Stephan Tremmel, Delo

Moderne Klebeverfahren können "die Tür für einfachere Prozesse und neue Funktionalitäten öffnen", sagt Stephan Tremmel, Business Development Manager Automotive bei Delo. (Bild: Delo / Brosch)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Seit 2007 hat sich die im Automobilbau eingesetzte Klebstoffmenge pro Fahrzeug auf heute durchschnittlich 15 Kilogramm verdoppelt. Ihre Prognose: Wann ist hier eine Sättigungsgrenze erreicht?
Den Hauptanteil bilden natürlich Strukturklebstoffe. Hier heißt das Stichwort Leichtbau. Im Automobilbau etablieren sich neue Materialkombinationen und Werkstoffe wie CFK, die nicht mehr mit herkömmlichen Verfahren wie Schweißen, Nieten und oder Schrauben gefügt werden können und die Klebetechnik herausfordern. Allerdings hält auch immer mehr Elektronik Einzug ins Automobil. Es kommen mehr Displays zum Einsatz und die Zahl der sensorgestützten und kamerabasierten Fahrerassistenzsysteme nimmt zu. Für mich ist am Horizont bereits das autonome Fahrzeug in der realen Alltagsanwendung erkennbar. Dieser Trend bedingt noch einmal mehr Sensorik, Optik und Elektronik und konfrontiert die Fertigungstechnik in der Folge mit einer Vielzahl an Elementen, welche man verbinden und schützen muss. Allein dadurch tun sich weitere Felder für neue, spezifische Klebstoffe auf. Auch die Anforderungen an die Bauteile kamerabasierter Fahrerassistenzsysteme steigen stetig, da höchste Qualität und Zuverlässigkeit bei Linsenqualität und Pixeldichte verlangt werden. Die dort verwendeten, temperaturempfindlichen Materialien verlangen nach neuen Spezialklebstoffen. Vor diesem Hintergrund ist für mich eine Sättigungsgrenze für Klebstoffe im Automobilbau noch lange nicht erkennbar.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das Anforderungsprofil an Klebstoffe wird also immer schärfer, immer individueller. Welche Klebeanwendungen im Automotive-Sektor dominieren denn aktuell das Geschäft von Delo?
Das sind im Moment definitiv Elektronik-Anwendungen. Und hier steht neben Kameras und Displays besonders das Sensorelement im Mittelpunkt unseres Interesses. Sensoren erfassen Parameter wie Positionen, Beschleunigungs- und Drehzahlwerte, Geschwindigkeiten aber auch Drücke, Temperaturen, Füllstände und die Konzentrationsgrade von Medien. Die Verklebung dieser Sensoren erfordert High-Tech-Klebstoffe: Sie müssen den Sensor gegenüber den äußeren Einflüssen wie etwa extreme Temperaturen, Drücke oder aggressive Medien schützen. Die am Gehäuse offen liegenden Kontaktstellen müssen sicher abgedeckt und vor Korrosion geschützt werden.
Die Anforderungen an den Klebstoff sind enorm hoch. Das heißt, wir reden sehr häufig über extreme Umgebungsbedingungen, beispielsweise haben wir es bei Motorraum-Anforderungen mit hohen Temperaturen für eine sehr lange Zeit, Feuchte, Temperaturschocks von minus 40 Grad bis im Extremfall hinauf auf 180 Grad für eine Vielzahl von Zyklen zu tun. Das sind so die Bereiche, wo wir uns mit unseren Klebstoffprojekten im Automobilbau bewegen.
Bei jeder Klebstoffentwicklung spielen natürlich auch die unterschiedlichen Prozessanforderungen und Fertigungsphilosophien der Anwender – meist große Systemlieferanten – und deren bisheriger Erfahrungshintergrund mit Klebetechnik eine Rolle. Neben der Medien- und Temperaturbeständigkeit gilt für zukünftige strukturelle Leichtbau-Verklebungen wie CFK auf Aluminium, dass das Crashverhalten der Verbindung mit ins Kalkül gezogen werden muss. Da kommen dann weitere Anforderungen auf den Klebstoff zu, der sich dann eher so schlagzäh verhalten muss, wie man es von Metallen kennt.

