in Folge, hat Daimler eine für den digitalen Wandel gut gefüllte Kriegskasse und mit Källenius nun einen Kopf im Entwicklungsressort, dem der Erfolg nur so zuzufliegen scheint, eindrücklich untermauert durch eine Serie wie sie nicht einmal Bayern München hingelegt hat: Während in seiner Zeit als Vertriebschef hat der 47jährige 39 Mal in Folge Rekordzahlen verkündet. Ähnlich fällt das Fazit an früheren Station aus: Ob bei McLaren und später in der Entwicklung von High-Performance-Motoren in England, als Werksleiter in Tuscaloosa oder als Chef der Performance-Schmiede AMG – bei dem in Västervik geborenen Manager reiht sich Erfolg an Erfolg.  Das meint explizit nicht nur Wachstumszahlen, egal wo, wird die Sozialkompetenz des dreifachen Familienvaters hervorgehoben. Dass Källenius in der bei Daimler starken wie selbstbewussten Entwicklermannschaft auf Vorbehalte stoßen könnte, weil der studierte Wirtschaftwissenschafter mit Abschlüssen in Stockholm und St. Gallen nicht in die Ahnengalerie aus Ingenieuren passe, wird zwar gerne von den Medien auf Schlagzeilensuche hervor gekramt, ist intern aber schlicht keines: in Zeiten des Mobilitätswandels sind es eher die Männer mit dem viel beschworenen „Benzin im Blut“, die als störend beim Wandel empfunden werden. Aus dem Umfeld des Daimler-Aufsichtsrats heißt es:  Überzeugt Källenius als Entwicklungschef, führe an ihm kein Weg vorbei, wenn es um die Nachfolge des Ende 2019 abtretenden Konzernchefs Dieter Zetsche geht.

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