Zur Person
Stephan Tremmel ist Business Development Manager Automotive bei Delo Industrie Klebstoffe. Zuvor war er bei ABB Flexible Automation für das Projektmanagement im Bereich vollautomatische Roboterzellen und beim Zulieferer Continental für die Planung der Fertigungslinie für Hybridmodule verantwortlich.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Delo definiert seine Kernkompetenz sowohl auf der Seite der Klebstoff-Chemie als auch auf dem Feld der Geräte- und Applikationstechnik für industrielle Serienprozesse. Besteht da nicht die Gefahr des Over-Engineerings?
Hätte man den Anspruch, zu jeder Klebstoffvariante auch jedes erdenkliche Equipment mitzuliefern, dann bestünde natürlich diese Gefahr. Wir sehen uns jedoch nicht als Gemischtwarenladen, sondern spezialisieren uns auf die Rezeptur maßgeschneiderter Klebstoffsysteme und die Entwicklung innovativer Gerätesysteme rund um die Aushärtung und Dosierung für ganz spezielle Anwendungen, damit die Produktion bei unseren Kunden dann reibungslos läuft. Dazu gehören beispielsweise ein berührungsloses, pneumatisches Dosierventil oder auch unsere LED-Lampen, die perfekt auf den Photoinitiator in unseren lichthärtenden Produkten abgestimmt sind. Der Anspruch ist, für diese speziellen Anwendungen das passende Equipment zu haben. Das wird auch bei uns in Eigenregie entwickelt und gefertigt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie wichtig ist der Dialog mit der Anwenderseite?
Zu unserer Kernkompetenz gehört vor allem auch extrem viel Prozess-Knowhow aus dem Feld. Unsere Vertriebsingenieure sprechen die Sprache der Anwender und können sich in deren technische Problemstellungen hineinversetzen. Damit sind die Weichen gestellt für einen oftmals sehr konstruktiven Gedankenaustausch, der sich in tatsächlich maßgeschneiderten Produkten und ausgefeilten Prozessen für die Produktion niederschlagen kann. Die Klebetechnik ist generell sehr facettenreich und beratungsintensiv, was einen Dialog unabdingbar macht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wäre das gemeinsam mit Böllhoff entwickelte Onsert-Verfahren ein klassisches Beispiel dafür, was bei einem solchen intensiven Dialog herauskommen kann?
Ja, das kann man schon so sehen. Onsert ist zusammen mit dem Montagespezialisten Böllhoff entwickelt worden. Herausgekommen ist ein Klebebolzen als flexibel einsetzbares Verbindungselement insbesondere für Composite-Materialien, aber auch für dünne Bleche sowie Kunststoffe. Böllhoff und Delo haben diese nun serienreife Technologie in einer Reihe von Pilotprojekten erprobt, zuletzt bei der Befestigung von Kabeln, Verkleidungen und anderen Bauteilen beim BMW i3. In Onsert steckt unsere Kompetenz des Klebens mit Lichthärtung. Prozessgerichtete Kooperationen mit Anlagenbauern und Materiallieferanten suchen wir auch in anderen Branchen regelmäßig, beispielsweise bei Smartcards oder RFID-Labels.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Erfahrungen aus anderen Branchen-Applikationen fließen in die Automotive-Entwicklungen von Delo ein?
Wir haben es branchenübergreifend sehr häufig mit schnellen Prozessen zu tun und sind daher mit der im Automobilbau verbreiteten Fertigungsphilosophie des One-Piece-Flow vertraut. Für Klebeprozesse ist hier ein schnelles, kontrolliertes Aushärten essenziell.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Die großen Automobilhersteller haben jüngst teilweise sehr ehrgeizige Kostensenkungsprogramme verabschiedet. Welche Beiträge sind hier von Seiten der Klebetechnik aus Delo-Perspektive zu erwarten?
Da liegen die Potenziale oft in einer Beschleunigung der Prozesse, um Zwischenlager abzubauen und weniger Kapital zu binden. Wichtig ist eine Betrachtung der „Total Costs of Quality“. Dann wird wirklich sehr schnell klar, dass mit Lagereinsparung und einer sofortigen Prüfung des Bauteils der Prozess und dadurch die Gesamtkosten des Bauteils günstiger werden. Diese Aspekte bestimmen sehr häufig die Diskussion mit unseren Tier 1-Kunden. Ein weiterer Punkt: Die Klebetechnik eröffnet auf einmal das Fügen ganz anderer Materialkombinationen, die in Summe kostengünstiger sind. Es kommen auch neue Features ins Spiel wie Miniaturisierung und “Bauteil-Intelligenz”, wo ein kreatives Nachdenken über Klebetechnik auch aus anderen Bereichen inspirieren kann.
Beispielsweise ersetzen geklebte RFID-Labels in Hemden nicht nur den bisherigen Barcode, sondern ermöglichen neue, zusätzliche Funktionalitäten für die Logistik. Die in der Massenfertigung angewandte Klebetechnik fixiert einerseits nicht nur den Chip mechanisch, sondern sorgt andererseits auch für die elektrische Kontaktierung und macht damit sogenannte Wirebonds als elektrische Verbindungselemente überflüssig. Das ist ein richtig schönes Beispiel dafür, wie man mit den Möglichkeiten der Klebetechnik zu einfacheren Prozessen kommen kann und dabei auch noch die Tür für neue Funktionalitäten öffnet. Generell sind die Miniaturisierung und die Klebstofftechnik eine ideale Paarung, um weitreichende Kostensenkungen zu erzielen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das ganze Thema Klebetechnik ist extrem forschungs- und entwicklungslastig, was sich ja bei Delo auch in einer überdurchschnittlich hohen FuE-Quote von 15 Prozent niederschlägt. Dreißig Prozent des Umsatzes erzielen Sie mit Produkten, die jünger sind als drei Jahre. Gibt es da auch eine Zusammenarbeit mit externen Partnern?
Forschung und Entwicklung unserer Produkte finden bei uns komplett in Eigenregie statt, da wird wirklich das Knowhow intern gehalten. Ein externer Austausch zu Beispiel mit Universitäten hat mehr generellen Charakter im Sinne von Netzwerken und dem Ausloten spezieller Branchen. Vor kurzem haben wir etwa mit der Hochschule Ulm eine Untersuchung zur Laser-Vorbehandlung von Edelstahl durchgeführt. Es kann aber auch darum gehen zu erfahren, wie der Kunde eine gewisse Anwendung testet, sodass wir intern auch in derselben Weise testen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Investitionen sind als nächstes für die Weiterentwicklung von Klebetechnik für Automotive-Anwendungen geplant?
Wir werden weiter in unsere eigenen Produktionskapazitäten investieren, da der Ausblick in die Zukunft auf Wachstum steht. Unser Wachstum im Automotive-Sektor speist sich ganz klar aus der Nachfrage nach Anwendungen, die mit dem autonomen Fahren zu tun haben. Die Klebetechnik ist mehr denn je interessant für Anwendungen der Sensortechnik inklusive der Radar- und der Kameratechnik wie auch der Visualisierung, also der Displaytechnik. Und dieser Trend wird mit Sicherheit auch die Aktivitäten und Projekte unserer Forschung und Entwicklung schwerpunktmäßig bestimmen.

Das Interview führte Christian Klein

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